Traurige Topiken

Volker Demuths Künstler-Essays zur Ästhetik vor- und postmoderner Räume

Von Joachim LandkammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Joachim Landkammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Volker Demuth, Lyriker, Essayist, ehemaliger Professor für Medientheorie und seit kurzem auch Prosaschriftsteller ("Das angekreidete Jahr. Rondo einer Kindheit", 2007), geht in diesem 2002 vorgelegten Band dem Phänomen des "Ortes" nach, das er in anthropologischer Perspektive als konkret gewordene, menschenbezogene Räumlichkeit mit sozialsemiotischen, wahrnehmungsleitenden Wirkungen versteht. Dabei werden historische Erscheinungsformen analysiert und der heutigen "Ortlosigkeit" und "Ortsauslöschung" gegenübergestellt, die Demuth durch die Globalisierung, die universale Kartogafierung (hier drängt sich heute die Parallele zu Daniel Kehlmanns Bestseller auf) und die mediale Virtualisierung aller realen Raumdistanzen charakterisiert sieht. Die verbreiteten Raummetaphern in Internet und Cyperspace (heute: "second life") seien allesamt trügerisch, weil zum eigentlichen Ort der Widerstand, die Körperlichkeit und eine "Schwellenkultur", also die Erfahrung von Grenz(überschreitung)en, gehöre.

Demuths süffig formulierte Überlegungen bieten interessante Denkanstöße, solange sie relativ dicht am kulturgeschichtlichen Phänomen bleiben: Wenn etwa die traditionelle, auf den aufrechten Kopf fokussierte distanzierte Räumlichkeit der heutigen "manualen" Welterfahrung kontrastiert wird, die auf Handlichkeit, Taktilität und wörtliche "Digitalisierung" abstellt; oder wenn der eminente öffentliche Ort der mittelalterlichen Oral- und Akustikkultur, die Kathedrale, dem Buch - also der lautlosen, entsinnlichten Schrift - gegenübergestellt wird, die alles Nicht-Geschriebene trivialisiert. Oder auch, wenn Demuth in den Schmerz- und Gewaltbildern Francis Bacons vor dem Hintergrund von dessen privater Gewalterfahrung ein wichtiges Charakteristikum hervorhebt: Die verletzliche Haut als Weltgrenze, die die Körper an Landschaften anschließt und den "Figuren in Landschaften" erlaubt, mit ihnen zu verschmelzen; ähnlich die Naturformen im Spätwerk , die sich in anthropomorphe Gestalten zurückzuverwandeln.

Die Einordnung dieser Partial-Einsichten in größere Zusammenhänge gerät Demuth aber zu einem eher kulturpessimistisch als kulturtheoretisch geprägten Gesamtblick, der stellenweise sowohl in pathetische Apokalyptik wie in elitäre Erlösungsphantastik ausfranst: Wenn die sinnliche und körperhafte Existenz des Einzelnen beschworen wird, die im gegenwärtigen ortlosen "Informationsinferno" verlorengehe, lauert unbenannt Heideggers gute alte "Eigentlichkeit" und "Jemeinigkeit" gleich um die Ecke; und wenn der Autor, der in Radiobeiträgen und in "Lettre International" gern auch den gegenwärten "Triumph des Vulgären" beklagt, auf "das schwierige und noble Glück der ästhetischen Differenz" hofft sowie darauf, auch heute noch "etwas zu sehen, was niemand noch sah" - dann winkt hier wohl, bis in die Satzstellung hinein, good ol' Teddy Adorno nochmal in unsere so trostlose Zeiten herüber - wie auch sonst Demuths stellenweise überdramatisierende Diktion mit ihren dröhnenden Superlativen und auftrumpfenden Adjektiven (weniger als "unermesslich", "unerreichbar", "atemberaubend", "unerhört", "unergründlich", "unermesslich" "unfassbar", "fast übermenschlich", ja "fast divin" ist hier fast nichts) an eine kulturkritisch engagierte Gesinnungs-Essayistik erinnert, von der man "gern länger schon nichts mehr gehört hat" (Max Goldt).

Das ist insofern schade, als der Autor, auch wenn er hier keine "wissenschaftliche" Abhandlung im engeren Sinn vorlegt (leider fehlen ja auch Nachweise der Zitate und der Bilder, deren Aussagekraft durch die plumpe Schwarzweiß-Wiedergabe sowieso stark beeinträchtigt ist), durchaus stimulierende, belesene und originelle Gedanken zur Zeitdiagnostik beizusteuern hat. Aber "in diesem Ton" wird man sein Lob der "Verdunklungsleistung" der Kunst und ihrer Aufgabe der Überwindung der zweidimensionalen Textkultur in einer "Revalidierung der Orte und Ortsnetze" nur für das nehmen, was es natürlich auch ist: ein sehr weit ausholender und nur stellenweise profunder Kommentar zu seinen eigenen Ansichten und künstlerischen Arbeiten (hier vor allem seine multimedialen Sprachinstallationen, die so genannten "RaumPoeme").


Titelbild

Volker Demuth: Topische Ästhetik. Körperwelten Kunsträume Cyberspace.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2002.
248 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783826022814

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