Schreiben ist auch Gewohnheit

Zum 75. Geburtstag der Schriftstellerin Gabriele Wohmann

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich mich nicht gut. Schreiben ist auch eine Gewohnheit, auch wenn es stimmt, dass ich ohne Schreiben wohl nicht atmen könnte", erklärte Gabriele Wohmann im Dezember 2006 in einem Interview.

Diese Gewohnheit betreibt sie immer noch mit beachtlichem Eifer. Allein in den letzten 20 Jahren hat sie 18 Bücher (Romane und Erzählungen) mit einem kapitalen Gesamtumfang von mehr als 5.000 Seiten veröffentlicht. Sie selbst bezeichnete sich einmal als "Graphomanin", und aus ihrem persönlichen Umfeld wurde die These aufgestellt, dass sie schreibe, um zu überleben. Einen beträchtlichen Teil ihres Lebenswerkes (Manuskripte, Korrespondenzen und handschriftliche Aufzeichnungen) hat die Autorin 2005 bereits dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach zur Verfügung gestellt.

Gabriele Wohmann, die vor 75 Jahren als Tochter eines Pfarrers in Darmstadt (wo sie heute noch lebt) geboren wurde, arbeitete nach dem Musik- und Germanistikstudium drei Jahre als Lehrerin in ihrer Heimatstadt und auf der Nordseeinsel Langeoog, ehe sie sich vollends der Literatur widmete und eines der jüngsten Mitglieder der legendären "Gruppe 47" wurde.

Den literarischen Moden hat sich die Darmstädterin, die unter anderem mit dem Stadtschreiberpreis der Stadt Mainz, dem Hessischen Kulturpreis, dem Konrad-Adenauer-Preis und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, im Laufe von fast vier Jahrzehnten hartnäckig widersetzt. Gabriele Wohmann ist stets eine traditionelle, dem Realismus verpflichtete Erzählerin geblieben, und auch in ihrer Lyrik bevorzugt sie die einfache, klare Sprache.

Ihre Romane und Erzählungen sind zumeist in dem Milieu angesiedelt, das die Autorin - ihr eigenes Umfeld charakterisierend - als "spätbürgerlich" bezeichnet hat. Die vermeintlich kleinen Katastrophen im zwischenmenschlichen Bereich, die als Spiegelbild für eine sich verändernde Gesellschaft fungieren, die Vereinsamung des Individuums, abrupte Veränderungen im gewohnten Alltag oder schmerzliche Verluste durch den Tod eines nahen Angehörigen (so in einem ihrer besten Erzählwerke "Frühherbst in Badenweiler", 1978) - dies sind die ständig wiederkehrenden und mannigfaltig variierten Sujets.

Doch Gabriele Wohmann hat nicht nur mit sezierendem Blick in gutbürgerliche Wohnstuben geschaut und die dort verborgenen Tragödien beleuchtet, sondern auch latent auf gesellschaftlich-politische Problemfelder (Umweltzerstörung, Golfkrieg, deutsche Vereinigung, Alkohol- und Tablettenmissbrauch, Patchwork-Familien) aufmerksam gemacht. Nicht in Leitartikel-Manier mit moralisierendem Zeigefinger, wie es viele Kollegen bevorzugten, sondern zwischen den Zeilen - verborgen hinter ihren literarischen Figuren.

Mehr als siebzig Bücher und ein gutes Dutzend erfolgreicher Hörspiele hat Gabriele Wohmann veröffentlicht. Unübersehbar ist aber auch, dass sie sich in den letzten Jahren zur Epigonin ihrer selbst entwickelt hat. Themen, Figuren und das beschriebene gesellschaftliche Ambiente unterscheiden sich nur noch durch Nuancen, wie ihre letzten Erzählungen "Scherben hätten Glück gebracht" unter Beweis stellten. Das Schreiben ist tatsächlich allzu stark zur Gewohnheit geworden.

Durchaus charakteristisch für diesen Zustand stellt die Wohmann-Figur Muriel am Ende des letzten Romans "Schön und gut" (2002) die Frage: "Also was nun, Leben oder Kunst?" Gabriele Wohmann hat sich für das Leben entschieden.