Kafka, eine Lachnummer?
Zu drei Studien über Franz Kafka
Von Heribert Hoven
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass die Kafka-Literatur in immer neue Dimensionen der Unübersichtlichkeit vorstößt, spricht eher für den stillen Dichter aus Prag als gegen ihn. So vermag allerdings jedes neue Werk über Kafka lediglich einen weiteren Saumpfad zu schlagen durch den Dschungel der Interpretationen und Annäherungen, ohne indes zum einzigen und höchsten Gipfel der Erkenntnis zu gelangen.
Drei Titel sind anzuzeigen, die sich alle auf besondere Weise mit Kafka beschäftigen: Obwohl das Bild des Dichters den Titel ziert, bleibt Kafka in dem von Marek Nekula und anderen herausgegebenen Band "Kafka im sprachnationalen Kontext seiner Zeit" eher eine Randfigur. Vielmehr sind hier zwölf Beiträge verschiedener Forscher versammelt, die diese auf dem Regensburger Symposium 2005 vorgetragen haben, das sich, wie der Untertitel verrät, dem Thema"Sprache und nationale Identität in öffentlichen Institutionen der böhmischen Länder" von grob gerechnet 1848 bis 1938 widmete. Diese Landschaft ist für den Philologen und Historiker gleichermaßen interessant, weil hier der ideologiebildende Nationalismus des 19. Jahrhunderts auf einen ausgeprägten Multilingualismus stieß. Das leitbildende Interesse der Forscher für unsere Gegenwart und Zukunft ist es, durch die Darlegung der Vorgänge in Böhmen den bis heute verbreiteten Monolingualismus bei staatlichen Ordnungsvorstellungen zumindest als historisch, wenn nicht als ideologisch zu bewerten.
Der Frage, ob territoriale Einsprachigkeit die Voraussetzung für die Bildung einer Nation ist, geht Georges Lüdi in seinem Eingangsbeitrag nach. Mehrere Beiträge behandeln den deutsch-tschechischen Sprachenstreit der Habsburger Zeit, aber auch die Rolle der Juden, die es mehrheitlich, aber geografisch durchaus unterschiedlich, ablehnten, im Jiddischen eine eigene nationale Sprachidentität zu entwickeln, und stattdessen häufig das Deutsche favorisierten, wodurch sie sich in manchen Gegenden isolierten beziehungsweise als einzige Sprecher des Deutschen hervortaten. Hannelore Burger untersucht in ihrem Beitrag dezidiert das mehrsprachige Unterrichtswesen der sogenannten Kafka-Zeit und geht hierbei auch auf die Schulerfahrungen Franz Kafkas ein: "Obwohl zeitlebens mit seinen Tschechischkenntnissen unzufrieden, war Franz Kafka unvergleichlich besser der tschechischen Sprache in Wort und Schrift mächtig, als viele seiner jüdischen Freunde", lautet ihr Fazit.
Noch fallorientierter geht Simona Svingrová in ihrem Beitrag über die Bedeutung der beiden Landessprachen Deutsch und Tschechisch in der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag vor, deren Angestellter Franz Kafka von 1908 bis zu seiner Pensionierung 1922 war. Sie rekapituliert Geschichte und Bedeutung dieser Versicherungsanstalt und beschreibt Einsatz und Beherrschung der beiden Amtssprachen durch die Beamten Rudolf Lang und Franz Kafka. Dabei wird eine Entwicklung von einer liberalen Gleichgültigkeit hin zur nationalistischen Stimmung deutlich.
Dass Franz Kafka den sich verschärfenden Sprachenstreit auch in seinem Werk reflektierte und darauf, wie so viele Dichter seiner Zeit, mit Sprachskepsis reagierte, thematisiert ein Beitrag von Friedrich Schmidt.
Die Zeichen der Distanzierung, die vielen Kunstwerken der Moderne zu Eigen sind, deutet Peter Rehberg in einem sehr weit gefassten Sinn als komisch. War Kafka der König der Komiker? Schrieb er seine Werke als Lachnummern?
In dem von Barbara Weidle herausgegebenen Sammelband zu Kafkas Verleger Kurt Wolff, der zugleich das Begleitbuch zu den Ausstellungen in Bonn, Frankfurt und Wien ist, kann man folgende kleine Anekdote lesen: Als 1913 Kafkas erstes Buch "Betrachtungen" erschienen war, meinte der Debütant gegenüber seinem Freund Rudolf Fuchs: "Elf Bücher wurden bei André abgesetzt. Zehn habe ich selbst gekauft. Ich möchte nur wissen, wer das elfte hat."
Peter Rehberg würde die oben gestellte Frage unbedingt mit "Ja" beantworten. Er beginnt seinen umfangreichen Essay "lachen lesen" mit einer grundsätzlichen Untersuchung zu den Bedingungen und zur Historiografie des Lachens, wobei er sich vor allem auf Baudelaire, Benjamin und Derrida beruft. Sodann entwickelt er eine "Theorie der Rhetorik, die Literatizität als Grundlage einer Epistemologie des Literarischen annimmt, mit der Akzentuierung der Figur der Ironie gegenüber der Allegorie", wie er selbst seine Vorgehensweise resümiert. Im Dialog mit einigen Schlüsselsätzen von Paul de Man gelangt er zu einer Standortsbestimmung von Literatur, die wesentlich durch ihre Komik bestimmt ist, die Rehberg im Untertitel als eine spezielle "Komik der Moderne" identifiziert. Rehbergs Arbeit ist weniger analytisch als vielmehr diskursiv angelegt. Seine Dialogpartner verweist er in die Fußnoten, die in der Regel vom Umfang her gegenüber dem Text deutlich dominieren. Seine Gedanken sind nummeriert; sie setzen oft mit einer Frage ein; beispielsweise: "Was ist Literatur? Literatur ist zum Lachen. Versuchen wir diesen Satz ernst zu nehmen. Aus einer vorzeitig enttäuschten Hermeneutik ergibt sich die Frage nach der Literatur selbst, gerade weil diese eine Antwort verweigert." Die Unmöglichkeit der Interpretation erweist sich als die komische Basis für "ein Lesen, das vom Lachen ausgeht", das vor seiner eigenen Gefährdung nicht zurückschreckt und über das es sich auszutauschen gilt. Im dritten und letzten Teil wendet er sich der Lektüre von Kafkas Erzählung "In der Strafkolonie" zu. Dass Kafka selbst beim Vortrag seiner Texte ins Lachen geriet, wird durch biografische Quellen belegt. "Erstaunlich genug, wenn man den fürchterlichen Ernst des Kapitels bedenkt", konstatiert zum Beispiel Max Brod. Sodann umkreist Rehberg die fünf Stellen in Kafkas Erzählung, die explizit vom Lachen handeln; hervorgehoben sei die irritierende Textstelle: "Der Verurteilte lachte ohne Worte leise vor sich hin." Das Lachen erweist sich in der Terminologie Freuds als Abfuhrlust, als ein Geschenk des Auswegs, ohne allerdings eine Rückkehr zu implizieren.
Weniger spekulativ sind demgegenüber die Beiträge im Begleitband zur "Kurt Wolff-Ausstellung". Obwohl bereits gut dokumentiert, hat die Herausgeberin hier zahlreiche neue Materialien zum Leben des Verlegers Kurt Wolff (1887-1963) und dessen zweiter Frau, Helen Wolff (gest. 1994) zusammengetragen oder Bekanntes neu bewertet. Wolff gehörte zu einem besonderen, heute selten gewordenen Verlegertyp, der sein (ererbtes) beträchtliches Vermögen mäzenatisch zur Förderung einer jungen und weitgehend unbekannten Schriftstellergeneration einsetzte. Er gewann Max Brod und Franz Werfel als Mitarbeiter und kreierte mit diesen zusammen eine Buchreihe, die den literarischen Expressionismus berühmt machte: Der jüngste Tag. Der Titel der 86 Bände umfassenden Reihe, in der als Band drei auch Kafkas Erzählung "Der Heizer" erschien, war, wie Rolf Bulang in seinem Beitrag nachweist, programmatisch. Zum einen verkündete er Erzeugnisse von absoluter Aktualität, zum anderen verweist er auf das Ende der Zeiten und damit auf Endgültiges. Nach dem Ersten Weltkrieg musste Wolff allerdings seine idealistische Vorstellung revidieren. Weil er in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten zunehmend auf Bestseller wie Gustav Meyrinks "Golem" oder die Werke von Tagore setzte, geriet er immer in gegensätzliche Positionen zu seinen avantgardistischen Autoren. Mitte der zwanziger Jahre gründet Wolff den Kunst-Verlag Pantheon. 1933 muss Wolff Deutschland verlassen, 1941 gelingen ihm und seiner Frau Helen die Flucht in die USA, wo sie erneut einen Verlag, Pantheon Books, gründen. Hier machen sie die Amerikaner mit den bedeutendsten Werken der europäischen Literatur und Kunst bekannt und fördern vor allem auch die Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur, wie Grass, Johnson und Jurek Becker.
Die Persönlichkeit des jungen Verlegers erhellen seine hier erstmals in Auszügen publizierten Aufzeichnungen aus dem Ersten Weltkrieg. Grundlegende Beiträge würdigen das Verhältnis von Kurt Wolff zur Musik und zur bildenden Kunst, vor allem aber auch zu seinen Prager Autoren. Die Probleme der Emigration werden deutlich in den bislang unveröffentlichten Dokumenten des Emergency Rescue Committee. Aus dem Nachlass werden Photos und Briefe gezeigt, unter anderem von Frans Masereel und Hannah Arendt, und die Enkelin Christiane Stadelmayer Clemm hat sehr persönliche Erinnerungen an die Großeltern beziehungsweise die Großmutter verfasst. "Keiner der Autoren, mit denen wir in Verbindung stehen, tritt so selten mit Fragen und Wünschen an uns heran wie Sie", schreibt Kurt Wolff 1921 an Franz Kafka. Trotzdem, das zeigen alle drei hier vorgestellten Bände, erweist sich der bescheidene Prager Dichter einmal mehr als das Epizentrum einer Epoche, die zu den spannendsten der Geistesgeschichte zu rechnen ist.