Blüte gesamteuropäischen Geistes?

Rüdiger Safranskis Studie über die "deutsche Affäre" der Romantik provoziert manche Frage

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Um 1800 begann die Romantische Schule mit den Brüdern Schlegel und der Zeitschrift "Athenäum", mit Fichte, Schelling, Tieck, Wackenroder und Novalis, mit Vergangenheitssehnsucht, einem neu erwachten Sinn für das Wunderbare und das Geheimnisvolle, für das Dunkle und die poetische Mystik, gedankenschwer und verspielt zugleich. Junge Leute setzten fort, womit eine Generation früher der "Sturm und Drang" begonnen hatte, und trugen den Geist der Revolution in die Welt des Geistes und der Poesie. Rüdiger Safranski lässt die Geschichte der Romantik allerdings schon bei Johann Gottfried Herder beginnen, dem deutschen Rousseau, genauer: mit seiner Seereise nach Frankreich im Jahr 1769. Herder, überdrüssig der beengenden Lebensverhältnisse in Riga, war aufgebrochen, um die Welt seines Gottes "von mehr Seiten kennen zu lernen." Seine Reise führte ihn nach Berlin, Jena und Dresden, wo die Romantiker ihre Hauptquartiere aufgeschlagen hatten.

Zwischen Herders Seefahrt und der Frühromantik liegt die Französische Revolution von 1789, die nicht wenige Romantiker anfangs enthusiastisch begrüßt, sich aber dann von ihr abgewandt hatten, als Terror und Unterdrückung im Namen der Freiheit überhand nahmen.

Christoph Martin Wieland, Matthias Claudius, Clemens Brentano, Achim von Arnim, Johann Heinrich Voß, der Homer-Übersetzer, machen ebenfalls als Romantiker von sich reden. Mit Eichendorff und E.T.A.Hoffmann - er war, laut Safranski ein skeptischer Phantast - schließt um die 1820er-Jahre die Romantik als Epoche ab. Gleichwohl kamen romantische Geschichten weiterhin gut an, bemerkt der Autor.

Den ersten Teil des Buches widmet er der Romantik als Epoche, den zweiten Teil dem Romantischen als einer Geisteshaltung schlechthin, die in Deutschland, bemerkt Safranski, eine besondere Ausprägung erhalten habe, so dass im Ausland bisweilen die deutsche Kultur mit Romantik und dem Romantischen gleichgesetzt werde.

Den romantischen Geist charakterisiert Safranski als vielgestaltig, musikalisch und widersprüchlich. "Die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort", dichtete Eichendorff. Schon der junge Tieck besang die "mondbeglänzte Zaubernacht" und die "wundervolle Märchenwelt". Schiller stimmte mit seiner 1794 entwickelten Spieltheorie das Vorspiel zur romantischen Literaturrevolution um 1800 an. In mancherlei Hinsicht antizipierte die romantische Unbekümmertheit die spätere Postmoderne. Doch während die einen glaubten, noch alles vor sich zu haben, meinten die anderen, das meiste hinter sich zu haben.

Die Romantik nimmt Abschied von der aufgeklärten Nüchternheit. Man liest und schreibt mehr als zuvor und sieht in der Literatur eine faszinierende, das Leben inszenierende Kraft. Es tauchen Wunderheiler auf, Propheten, die den Weltuntergang oder die Wiederkehr des Messias predigen. Die Lust am Geheimnisvollen und Wunderbaren kommt auf, ebenso Ironie als lächelnder Respekt vor dem Unbegreiflichen. So vermeidet man dogmatische Anmaßung. Safranski verrät uns auch das Betriebsgeheimnis der Romantik. Es hieß ein ironisches "Als-ob". Man denke nur an Eichendorffs Zeile "Es war, als hätt' der Himmel die Erde still geküsst." Fichtes Philosophie weckt die romantische Lust, ein Ich zu sein. Jena wird zum romantischen Tatort. Aber es beginnt auch die unheilvolle Geschichte des modernen Aberglaubens, der die Welt aus einem Punkt begreifen und kurieren will.

Um 1805 sind die Grundzüge des Zeitalters noch universalistisch. Bei Fichte wird aus dem Universalismus schließlich ein Nationalismus. In seinen in Berlin gehaltenen "Reden an die Deutsche Nation" um 1807/8 wird das Vaterland zum eigentlichen Subjekt der Freiheit.

1813 schlägt dann die Stunde der politischen Romantik durch die antinapoleonischen Befreiungskriege. Es ist auch die Geburtsstunde der politischen Propaganda. Achim von Arnim, Theodor Körner, Eichendorff, Ernst Moritz Arndt sind die Barden der neuen patriotischen Bewegung. Körner dichtet sein berühmtes Freikorps-Gedicht über Lützows wilde verwegene Jagd. Neu ist indes, dass mit wahrer Inbrunst der Feind gehasst wird. "Ich will den Hass gegen die Franzosen", schreibt Ernst Moritz Arndt. Heinrich von Kleist wiederum verfasst wahre Hasstiraden und literarische Tötungsfantasien.

Romantisches im weitesten Sinne findet sich dann auch bei Heinrich Heine, Karl Marx, und bei den Jüngern des Dionysos, zu denen Safranski Richard Wagner und Nietzsche zählt. Dionysisches, gekennzeichnet durch mythisches Erleben und rauschhafte Verzückung, kann man in belletristischer Ausformung auch bei Ernst Jünger entdecken.

Heine war ein erotischer Romantiker, dessen Romantik die der Nachtigallen war. Doch da ein politischer Kopf war, war ihm durchaus bewusst, dass Schönheit und Poesie ihren Zweck in sich selbst haben. Bei Richard Wagner wird die Kunst zur Religion. Seine Musikdramen wertet Safranski als romantische Antwort auf das große Unbehagen an einer flachen, eindimensionalen Kultur. Ein Unbehagen an der Normalität, am Siegeszug des technisch-industriellen Denkens und des Materialismus, die beide nicht aufzuhalten sind, macht sich bei vielen Romantikern breit. Man möchte der entzauberten Welt der Säkularisierung etwas entgegensetzen. Auch Nietzsche nimmt Anstoß an Plattheiten und realitätstüchtiger Gesinnung seiner Zeit und setzt phasenweise auf den metaphysischen Trost der Kunst. Sein Name wird sogar zum Erkennungszeichen für all jene Romantiker, denen bürgerliche Konventionen, Nützlichkeitsdenken und Rationalismus zuwider waren. Safranski geht auf das Schaffen und Wirken vieler Persönlichkeiten ein: Ludwig Klages', Oswald Spenglers, Paul de Lagardes, Julius Langbehns, Hugo von Hofmannsthals, Rainer Marie Rilkes, Stefan Georges und Walter Flex'. Ungehemmt romantisch war um 1900 die Jugendbewegung. Thomas Mann und andere wiederum glaubten bei Kriegsbeginn 1914 die romantische Kultur gegen die westliche Zivilisation verteidigen zu müssen. Hesses Morgenlandfahrt erscheint und entpuppt sich überdies als eine Reise nach innen. Kierkegaard kommt in Mode. Als es Ende der 20er Jahre mit der angestrengten Sachlichkeit wieder vorbei ist, dringt der Wille zum Wunder, zum Geheimnis, das Romantische eben, wieder durch. Heidegger mischt sich als Priester in die Politik ein und ergreift das Wort, als es darum geht, der Weimarer Republik den Todesstoß zu versetzen. Der Autor sieht in diesem Verhalten ein Lehrstück darüber, dass Romantik aus der Politik herausgehalten werden sollte. Denn immerhin mündete Heideggers Vision von einer seinsgerechten Politik in eine fatale politische Romantik, die ihn Partei für die Nazis nehmen ließ. Und wie romantisch war der Nationalsozialismus insgesamt?

Die Romantik als geistige Vorgeschichte des Unheils sahen zwei maßgebliche Ideenhistoriker, Isaiah Berlin und Eric Voegelin. Hitler selbst behauptete als Erster, dass die romantischen Sehnsüchte der Denker und Künstler im Nationalsozialismus ihre Erfüllung finden würden. Natürlich kann man die nationalsozialistische Ideologie nicht auf die Romantik reduzieren, aber sicher hat auch sie ihren Anteil am Aufkommen der Nazis. Safranskis Reise durch die bizarre deutsche Geisteslandschaft endet schließlich bei dem vorläufig letzten romantischen Aufbruch, bei der Studentenbewegung von 1968 und ihren Folgen.

So weit ein kurzer, allzu flüchtiger Durchgang durch diese voluminöse, kenntnis- und aufschlussreiche Studie, in der der Verfasser manche Details und Zusammenhänge durch kleine erhellende Anekdoten anschaulich macht und auf viele Einzelaspekte eingeht, zum Beispiel auf die untergründige Beziehung der Romantik zur Religion, wobei deutlich wird, dass Schleiermachers "Reden" sich später als wirkungsmächtiges Gründungsdokument einer neuen, einer romantischen Frömmigkeit herausgestellt haben. Auch hätten die Romantiker, erfährt man, in die Abgründe des Menschen geblickt, tiefer als etwa Kant, der das Böse für beherrschbar hielt.

Die Romantik, stellt Safranski weiter fest, sei eine seit zweihundert Jahren nicht abreißende Suchbewegung. Weltfremdheit habe man ihr oft nachgesagt und behauptet, dass sie ein Kennzeichen des deutschen Geistesleben sei, das sich, laut Helmuth Plessner, mit einer besonderen Weltfrömmigkeit verbunden habe.

Safranski kommt zu dem Resümee: Die Romantik war zweifellos eine glänzende Epoche des deutschen Geistes. Als Epoche sei sie vergangen, doch geblieben sei das Romantische als Geisteshaltung. Es sei fast immer im Spiel, wenn ein Unbehagen am Wirklichen und Gewöhnlichen nach Auswegen sucht. Es gehört zur lebendigen Kultur. Aber romantische Politik, warnt der Philosoph Rüdiger Safranski, die sei gefährlich.

Safranski, der über E.T.A.Hoffmann, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger, Schiller sowie über die Wahrheit und das Böse viel gerühmte Werke verfasst hat, überrascht seine Leser auch diesmal mit einer Fülle von Material, Daten und Fakten, mit klugen Analysen, klaren informativen Erläuterungen, exzellenten Formulierungen, mit seiner Belesenheit und der Griffigkeit einzelner Erkenntnisse.

Allerdings sind auch Lücken und Mängel zu beklagen. Die Romantik in der Malerei und in der Musik wird, von Wagners Musikdramen abgesehen, kaum bedacht. Frauen, die wie Dorothea Schlegel, Karoline von Günderode, Bettina von Arnim, Caroline Schlegel und Henriette Herz aus der Romantik nicht wegzudenken sind, kommen nur am Rande, oft nur in Nebensätzen vor. Rahel Varnhagen wird nur kurz mit ihrem Vornamen erwähnt, doch im Register nicht aufgeführt.

Auch die judenfeindliche Seite der romantischen Schule (mit ihr erst beginnt der Judenhass, heißt es bei Heine) und die judenfeindlichen Einstellungen vieler Romantiker - auch diesmal bildet Richard Wagner wieder eine Ausnahme - wird unterschlagen.

Immerhin arteten Ernst Moritz Arndts Hassgesänge gegen die Franzosen bald zu antijüdischen Schmähreden aus, die später von den Nazis ebenso propagandistisch genutzt werden wie Kants Forderung nach einer "Euthanasie des Judentums". Kant nannte Juden, obwohl er mit Juden befreundet war und Moses Mendelssohn hoch verehrte, "Vampyre der Gesellschaft".

Fichte wiederum war ein ohne persönliche Leidenschaft argumentierender Judenfeind, dessen Thesen zum Nährboden eines militanten Antisemitismus wurden. Da er glaubte, dass die christliche Taufe allein nicht ausreiche, um in die neu entstehenden Gesellschaften gleichberechtigt eingegliedert zu werden, strebte er die "Befreiung der Juden von ihrem ,rückständigen Judentum'" an. Darauf deutet seine häufig zitierte Aussage hin: "Ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein anderes Mittel als das: in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzustecken, in denen auch nicht eine jüdische Idee steckt." Auch war er Mitglied der von Achim von Arnim und Clemens von Brentano unter Mitwirkung von Kleist gegründeten antisemitischen und frauenfeindlichen Christlich-deutschen Tischgesellschaft.

Schleiermacher verstieg sich ebenfalls zu einem massiven Antijudaismus, obgleich die ungetaufte Jüdin Henriette Herz seine engste Vertraute war. Hegel behauptete dagegen: "Der Löwe hat nicht Raum in einer Nuss, der unendliche Geist nicht Raum in dem Kerker einer Judenseele" - und Herder wiederum forderte mehr oder weniger die Selbstaufgabe des Judentums als Voraussetzung für die nationale und kulturelle Integration in die jeweilige Nation.

Und last but not least: Rüdiger Safranski betont zu sehr die Verwurzelung der Romantik im deutschen Geistes- und Kulturleben und sieht in ihr fast ausschließlich eine deutschen Affäre, obwohl sie doch eine Blüte des gesamteuropäischen Geistes war, mit großer Ausstrahlung auf die Kulturen anderer Kontinente.


Titelbild

Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre.
Carl Hanser Verlag, München 2007.
432 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446209442

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch