Vom Dorfpunk zum Stadtloser?

Ein Mann namens Sonntag - Rocko Schamonis neuer Roman "Sternstunden der Bedeutungslosigkeit"

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rocko kommt aus Lütjenburg, irgendwo im Norden, in der vermeintlichen Weite Schleswig-Holsteins. Er spielte in einer Punkband - und mit einem Sombrero auf dem Kopf ist er irgendwann nach Hamburg gezogen, um Musik zu machen. Das war damals sehr cool und ist es heute immer noch. Die erste kleine Single von dem Typ mit dem Sombrero steht immer noch im Plattenschrank: "Liebe kann man nicht kaufen". Das war 1987. Seit dem hat sich einiges getan. Der "Dorfpunk" ist ein 'echter' Musiker geworden, außerdem noch Komiker, Clubbesitzer, Plattenlabelbetreiber und inzwischen auch Schriftsteller. Als solcher stellt er hier auf 250 Seiten einen von autobiografischen Erlebnissen durchsetzten Ausschnitt aus dem Leben des Michael Sonntag vor. Es ist kein Alter Ego des Autors, das dem Leser gegenübertritt - schon weil der Protagonist in Bremen geboren wurde -, aber es ist wohl die Fortsetzung einer "Autobiographie", die von Schamoni in "Dorfpunks" begonnen wurde und sich jetzt vom Dorf in die Stadt verlagert hat.

Michael Sonntag ist offensichtlich, betrachtet man seine Lebensverhältnisse, ein Loser. Eingeschrieben als Kunststudent, der die Universität nicht mit seiner Anwesenheit beehrt, lebt er im Hamburger Schanzenviertel in einem heruntergekommenen Haus. Seinen Mitbewohner Bruno hat er auf der Straße aufgelesen und seine Jobs findet er auch nur mehr oder weniger zufällig - je in Abhängigkeit von seinem akuten Geldmangel. Ein wichtiger Bestandteil seines Alltag sind die Exkursionen in die Welt des Konsums: "Er lässt mir keinen Grund zu bleiben, also gehe ich an ihm vorbei, rein zu Lidl, um mich dort in die Schlange der anderen Überflüssigen einzureihen: mit den engen Leggins, den Jogginghosen, den verrenkten Figuren und den stinkenden Haaren. Zerstörte Gesichter, in denen das Leben wie eine Bombe explodiert ist, gichtige Finger, an denen Tüten hängen, in denen Getränke transportiert werden. Kinder, die an dreckigen Ärmeln hängen, die bei Lidl früh lernen die richtigen Produkte zu kaufen, um später zu Hause in die Trinkerschule zu gehen."

In der Beschreibung des Alltags des Protagonisten gelingt Schamoni die Gratwanderung zwischen der erschütternden Trivialität des Alltags und seiner Rolle als hoffnungsversprechender Held, der trotz aller Widrigkeiten und nahezu völliger Perspektivlosigkeit nicht aufgibt. Eine wichtige Kraft in diesem äquilibristisch diffizilen Zustand des Verlierens nimmt Herrn Sonntags Vorliebe für Frauen ein - oder wie es der Protagonist selbst formuliert: "Die Frauen und das Bafög. Das sind schon zwei gewaltige Gründe, um Kunst zu studieren. Bessere gibt es nicht. Ich muß doch Künstler werden. Nur noch etwas Freiheit, eine kleine Spanne im Nichts, dann verspreche ich, werde ich zurückkehren in die Welt der Zusammenhänge, werde ordentlich und engagiert studieren und mit viel Fleiß und Mühe ein gut situierter Künstler werden. Nur noch eine kleine Weile im Nichts. Um zu lernen. Es gibt keinen größeren Lehrmeister als das Nichts."

Ein Vorschein auf eine hoffnungsvolle Zukunft blinkt ab und an durch die Geschichte. Etwa wenn es dem Protagonisten gelingt, in einer Band mitzuspielen, natürlich ohne vorbelastende musikalische Kenntnisse. Glück zeichnet sich ab, bricht aber ebenso schnell wieder in sich zusammen: "Wir versuchen es noch ein paar Mal [zusammen zu spielen, Anm. d. V.], doch der eine Moment kommt nicht wieder. Irgendwann kauern wir uns auf den Boden und trinken das mitgebrachte Bier. Das besänftigt meine Enttäuschung, Ich bestehe aber darauf, die Probe für heute abzubrechen. Schließlich gehen wir alle gemeinsam, fahren nach St. Pauli und ins Ex. Willkommen im Nichts."

Diese Spannung zwischen der Negation der Integration in die Gesellschaft, mit Regeln und Normen, und das gleichzeitige Streben nach Glück, Zuwendung, Liebe - die in dem Traum von einer schwarzhaarigen Traumfrau kulminieren - durchziehen den Roman ebenso, wie die katastrophalen Auswirkungen eines kleinkarierten Alltags auf eine - nur scheinbar - völlig unorganisierten Existenz, deren größtes Bestreben ein unbestimmter Freiheitsdrang ist. Dies lässt Schamoni seinen Protagonisten in prächtigen Bildern ausleben, etwa beim einsamen Herumsitzen am Hafen.

Und dann ist es die Verbindung von Melancholie und Blues, die durch die Erzählung des Ich-Erzählers scheint, wenn er die Schiffe am Hafen beobachtet: 'Sitting On The Dock Of The Bay...'. Da ist der Musiker Schamoni präsent, der sich auch gerne mal aus seinen eigenen Liedern ein paar Bruchstücke ausleiht: "Ich bin der Beobachter!" - womit er einen zentralen Aspekt des Romans beschreibt, der maßgeblich das Lesevergnügen über die gesamten 250 Seiten des Buchs hält: eine entspannte, gelassene, immer ein wenig zu sich selbst Abstand haltende Perspektive beim Erzählen, die selbst nicht beim letzten Satz des Bands verloren geht und einen hoffen lässt, Herr Sonntag werde uns weiter aus seinem Leben erzählen: "Sie dreht sich um, erkennt mich und lächelt mich an. Und damit fängt die Geschichte an."


Titelbild

Rocko Schamoni: Sternstunden der Bedeutungslosigkeit.
DuMont Buchverlag, Köln 2007.
250 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783832180119

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