Trauma 1968
Peter Wapnewski legt den zweiten Teil seiner Erinnerungen vor
Von Oliver Pfohlmann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAutobiografien haben ein "dramaturgisches" Problem: Sie enden selten so spannend, wie sie beginnen. Zumal solche, deren Protagonisten das 20. Jahrhundert erlebten. Egal, ob es sich um Elias Canetti oder Marcel Reich-Ranicki handelt: Gebannt liest man von Kindheit und Jugend des Autors, von seiner ersten Begegnung mit Liebe und Literatur oder seinem abenteuerlichen Überleben in Zeiten des Krieges - aber eher lustlos von jenen Jahren, in denen sich die Lebensverhältnisse gefestigt haben. Weshalb viele Autobiografen wie zuletzt Günter Grass ihre Erinnerungen gar nicht erst über die Jugendjahre hinausgehen lassen.
Ist der Held endlich der geworden, der er ist, und haben sich die Zeitläufte beruhigt, gibt's nur noch wenig zu erzählen. Der Lebensfaden führt zwar weiter, aber er franst aus. Statt vom Autor ist dann meist mehr von seinen Freunden und Weggefährten die Rede. Die Erinnerungen des Mediävisten und Richard-Wagner-Kenners Peter Wapnewski, Jahrgang 1922, bilden da keine Ausnahme. Ihr nun im Jahresabstand vorgelegter zweiter Teil, der die Jahre 1959 bis 2000 umfasst, porträtiert unentwegt Kollegen wie Joachim Bumke oder befreundete Kritiker wie eben Reich-Ranicki.
Die Fortsetzung von Wapnewskis Gelehrtenkarriere beginnt in Heidelberg. Dort, in der noch heilen Welt der hierarchisch geordneten Ordinarien-Universität, lehrte Wapnewski nach 1959 neben Größen wie Hans-Georg Gadamer, Karl Löwith oder Dolf Sternberger und erlebte die "schönste" Phase seiner Professorenlaufbahn. Dass die geisteswissenschaftliche Fakultät zu Heidelberg damals eine "noble, wenn auch frauenlose Gesellschaft" war, findet Wapnewski im Rückblick "schwer begreiflich", spricht die "Männer unter sich" aber sogleich vom Verdacht der Misogynie frei.
Zum lebenslangen Trauma gerät für diesen Grandseigneur der Germanistik die nächste Station seiner Laufbahn, die Berufung an die FU Berlin 1966. Als Geschäftsführender Direktor muss er erleben, wie die revoltierenden Studierenden sein Institut plündern und "ein Chaos aus Trümmern und Dreck" hinterlassen, als Dozent, wie seine Seminarteilnehmer - unter ihnen Benno Ohnesorg - ihn mit der Frage nach der "gesellschaftlichen Relevanz" des "Parzifal" quälen. Denn "die krude Nutzbarmachung etwa der Artus-Runde für die sozial-moralischen Irritationen einer irgendwohin verblendet nach neuen Ufern Ausschau haltenden Generation wollte sich nicht eben anbieten."
Die fortgesetzten Demütigungen lassen den Altgermanisten rasch die Flucht ergreifen. Schon 1967 wechselt Wapnewski in "die freundlichen Gefilde des Badischen", nach Karlsruhe. Dass seine Berliner Studierenden ihn noch mit Unterschriftenlisten zum Bleiben zu bewegen suchten, weil sie durch seinen Weggang eine "Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen" befürchteten, vermerkte Wapnewski, der aus Heidelberg bei auswärtigen Rufen traditionelle Fackelzüge gewohnt war, nicht ohne Genugtuung. Indes: "Es ging mir ja auch um meine 'Arbeitsbedingungen'".
Der Autor macht keinen Hehl daraus, dass er der alten Ordinarien-Universität, an der noch Platz für schrullige Forscheroriginale war, nachtrauert und für die moderne Massen-Uni mit ihrer aufgeblähten Bürokratie wenig übrig hat. Die zeitgeschmäcklerischen Windungen der Hochschulpolitik, die neuerdings wieder nach Elite-Unis ruft, kommentiert er mal ironisch, mal maliziös. Das Wissenschaftskolleg zu Berlin, dessen Gründungsrektor er 1981 wurde, war denn auch nichts weniger als ein Versuch der Restitution, wie Wapnewski bekennt. Mit dieser Institution sollte auch eine ihn besonders schmerzende Versehrung durch die Studentenrevolte ihr tröstliches Pflaster finden, nämlich der Verlust an "Wahrnehmung und Wahrung äußerer Formen". Sind sie es doch, die für Wapnewski "das Individuum vor dem Verlust seiner Verfassung" schützen. Dass er dabei mitunter auf verlorenem Posten stand, zeigt sein mit Selbstironie geschilderter vergeblicher Versuch, hierarchische Strukturen in der Tischordnung des Speisesaals abzubilden.
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