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Über Melanie Arns Roman "Traumpaar, nackt"

Von Carolina GleichaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Carolina Gleichauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die meisten Romane, die erzählen, "wie es danach weiterging", bieten nicht das inhaltliche Niveau und die sprachliche Energie ihrer Vorgänger, weil sie thematisch noch zu sehr an der Handlung des ersten Bandes orientiert sind. So zum Beispiel in Heidi Hassenmüllers Folgeroman von "Gute Nacht, Zuckerpüppchen", in dem die in ihrer Kindheit von ihrem Vater sexuell missbrauchte Protagonistin von ihrem Ehemann wieder vergewaltigt wird. Bis auf die Erkenntnis, dass in der Kindheit erfahrene Unterdrückung die Persönlichkeit maßgeblich prägt und eine Emanzipation schwer möglich ist, bietet der sich über nahezu 1.000 Seiten erstreckende Jugendroman wenig Neues.

Anders ist da Melanie Arns' im Sommer 2006 erschienener Roman "Traumpaar, nackt". Schon das zwei Jahre zuvor erschienene Erstlingswerk der Autorin "Heul doch!" - für das Theater bearbeitet in einer Inszenierung am Stadttheater Bielefeld zu sehen - erzählt die Geschichte von sexuellem Missbrauch auf ungewöhnliche Art. Er vermeidet jeglichen Betroffenheitsgestus, indem der Protagonistin alle Pubertätsprobleme plus Schicksalsschläge genereller Art aufgehalst werden, die allerdings durch ihre Anhäufung an Glaubhaftigkeit verlieren. Zudem wird anhand des Erzählverfahrens deutlich, dass einige Katastrophen der jugendlichen Phantasie der Ich-Erzählerin entsprungen sind. So etwa, wenn sie behauptet, sie habe Aids und wisse nicht, bei wem sie sich angesteckt habe - und zwei Seiten später lachend verkündet, das stimme gar nicht mit der Krankheit. Den sexuellen Missbrauch nimmt man ihr schon eher ab, subversiv eingebetet in einen Metaphernreigen, der gleichzeitig das piefige Dorfleben samt trostloser familiärer Alkoholexzesse am Sonntag beschreibt: "An Sonntagen wird die Flasche zum Fläschchen, das Glas zum Gläschen, der Tropfen zum Tröpfchen, Prost zum Prösterchen, ich werde zum Mäuschen."

Zudem hat die Protagonistin ein Glasauge, weil sie mit hundert km/h in einen LKW gerast ist und leidet unter Bulimie. An das Objekt ihrer Begierde: den Religionslehrer kommt sie nicht heran und als sie den türkischen Penis ihres Klassenkameraden in sich wissen will, hat der das Interesse an ihr bereits verloren.

"Traumpaar, nackt" schließt dort an, wo ein Emanzipationsprozess schon stattgefunden hat: die Protagonistin - diesmal wird sie in der dritten Person als Kati eingeführt - lebt weit entfernt von ihrer Familie als Studentin in einer WG. Sie hat eine beste Freundin, mit der sie alles bespricht und Aussicht auf einen Traummann - David, der sie besser kennenlernen möchte und mit dem man lange Strandspaziergänge machen könnte. Er interessiert sich für Politik und Umweltprobleme und unterhält sich in der Mensa mit Kommilitonen, die auch ein Interesse haben am Weiterbestehen der Welt. Katis Mitbewohnerin ist ganz nett, aber in Sachen Schlankheit, Männer und Lebenslust eine Konkurrenz. Trotzdem hat sich Kati ein- und zurechtgefunden in der Welt der Erwachsenen, die von Melanie Arns in Sprachbilder verpackt wird, die die Bitterkeit des Gewöhnlichen, Alltäglichkeit tragen: "Sie bleibt grundsätzlich gelassen am Wegesrand und hält sich an die Straßenverkehrsordnung: bei Rot steht sie, bei Grün geht sie. Routiniert lächelt sie unterwegs noch ein paar Männer an."

Wieder benutzt Arns ein Verfahren, das soziale und geschlechtsspezifische Konventionen in jelinek'scher Manier beleuchtet und seziert, so wenn sie Katis Verhältnis zu ihrem männlichen Umfeld beschreibt: "Kati kann Penisse in den Mund nehmen, die den Umfang einer Cola-Dose haben, Kati kann Analverkehr gut finden. Das Süßaussehen stößt in keiner Pose an irgendwelche Grenzen." Ebenso, wenn Kati akzeptieren muss, dass ihre beste Freundin ihr den potentiellen Mann des Lebens weggeschnappt hat und sich ausmalt, was die eigentliche Haltepunkte und Fluchtinseln ihres Lebens nun hinter ihrem Rücken treiben: "[...] Spürt, wie sie sich gegenseitig ins Ohr flüstern und ins Gesicht keuchen. Wie seine Eichel mit jedem Stoß weiter hervortritt und in Vanessas Sekret badet. Akzeptiere! Wie es schmatzt. Akzeptiere! Wie seine Eichel zu einer roten, überreifen Ziertomate heranwächst und zerreißt."

Im Gegensatz zum ersten Roman liegt die Tragik von Katis Geschichte nicht in der Gefahr von außen - der Vater, der sie missbraucht - sondern in der Unfähigkeit zu lieben. Auch wenn der Leser weiß, dass die Gründe für die misslungene Beziehung unter anderem in der Kindheit liegen, nimmt er Katis Problem als eines wahr, das in ihr selber liegt. In dem Moment, in dem ein Mensch sich wirklich für sie interessiert - wie David, der spürt, dass Kati in ihrer Jugend einiges erlebt hat, tritt sie den Rückzug an.

Der Text lässt keinen Raum für Mitleid, weil er Auswege aufzeigt und Angebote von Zuneigung schildert, die aber strikt abgelehnt werden. Die Sprache, die Arns wählt, vermeidet eine psychologische Ausdeutung, es werden Begriffe aus fremden Sinnzusammenhängen gewählt - zum Beispiel aus dem Bereich Handel und Wirtschaft - um Katis abwertende Haltung gegenüber jeglichen Hilfsangeboten zu beschreiben: "Kati hat es nicht nötig, betriebsfremdes Gebäck zu sich zu nehmen. Kati hat eigene Hersteller, [...]. Schließlich haben die Kati-Wünsche ein Verfallsdatum [...]."

Ungewöhnlich offen geht Arns in der Beschreibung weiblichen Erwachsenwerdens auf ein junges Lesepublikum zu. Denn wie selten begegnen uns Texte, in denen Frauen onanieren, während die Beschreibungen von klassischen Wichsszenen heranwachsender Männer sicher Stoff für eine Doktorarbeit hergeben würden. Schonungslos führt Arns ihre Protagonistin in den Lebenskampf als Kampf mit sich selber. Die Möglichkeit phantastischer Spinnereien, die im ersten Roman Luft lassen für Auswege, bietet sich hier nicht. Von ironischen Wendungen wie "Oma hört nicht auf zu sterben" in "Heul doch!" nimmt Arns eher Abstand.

Dennoch künden die letzten Sätze von einer Chance: "Ihrem Gesicht ist neuerdings so etwas wie ein natürliches Lächeln zu entnehmen. Wir verstehen das nicht." Trotz alledem: man lebt!

Vielleicht gibt es bald einen weiteren Roman? Man würde es sich wünschen.


Titelbild

Melanie Arns: Traumpaar, nackt. Roman.
Jung und Jung Verlag, Salzburg 2006.
106 Seiten, 15,80 EUR.
ISBN-10: 3902497173

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