Aufklärung als immerwährender Prozess

Die Festschrift für John McCarthy liefert einen Rundumschlag

Von Katrin A. SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin A. Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel der Festschrift für John McCarthy wagt viel: Versprechen und Grenzen eines Zeitalters in einen Band zu packen, das Phänomen Aufklärung in allen Facetten unter einen Hut zu bringen und dabei zu beachten, dass es ein Prozess ist, der nie aufhört, der immer noch anhält. In diesem Sinn versammelt der Band 14 Aufsätze, die alle verschiedene Schlaglichter auf das vielfältige Phänomen 'Aufklärung' werfen.

Das beginnt bei Wolfgang Albrechts "Ausführung(en) zur Bestimmung des Menschen", die ein "Zentralthema des Aufklärungsdiskurses" und seinen Bezug zu Lessing thematisieren. Albrecht geht dabei detailliert auf die Diskussion ein und zeigt Positionen von Spalding bis Wedekind, nicht ohne auf Thomas Appts Skeptizismus baylescher Prägung einzugehen.

Besonders erfreulich ist auch, dass die Literatur, die sich mit den Mozartopern und ihrem Bezug zur Aufklärung auseinandersetzt, durch den Aufsatz von Laurie Johnson erweitert wird. Denn noch immer hat die Annäherung Mozarts an die Philosophie des 18. Jahrhunderts einen experimentellen Charakter. Jede Studie hierzu, die nicht die Musik der Opern, sondern die enorme Sprengkraft der Libretti des Duos Mozart/Da Ponte ins Blickfeld rückt, trägt dazu bei, die spannende Diskussion um die Kontextualisierung der Opern zu erweitern. Johnson schlägt einen weiten Bogen: Ausgehend von Don Alfonsos Nähe zu den französischen philosophes vergleicht er das Experiment, das in "Cosí fan tutte" gezeigt wird, mit Houllebecqs "Elementarteilchen". In beiden sieht er zwei Pole der Aufklärung, die sich um Desillusionierung drehen. Das ist ein spannender Aspekt, den Johnson damit in die Diskussion um die Mozart-Oper einbringt.

Aber die Festschrift kann noch mehr. Neben Susanne Kords Aufsatz über die Hexenverfolgung im Zeitalter der Aufklärung, Richard T. Grays Reflexionen zur Verquickung von ökonomischer Wert-Theorie und literarischer Kultur und Thomas P. Saines Studie zur Auswanderung stellt auch Carl Niederk ein 'libertines' Phänomen in das Zentrum seines Aufsatzes. Er untersucht Elemente radikaler Aufklärung im Casanova-Motiv und stellt anhand des spannungsreichen Bogens zwischen absoluter Körperfeindlichkeit einerseits und pornografischer Libertinage wie in "Thérèse philosophe" andererseits das Erziehungsprogramm des Menschen zur Vernunft in das Zentrum seines Aufsatzes. Dabei zeigt er deutlich, dass es die Frauen sind, die die Aufklärung erfolgreich absolvieren: Es geht um "Casanova's failed Enlightenment", womit die Grenzen des Programms des Säkulums offensichtlich werden.

Simon Richters Aufsatz bildet eine Brücke, die weg vom 18. Jahrhundert führt. In seiner Studie zu Goethes "Faust" beleuchtet er die Rolle des Irrtums in Philosophie, Recht und Literatur. Denn nur durch einen Irrtum lasse Faust Mephisto überhaupt nur herein. Damit zeige sich der Irrtum als zentrales Motiv im "Faust", so Richter.

Der zweite Teil des Sammelbandes verlässt dann das 18. Jahrhundert völlig und beschäftigt sich mit den "Nachwehen" der Aufklärung. Beginnend mit Herbert Rowlands Skizzierung der kritischen Rezeption von "Nathan der Weise" im 19. Jahrhundert in den USA, über Robert Holubs Blick auf Nietzsche mit Bezug auf die "Dialectic of the Biological Enlightenment" kommt dieser Teil schließlich mit zwei Aufsätzen im 20. Jahrhundert an: Liliane Weissberg beschäftigt sich mit Hannah Arendts Rede anlässlich der Verleihung des Lessingpreises an die Philosophin. Weissmann hebt hervor, wie stark Hannah Arendt den Aufklärer Lessing in punkto Humanität und Toleranz bereits 1932 macht und betrachtet davon ausgehend Positionen von Arendts Gedankengang, die sie als deutsche Jüdin auch in den USA ausweist, wie Jaspers es immer wieder betont habe.

Frank Trommler fragt nach dem Gebrauchswert von Brechts Aufklärung. Brechts Forderung nach einer kritischen Selbstprüfung, wie er sie in Dramen wie "Der gute Mensch von Sezuan" forderte, ist für Trommler die intellektuelle Signatur eines Zeitalters, das einen "aufrechte[n] Gang" fordert - und dieser, betont Frank Trommler, ist nicht zwangsläufig mit dem Marxismus verbunden. Und so versucht der Autor auch, Brecht als späten Aufklärer zu definieren: Nur wenigen Schriftstellern sei es gelungen, so erfolgreich wie Brecht Aufklärung einzufordern.

Horst S. Daemmerichs Rückblick auf Friedrich Nicolai beschließt den Band und kommt damit zum Ausgangspunkt zurück. Unter Zuhilfenahme von Joches Beyses "Der Aufklärungsmacher" von 1985, zeichnet er ein Porträt des Aufklärers. Auch dass Beyse Friedrich Nicolai in einem neuen Licht zeige, sieht er als großen Vorteil fiktionaler Literatur, die als Korrektiv der Geschichte ein eigenes Wirken habe.

Der Band vereint dermaßen viele unterschiedliche Aufsätze, dass er ein überaus facettenreiches Bild des Phänomens Aufklärung, des aufgeklärten Zeitalters und seiner Fortwirkung in der Moderne zeigen kann, ohne dabei in Monotonie zu verfallen. Die Aufsätze bilden gewissermaßen ein buntes Tableau zur Erhellung eines vielschichtigen Phänomens.


Titelbild

Richard E. Schade / Dieter Sevin (Hg.): Practicing Progress. The Promise and Limitations of Enlightenment.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2007.
234 Seiten, 49,00 EUR.
ISBN-13: 9789042021464

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