Lebenselixiere
Ein Sammelband belebt den Gender-Diskurs mit einem Streitgespräch und kontroversen Beiträgen
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseKonkurrenz, so heißt es, belebe das Geschäft. Schon möglich. Fest steht jedenfalls, dass Kontroversen die Wissenschaften beleben. Mehr noch, sie sind ihnen ein geradezu unverzichtbares Lebenselixier. So ist es denn auch zu begrüßen, wenn ein wissenschaftlicher Sammelband nicht nur eine ganze Reihe einander widerstreitender Beiträge enthält, sondern zudem mit einem Streitgespräch zweier WissenschaftlerInnen eröffnet wird. Ein solcher Band wurde nun von einem aus nicht weniger als sieben Personen bestehenden HerausgeberInnen-Gremium publiziert. Schon dies mag die in dem Band gepflegte Streitkultur gefördert haben, der es unternimmt, den "State of the Art" der interdisziplinären Wissenschaftsdisziplin Gender Studies - oder wie es im Titel heißt: die "FrauenMännerGeschlechterforschung" - auf vielfältige Weise zu beleuchten.
Ihren Ausgang nahm die Publikation auf der im November 2005 abgehaltenen Jahrestagung der Sektion Frauen- und Geschlechterforschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, und die HerausgeberInnen versprechen in der Einleitung nicht zuviel, wenn sie Beiträge ankündigen, die nicht nur Ausdruck der "Ausdifferenzierung und Vielstimmigkeit" des Forschungsfeldes sind, sondern "Einblick in aktuelle Entwicklungen" bieten, empirische Forschungsansätze und Methodologien zur Diskussion stellen und es den Lesenden ermöglichen, "erkenntnistheoretische und wissenschaftspolitische Debatten nachzuvollziehen".
In den beiden letzten Teilen des dreigliedrigen Bandes werden zunächst "theoretische Zugriffe" auf den Forschungsgegenstand dargelegt und kritisch erörtert, wobei eine gewisse Konzentration auf die Systemtheorie ins Auge fällt. Abschließend werden anhand zahlreicher kleinerer, oft empirischer Einzelstudien verschiedene "Arbeiten mit der Kategorie Geschlecht", etwa aus den Bereichen "Arbeit, Organisation und Geschlecht" oder "Politik und Geschlecht", präsentiert und so ein "Streifzug durch die aktuelle FrauenMännerGeschlechterforschung" unternommen.
Eröffnet aber wird der Band mit besagtem Streitgespräch, das von Stefan Hirschauer und Gudrun-Axeli Knapp geführt wird und dem sich "Einsprüche, Fragen und Erörterungen ausgewählter[r] Diskussionsbeiträge" anschließen. Während der Lektüre des ebenso lebendigen wie auf meist hohem Niveau geführten Disputs möchte man am liebsten mitdiskutieren oder zumindest den einen oder anderen mal zustimmenden, mal fast schon empörten Zwischenruf riskieren.
Bemerkenswert ist zunächst, dass nicht nur die Positionen Hirschauers und Knapps einander widerstreiten, sondern die Ausführungen Hirschauers selbst nicht ganz frei von Ungereimtheiten sind. So propagiert er einerseits "nicht nur einen Ausstieg aus der Geschlechterforschung, sondern auch aus den Gender Studies", fordert aber andererseits, "sich auf den Weg der Gender Studies [zu] machen". Dieser Widerspruch lässt sich auch nicht durch seine Klage über die "Verlotterung des Labels Gender Studies" auflösen oder über seine fragwürdige Definition der Gender Studies als "eine Wissenschaft von der Geschlechterunterscheidung, die mit den Naturwissenschaften um die Beantwortung der Frage konkurriert, was das Geschlecht überhaupt ist: eine natürliche Tatsache unserer Organ- und Zellstruktur oder eine sinnhafte historische Praxis, in die auch Körper eingelassen sind". Fragwürdig ist diese Bestimmung nicht zuletzt darum, weil sie naturwissenschaftliche Gender Studies (oder Gender Studies in den Naturwissenschaften) negiert.
Die Kontroversen mit Knapp entzündet sich jedoch an anderem, etwa an Hirschauers Unterscheidung zwischen Geschlechterforschung, die "Phänomene mithilfe der Geschlechterunterscheidung" untersucht, und Gender Studies als "Geschlechterdifferenzierungsforschung", die "diese Unterscheidung selbst" beobachtet, woraus er folgert, dass die Themen der Gender Studies von der Geschlechterforschung "nur als Sprengstoff wahrgenommen und als Bestandsbedrohung abgewehrt" - und somit, wie er insinuiert, nicht angemessen diskutiert werden können. Knapp lässt sich auf diese implizite Unterstellung gar nicht erst ein, sondern will schon Hirschauers strikte Trennung der Forschungsfelder und Aufgabenbereiche nicht gelten lassen und bekäme von ihm "sehr gerne einmal [...] das epistemologische Kunststück vorgeführt, die Geschlechterunterscheidung zu beobachten, ohne je mit der Geschlechterunterscheidung zu beobachten". Verständlicherweise kann ihr Kontrahent nicht mit der eingeforderten Darbietung dienen und muss sich auf die Versicherung zurückziehen, er arbeite noch an ihr. Dennoch insistiert er darauf, dass es "zwischen Nutzung und der Beobachtung der Geschlechterunterscheidung keinerlei Überlappung" gebe, da sich dies "einfach logisch aus[schließe]". Denn man könne die Geschlechterunterscheidung nicht beobachten, während man sie benutzt. Überzeugender argumentiert Knapp, dass "ein Denken der oder mit der Geschlechtsunterscheidung keine Alternativen [sind], weil im Forschungsprozess immer beides geschieht".
Eine weiterer zentraler Disenz zwischen den beiden Dikutierenden besteht in der Forderung nach einer "postnormative Geschlechterforschung" (Hirschauer) und dem Beharren auf einer Geschlechterforschung als Kritik, die "mit wissenschaftlichem Geltungsanspruch als methodisch reflektiertes Wissen auftritt", ohne deshalb mit Politik "identisch" zu sein (Knapp). Während Hirschauer die "Politisierung der Geschlechterfrage" zum "größte Hemmnis" ihrer "intellektuellen Entfaltung" erklärt und einen "Willen zum Wissen" propagiert, der "rückhaltlos [...] objektivier[t]", beharrt Knapp auf der "wissenschaftliche[n] Produktivkraft" des "politischen Impetus der feministischen Wissenschaftsströmung".
Da scheinen wenig Gemeinsamkeiten übrig zu bleiben. Aber trotz aller Differenzen finden die KontrahentInnen am Ende ihrer Auseinandersetzung doch noch zum Schulterschluss, und zwar im von deutschen Gender-ForscherInnen der Fachrichtung Soziologie immer noch gerne betriebenen Butler-Bashing. Butlers "Gesellschaftsbegriff" sei noch immer "auf dem Stand der 1950er Jahre", legt Hirschauer vor. Und außerdem sei die "Performativität von Geschlecht" bereits Jahrzehnte vor Butlers "Gender Trouble" eine "zentrale Einsicht" von Harold Garfinkel und Erving Goffman gewesen, wobei Hirschauer offenbar der Unterschied zwischen performativer respektive diskursiver Konstruktion einerseits und sozialer Konstruktion andererseits entgangen ist. Auch Knapp scheint ihn im Eifer des Gefechts zu vergessen und assistiert, man hätte sich wirklich früher mit Garfinkel und Goffman auseinandersetzen müssen; und ja, "als Philosophin" kenne sich Butler "in der Gesellschaftstheorie nicht gut [aus]".
Anders als Hirschauer und Knapp differenziert die als promovierte Philosophin in solchen Fragen offenbar geschultere Andrea Maihofer in ihrem sehr lesenswerten Beitrag zurecht zwischen Goffmans Ansatz des doing gender und Butlers These des Geschlechts als Performativität. Thema ihres Beitrages ist die "Verschiebung" von der Frauen- zur Geschlechterforschung, deren "bedeutsamer Paradigmenwechsel" von der "Scientific Community" noch immer unterschätzt werde. Eindrücklich gelingt es ihr nicht nur zu zeigen, dass eine Verschiebung von der Frauen- zur Geschlechterforschung tatsächlich stattgefunden hat, sondern - wichtiger noch - dass mit ihr ein Paradigmenwechsel einherging, der zu einer "Weiterentwicklung und Radikalisierung der Fragestellungen" führt. Lag der Fokus der Frauenforschung auf den beiden Geschlechtern und ihrem Verhältnis zueinander, gehe es jetzt um eine "grundlegende Infragestellung von Geschlecht", der - und das ist von zentraler Bedeutung - der "patriarchatskritische Impetus" keineswegs notwendigerweise verloren gehe.
Eine weitere Kontroverse des vorliegenden Bandes wird um die Men's Studies beziehungsweise Männer- und Männlichkeitsforschung geführt. Diese jedoch nicht in einem Streitgespräch, sondern implizit durch Beiträge, deren Ansätze, Positionen und Ergebnisse nicht immer miteinander vereinbar sind. Die 'Diskussion' wird von Michael Meuser, Bettina Mathes und - in einem gemeinsamen Beitrag - von Andrea D. Bührmann und Torsten Wöllmann bestritten. Außerdem erörtern Christine Katz und Marion Mayer unter dem Stichwort "MännerWeltWald" Geschlechterkonstruktionen und Handlungsmuster von "Waldakteur/innen" sowie Jürgen Budde die "Herstellung" von Männlichkeit unter Schülern. In seinen Überlegungen zu einer "Leitkategorie" der Men's Studies unterbreitet Meuser einen Vorschlag, wie das Konzept der hegemonialen Männlichkeit "fruchtbar" voranzubringen sei. Hierzu führt er den auf Robert Connell zurückgehende Topos mit Pierre Bourdieus Darlegungen zur männlichen Herrschaft und zum männlichen Habitus zusammen und konzipiert hegemoniale Männlichkeit als "generatives Prinzip der Konstruktion von Männlichkeit", das sich nicht nur in einer "perfekten Verkörperung hegemonialer Männlichkeit", sondern ebenfalls "in den sehr viel häufiger verbreiteten untergeordneten Männlichkeiten" aufzeigen lasse. Hierzu müsse zwar vor allem die Beziehung von Männern untereinander ins Auge gefasst werden, doch sei auch nach der "Verschränkung" dieser Relation mit der zum 'anderen' Geschlecht zu fragen. Will Meuser das Konzept der hegemonialen Männlichkeit fruchtbringend weiterentwickeln, verwirft es Bettina Mathes in einer überzeugenden Kritik als unrettbar, da es "abendländischer Männlichkeit(en) eher reproduziert als analysiert".
|
||