Alles ist greller in der Neuen Welt

Isabel Allendes Roman "Inés meines Herzens"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Isabel Allende, die jüngst ihren 65. Geburtstag feierte, hat mit ihren Romanen rund um den Erdball ein riesiges Lesepublikum gefunden. Ihre Bücher bringen es inzwischen weltweit auf eine Auflage von mehr als 35 Millionen Exemplaren. Im neuen Roman der Nichte des 1973 ermordeten chilenischen Staatspräsidenten Salvador Allende steht wieder eine charismatische Frauenfigur im Mittelpunkt. Inés Suárez ist eigenwillig, unbeugsam und äußerst selbstbewusst - und das im 16. Jahrhundert.

Vier Jahre hat Isabel Allende umfangreiches Quellenmaterial studiert und auch Jorge Guzmáns 1993 erschienenen Roman mit der gleichen historisch verbürgten Protagonistin zu Rate gezogen. Entstanden ist daraus ein abenteuerliches historisches Märchen über Inés Suárez, die unter der Feder der Autorin fast zur Ikone gerät.

Die Hauptfigur stammt aus einfachen Verhältnissen in der spanischen Extremadura, heiratet Juan de Malaga, einen Taugenichts und leidenschaftlichen Liebhaber ("Er sog an meinen Brüsten, sagte, sie seien wie reife und süße Pfirsiche") in Personalunion. Ines' Ehemann bricht auf in die "neue Welt" - nach Südamerika, wo sich seine Spur in Venezuela verliert.

"Gebet, Arbeit und Einsamkeit, mehr hielt die Zukunft für mich nicht bereit", bilanziert die zunächst in Spanien zurückgebliebene Protagonistin, die im Roman als 70-jährige - den eigenen Tod vor Augen - ihrer Tochter Isabel ihren bewegten Lebenslauf erzählen will.

Immer stärker erwacht in ihr in jungen Jahren die Sehnsucht nach Aufbruch, Freiheit und einer imaginierten Form der Selbstbestimmung. "Dort, fern von denen, die mich kannten, würde ich mir selbst allein gehören", malt sich Ines ihr Leben jenseits des Atlantiks auf.

Mehrere Männer prägen nach der strapaziösen Atlantik-Überquerung ihren abenteuerlichen Lebensweg. Zunächst Juan, dem sie als junge Frau nach Südamerika folgt, dann der erfolgreiche Feldherr Pedro de Valdivia, mit dem sie zur Eroberung Chiles aufbricht, den sie aber nicht heiraten kann, da er vor der Überfahrt nach Südamerika in Spanien ein blutjunges Mädchen geheiratet hatte. Dennoch verbringt sie viele glückliche Jahre mit ihm, und der letzte Mann an ihrer Seite ist Rodrigo de Quiroga, einst Hauptmann des qualvoll zu Tode gekommenen Pedro.

Unübersehbar ist Isabel Allendes Neigung zum blumigen Pathos, das bisweilen nahe an die Kitschgrenze reicht: "Die Schwüle der Neuen Welt ist gemacht für Sinnlichkeit, alles ist greller, die Farben, die Düfte, die Aromen; selbst die Blumen mit ihren schweren Gerüchen und die lauen und klebrigen Früchte verleiten zu Wollust."

Geradezu antagonistisch dazu lesen sich die Passagen über die barbarischen Eroberungszüge der spanischen Truppen, und auch in deren internen Auseinandersetzungen fließt reichlich Blut. "Wir behaupten, das Land, das wir eben erst betreten haben, gehöre einem Monarchen, der jenseits des Meeres lebt, und erwarten von den Eingeborenen, daß sie zwei gekreuzte Hölzer anbeten", resümiert die Nebenfigur Belalcázar kritisch. Bei all dem "heldenhaften" Gemetzel darf bei Isabel Allende auch eine solche Stimme nicht fehlen.

Zwei Männer hat Inés verloren, nicht aber ihre Freude am Leben und ihren Tatendrang, als sie Rodrigo heiratet, der Gouverneur der neugegründeten Stadt Santiago wird. Mit ihm verbringt sie 30 weitere Jahre. Immer war Inés eine Frau, die sich in praktischen Dingen verstand, die es ihr auch in schwersten Zeiten ermöglichten, sich irgendwie durchs Leben zu lavieren - als exzellente Köchin und Näherin und als allseits gefragte und geschätzte "Medizinfrau".

Der Roman endet mit der Schilderung von Pedros qualvollem Tod durch die Mapuche (die Ureinwohner Chiles), die ihn auf bestialische Weise zu Tode foltern. Fernab von der Schlacht glaubte Inés, seine letzten Worte zu hören: "Leb wohl, Inés meines Herzens." Im spanischen Original heißt es allerdings "Inés del alma mia" (Inés meiner Seele).

Isabel Allende erzählt gewohnt fesselnd und farbenfroh, doch ihre Protagonistin Inés wirkt in der durch und durch patriarchalischen Welt des 16. Jahrhunderts stark überzeichnet und scheint allzu sehr mit Attributen aus dem Geist der Autorin ausgestattet zu sein. Bis tief in die Gegenwart reicht allerdings Allendes Botschaft von der Barbarei der Kriege, die Familien entzweit und nicht selten die Frauen als Statthalter der Tragödien zurücklassen.


Titelbild

Isabel Allende: Ines meines Herzens. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
397 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783518419304

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