Schenken ist auch nicht einfach

Eine barmherzige Roadnovel: Dave Eggers lässt es krachen. Wie schnell die Figuren sind, merkt man in seinem neuen Roman allerdings manchmal allzu sehr

Von Maik SöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maik Söhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was für ein verrücktes Buch! Verrückt in allen Bereichen. Formal: Die Geschichte beginnt bereits auf der Coverseite, kleine Zeichnungen und Faksimiles sind ähnlich wie bei Kurt Vonnegut an passender Stelle eingestreut. Stilistisch: Atemlos, aber tiefenwirksam prasselt Sprache, hageln Dialoge, knallen Gedankenfetzen. Inhaltlich: Zwei Twentysomethings, Will und Hand, machen sich von Chicago aus auf, um in sieben Tagen um die Welt zu reisen und dabei 32.000 Dollar loszuwerden. Und zwar nicht, indem sie sie durch Urlaub in Saus und Braus verprassen, sondern indem sie sie an jene verschenken, die ihnen als bedürftig erscheinen. Das ist die Grundidee in dem Roman "Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind" des US-amerikanischen Autors Dave Eggers.

Und das wird für die Figuren schnell zum Problem. Es sollte eigentlich nicht kompliziert sein, so viel Geld zu verschenken, doch der nachdenkliche Will und sein aktionistischer Kumpel Hand kommen damit nicht zurecht: "Warum verdammt noch mal kommt man sich so komisch dabei vor? Warum ist es so schwer?" Hunderte Dollar gehen an Kinder, Tramper, Taxifahrer, Souvenirhändler, schließlich wird ein Teil auch noch als Schatz vergraben und eine Schatzkarte angefertigt. Das Ziel, Gutes zu tun, erscheint den Protagonisten dabei ferner denn je: "Vielleicht konnten wir nicht anders, als überall, wo wir auftauchten, Chaos anzurichten."

Wer hier eine Parabel über die Außenwirkung der USA sieht, liegt nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz richtig. Schließlich unterscheidet sich Will vom diplomatischen und kulturellen Korps seines Herkunftslandes enorm. Nach einem jahrelangen Rückzug von fast allem, einer Verdrängung sämtlicher Probleme, versucht er nun, das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit durch forciertes Handeln zu überwinden. Wie wahnhaft reden die Freunde ständig vom Aufbruch, Weiterkommen, sogar vom Verzicht auf Schlaf. Real aber verheddern sie sich, wo sie nur können, und verschlafen mal wieder den Abflug des nächsten Fliegers.

Es ist eine verspätete Coming-of-age-Geschichte, die Eggers erzählt, ein Roman, der davon handelt, wie unfähig Will und Hand sind, mit dem "grauen, tief hängenden Himmel des Erwachsenwerdens" umzugehen, das sie doch längst hinter sich haben. Sie reisen nach Senegal, Marokko, Estland und Lettland, erleben viel und verarbeiten dabei auch noch zurückliegende Schicksalsschläge wie den Tod des gemeinsamen Kumpels Jack und eine Situation, in der Will schwer zusammengeschlagen wurde, als Hand ihn im Stich ließ. In ihren Handlungen versuchen sie alles, um wieder Kind zu sein, sind aber nur Erwachsene mit zu viel Geld. Aber vielleicht ist das ja dasselbe.

Alle Länder, die sie durchqueren, erinnern die Freunde topografisch an einzelne US-Bundesstaaten, Estland etwa war einfach nur "wie Kansas". Auf diese Weise stellt sich Eggers geschickt in die Tradition der typischen inneramerikanischen Roadnovel und erweitert dabei die Grenzen des Genres um mehrere Kontinente. Das Ende der Reise naht schließlich; Will "graute es vor dem Stillstand, dem langsamen Ersticken an Akkumulation". Doch noch hat er Mexiko vor sich, diesmal ohne den Kumpel Hand. Es geht also weiter, immer weiter, und zwar noch schneller.

Eggers' Literatur ist Prosa auf Speed - stellenweise leider inklusive Laberflash und totalem Kontrollverlust. "Lassen Sie Ihre Figuren doch mal einen Moment zur Ruhe kommen", möchte man Eggers mittendrin zurufen. Nur: Der Adressat ist längst wieder woandershin abgereist. Tempo ist nicht alles, aber die Mischung aus Verrücktem und Rauschhaftem in "Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind" beeindruckt nachhaltig.

Dieser Beitrag erschien zuerst im taz Magazin vom 20.01.2007.


Titelbild

Dave Eggers: Ihr werdet (noch) merken, wie schnell wir sind.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006.
496 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-10: 3426195860

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