Ein Pessimist über Gott und die Welt

Gert Haffmans stückelt ein Schopenhauer-ABC zusammen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder Autor und jede Autorin dürfte Wert darauf legen, dass ihre Bücher ihren Weg zu den LeserInnen so finden, wie sie geschrieben wurden. Weder HerausgeberInnen oder VerlegerInnen sollten darin herumpfuschen. Selbst LektorInnen allenfalls nach Absprache. Und schon gar nicht DruckerInnen. Doch wohl nur wenige klagen die bis hin zum letzten I-Tüpfelchen manuskriptgetreue Wiedergabe des von ihnen verfassten Texte mit einem derartigen Nachdruck ein, wie es der Willensmetaphysiker Schopenhauer zeitlebens zu tun pflegte. Er ließ es etwa nicht nur bei ausführlichen, den Manuskripten beigegebenen Mahnungen an die Drucker - die seinerzeit noch ausschließlich männlichen Geschlechts waren - bewenden, nur ja nichts zu verändern, sondern (und das ist wörtlich zu nehmen) verfluchte in einer Art editorischem Testament ausdrücklich "Jeden, der, bei künftigen Drucken meiner Werke, irgend etwas daran wissentlich ändert, sei es eine Periode, oder auch nur ein Wort, eine Silbe, ein Buchstabe, ein Interpunktionszeichen".

Da dürfte der Bannstrahl des begnadeten Grantlers wohl auch Gert Haffmans treffen, den Herausgeber des Schopenhauer-"EinLeseBuchs". Nicht nur, dass Haffmans den Lesenden schon mal ein Doppel-S für ein Eszet vormacht oder einen Zeilenumbruch tilgt. Gravierender noch ist, dass er Schopenhauers Nachlass auf Bonmots und Aphoristisches reduziert, indem er Bruchstücke aus dessen handschriftlichem Nachlass zusammenstellt, um nicht zu sagen: zusammenstückelt; sie unter - mit mehr oder weniger Esprit ausgedachte -Stichworte stellt, diese alphabetisch ordnet und das ganze als "ABC für die Jetztzeit" veröffentlicht.

So ist eine Publikation entstanden, die zwar Einblicke in den scharfzüngigen, bisweilen groben Stil des Frankfurter Mitleidsethikers gewährt. Auch erfährt man durchaus, was Schopenhauer von Gott und seiner Welt hielt ("Wenn ein Gott diese Welt gemacht hat, so möchte ich nicht der Gott seyn: ihr Jammer würde mir das Herz zerreißen."), von Deutschland und den Deutschen ("Den Deutschen hat man vorgeworfen, daß sie bald den Franzosen, bald den Engländern nachahmen: das ist aber gerade das Klügste, was sie thun können: denn aus eigenen Mitteln bringen sie doch nichts Gescheutes zu Markte.", "Ich lege hier für den Fall meines Todes das Bekenntniß ab, daß ich die deutsche Nation wegen ihrer überschwänglichen Dummheit verachte, und mich schäme ihr anzugehören.") oder von der Literaturgeschichte ("Die Literargeschichte ist der Katalog eines Kabinets von Misgeburten [...] Schweinsleder ist der Spiritus, in dem sie sich am längsten halten. Die wenigen wohlgerathenen Geburten hat man nicht dort zu suchen: die sind am Leben geblieben und man begegnet ihnen überall in der Welt.").

Das alles mag zwar amüsant und hier und da vielleicht sogar erhellend sein. Möglicherweise nimmt dieser oder jene auch die eine oder andere Sentenz als Maxime zur Bewältigung der "Jetztzeit". Unkenntlich gemacht wird damit jedoch Schopenhauers Philosophie. Diese nämlich war sytematisch angelegt. Schließlich hatte ihr Autor den Ehrgeiz, ein philosophisches System an.

Damit ist schon mal der grundsätzlichste und wichtigste Einwand gegen das vorliegende Büchlein vorgebracht. Weitere kommen hinzu. Sie betreffen die Durchführung des an sich schon unglücklichen Vorhabens, Schopenhauer für die "Jetztzeit" zu popularisieren, indem man seine Philosophie auf bloße Aperçus herabbricht. Zu dieser Durchführung gehört, dass es sich der Herausgeber nicht verkneifen kann, unter Stichworten wie "Ehe" Schopenhauer als passionierten Weiberfeind zu Wort kommen zu lassen. Auch das wohl als Anregung "für die Jetztzeit", wie es im Untertitel des Buches heißt. Warum aber die Sentenz: "Ehemänner sind meist umgekehrte Papagenos: denn wie diesem sich, mit bewundernswerther Schnelligkeit, eine Alte in eine Junge verwandelt, so ihnen mit bewundernswerther Schnelligkeit eine Junge in eine Alte" unter dem Stichwort "Männlichkeitswahn" abgedruckt wird, dürfte ein Geheimnis des Herausgebers bleiben.

Womit wir auch schon bei den zahlreichen verunglückten Stichworten wären, die Haffmans den Schopenhauer-Zitaten vorangestellt hat. Einige haben schlicht nichts mit dem zu tun, was unter ihnen zu finden ist, andere sollen vermutlich geistreich wirken - so firmiert die Notiz "Kirchen und Tempel in allen Ländern aus allen Zeiten, in Pracht und Größe, zeugen vom metaphysischen Bedürfnis des Menschen" unter dem Stichwort "Bedürfnisanstalten", was zugegebenermaßen immerhin ganz lustig ist. Zum "Radikalenerlass", der "Relativitätstheorie", dem "Konsumterror" dem "TV" aber hat sich Schopenhauer definitiv schon alleine deshalb nicht geäußert, weil er weder Hellseher war, noch divinatorisch begabt. Aber das Bändchen ist ja für die "Jetztzeit" gedacht, was Haffmans wohl Rechtfertigung genug scheint, zu solchen und ähnlichen Stichworten zu greifen. Wenngleich Konsumterror und Radikalenerlass und auch die Relativitätstheorie ja nicht erst seit kurzem gar nicht mehr so jetzig sind.

Wenn der Herausgeber in einem seiner angehängten Texte bemerkt, Schopenhauer mühe sich in seinen Schriften, "ernstlich und gründlich genau das zu vermitteln, was in seinem Kopf vorgeht", so kann man das von der vorliegenden Zusammenstellung kaum behaupten. Da mag Haffmans Anliegen, für Schopenhauers Werke "zu werben [...], zur Schopenhauer-Lektüre an[zu]regen, [zu] verführen, wenn möglich [zu] begeistern", noch so begrüßenswert sein.


Titelbild

Arthur Schopenhauer: Das Schopenhauer EinLeseBuch.
Aus dem Nachlass herausgegeben von Gerd Haffmans.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2006.
176 Seiten, 7,90 EUR.
ISBN-10: 3861505770

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