Kritische Affirmation
Rainald Goetz in seinem neuen Theaterstück "Jeff Koons"
Von Ekkehard Knörer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAm 28.12. 1988 warf sich auf dem Klo der Theaterfabrik, Punkt 21 Uhr 30, der Dichter, Denker und Poptheoretiker Rainald Goetz ein vermutlich erstes Ecstasy in den Mund. Die Welt sieht für ihn seitdem anders aus, und spätestens im Jahre 1991, "Made In Heaven", wie er es nachträglich überschreibt, ist ihm die alte Wut endgültig abhanden gekommen. Die alte, stirnschlitzerische Rage hatte zu tun mit dem Versuch, sich in einem endlos ausdifferenzierten und immer auch schon post-adornitisch zu vielen Enden gedachten Kulturuniversum wenigstens am Feind noch zu vergewissern. Einem Feind, der wenigstens auf popkulturellem Gebiet mit dem erworbenen Spex-Feinst-Expertentum konkret auszumachen war.
Heute will Rainald Goetz das nicht mehr. Nicht etwa, weil er altersweise nun alles akzeptierte. Auch nicht, weil er dank Ecstasy die Welt nicht mehr sähe und nur noch hübsche bunte Seifenblasen. Vielmehr scheint es so, als habe er sein Glück gefunden, soweit man das finden kann, ohne religiös oder sonstwie überzuschnappen, und dieses Glück ist für ihn Techno, Rave, kollektiver Rhythmus, durchtanzte Nächte mit den richtigen Drogen und Frauen. Seine alte Obsession ist dabei nicht verlorengegangen, nach wie vor schreibt und notiert und veröffentlicht er unablässig, und "Jeff Koons", das nun vorliegende Stück, ist Teil eines großen, gesamtkunstwerkhaften Projekts, zu dem, nicht ganz nachvollziehbar durchnumeriert, eine Reihe von Texten gehören: Die bereits erschienene, ganz formidable Erzählung "Rave" (1998), das inzwischen eingestellte, aber ein Jahr lang ausdauernd und tagesaktuell im Internet abrufbar geführte Tagebuch "Abfall für alle" (1998 f.), die multimedial im Sommersemester 1998 in Frankfurt inszenierte Poetikvorlesung "Praxis", und am Rande die CD "Word" (1994) sowie das Gespräch mit DJ Westbam, "Mix, Cuts & Scratches" (1997).
Die Tauglichkeit der alten Gattungsbezeichnungen, die auf Goetz' Texte ohnehin immer nur bedingt anwendbar waren, ist mit diesem neuen Projekt nun endgültig fast dahin. Die Grenzen zwischen Fiktion und Tagebuch sind nur mehr hauchdünn. Es ist unverkennbar das Alter ego des Ravers und Dichters Rainald Goetz; Schauplatz der Geschehnisse ist, laut Fiktion, dessen Alltag oder eher: Allnacht. Viele der auftretenden Figuren tragen den Namen von Szenegrößen (in "Rave" von Sven Väth bis Diedrich Diedrichsen), viele der Dialoge wirken kunstlos-ungekünstelt (oft allerdings auf kunstvolle Weise); passieren tut auch nicht viel, was halt so passiert im Laufe durchtanzter Nächte, und auf Spannungsbögen und erzählerisches Geschick kommt es gar nicht an. Dennoch hat man nie den Eindruck, daß es sich dabei um eine Privatheit handelt, die keinen interessieren müßte, um Beobachtungen, die nur für den Szene-Insider von Belang sind. Für "Jeff Koons", das neue Stück, gilt das in besonderem Maße, und vielleicht lassen sich daran ein paar der "naturalistischen" Mißverständnisse, auf die Goetz mit "Rave" gestoßen ist, beseitigen.
Im Schlußabschnitt "Ästhetisches System" von "Kronos" (1993) schrieb Goetz: "Ich glaube, meine Ethik hat die Gestalt der Kunst von Jeff Koons (intersubjektiv objektiver Idealrealismus); die Logik würde die der Malerei von Albert Oehlen haben. Die Gesamtarchitektur, also das Begehen der Luhmannschen Philosophie, kommt mir so vor wie der Frankfurter Museumsbau von Richard Meier." Egal, ob das im einzelnen so schrecklich viel Sinn macht (oder machen soll), die Namen, die Goetz aufruft, umschreiben nicht sein ethisches oder logisches, sehr wohl aber sein ästhetisches Programm sehr präzise. Harald Schmidt ist seitdem noch dazugekommen, das Motto von "Jeff Koons" ist das so poetische wie bescheuerte Tau-und-Wiesen-Zitat aus der Harald-Schmidt-Show. Luhmann gibt nach wie vor die Gesamtperspektive vor, den post-adornitisch nicht mehr hintergehbaren Beobachterrelativismus. Die Zwischenmotti sind aber Koons-, Meier- und dann noch Warhol-Zitate. Überhaupt basiert das ganze Stück (falls es das ist, ein Theaterstück) auf einer Zitatensammlung, denn ausweisbar spricht da keiner mehr. Nur noch Montage von Szenen, die Sprachszenen sind ohne verortbare Sprecher oder Personen. Das Monologische aber früherer Stücke - am extremsten "Kolik" (1988) - ist einer multiperspektivischen Vielfalt gewichen.
"Jeff Koons" ist nun ein Virtuosenstück der Bejahung. Eines glückenden Lebens, das per Notat zu geglückter Kunst wird. Die Kunst von Jeff Koons ist Beispiel, aber auch Modell der Verbindung von Kitsch und Schrott und Lebensstil und damit zugleich Modell für den Künstler Rainald Goetz. Er vermag in der Wortverkunstung seines Alltags Programm und Ausführung seiner Kunst zugleich zu liefern. Das Credo geht so: "Ziel wäre oder ist die Absicht / Perfektion und Fertigkeit / wie immer schon gewesen / das Tun des Machens wegpoliert / die Spur des Werdens dabei lassen // die Meisterschaft des Handwerks / zu dem Endpunkt bringen / sagt der Handwerker in blauer Schürze / zu seinem bei ihm angestellten Praktikant / wo nichts mehr davon übrig ist". Das Wunder dabei ist: es gelingt. Nie zuvor war Goetz derart unangestrengt und entspannt wie in "Jeff Koons". Der reine chill out. Die Sätze sind, oft sehr lyrisch anmutend, meist durchrhythmisierte, sprachspielerische Prosa, die sich im Vorübergehen den disparatesten Themen anschmiegen kann, von ästhetischer Reflexion über zugekokstes Gelalle bis hin zum Stammeln des Liebesglücks. Und auch das ist neu bei Rainald Goetz: Liebeslyrik, fast schon tausend Tränen tief, ohne Scheu vor großen Worten: "mein du / und mein ich / mein alles für dich // mein Herz und Augenstern / und Blütenblatt". Da hat einer, weiß Gott, sein Glück gefunden. Man darf gespannt sein, wie's weitergeht, mit dem deutschen Dichter Rainald Goetz.
|
||||||||