Reportagen über eine Republik im Überlebenskampf

Erstmals werden die "Berichte aus dem Deutschland der Inflationsjahre 1922-1924" des katalanischen Journalisten Eugeni Xammar in deutscher Sprache veröffentlicht

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Herbst des Jahres 1922 nahm der katalanische Journalist Eugeni Xammar in Berlin seine Korrespondententätigkeit für katalanische und Madrider Tageszeitungen auf. Bis Mitte der 1930er-Jahre blieb er mit Unterbrechungen in Berlin und avancierte zu einem der angesehensten und bestinformierten Auslandsjournalisten. Nach dem Sieg der Franco-Diktatur in Spanien verlor der Katalane 1939 seine Arbeitsmöglichkeiten - und anders als sein enger Freund und zeitweiser Kollege, der Schriftsteller Josep Pla, geriet Xammar weitgehend in Vergessenheit. Nur in Katalonien blieb der "englische Katalane", wie er in der Einleitung vorgestellt wird, in Erinnerung. So erschienen in Barcelona jetzt die Deutschlandberichte Xammars. Sie sind Grundlage des vorliegenden Bandes.

Ausgewählt wurden Berichte aus Deutschland aus den Jahren 1922 bis 1924. In diesen Jahren herrschte Chaos in Deutschland. Die junge Republik versuchte verzweifelt gegen die erbitterten Widerstände konservativ-nationaler Kräfte, eine Politik durchzusetzen, die sich den Folgen des verlorenen Ersten Weltkrieges stellte und die Isolierung der Deutschen überwinden wollte. Es gehört zur Tragik der frühen Weimarer Republik, dass die Politiker, die bereit und fähig waren, Deutschland wieder ,politikfähig' zu machen, eben deshalb von weiten Teilen der Öffentlichkeit als Verräter gebrandmarkt wurden. Politiker wie Matthias Erzberger oder Walter Rathenau wurden, wie andere bereits vor ihnen, von rechtsextremen Aktivisten ermordet. Oder genauer, wie Xammar während des "Hardenprozesses" im Winter 1922 gegen die rechtsextremen Täter, die den Publizisten Maximilian Harden in aller Öffentlichkeit überfallen und lebensgefährlich verletzt hatten, erschrocken über den zynischen Jargon der Täter notierte: "Laut Terminologie der nationalistischen deutschen Krimininellen wurden Erzberger, Eisner, Haase und Rathenau keineswegs ermordet, sondern einfach nur erledigt." Klingt, so fügte er hinzu, "nach ,eine Arbeit erledigen'".

Die Republik stand in einem Überlebenskampf: das Inflationsdesaster lähmte die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, zusätzlich schien eine ,vernünftige' Regelung der Reparationszahlungen nicht möglich. Eben mit dem Hinweis auf ausgebliebene Zahlungen hatten französische Truppen das Ruhrgebiet besetzt, woraufhin die Berliner Regierung die Bevölkerung zum passiven Widerstand aufrief. In dieser ohnehin angespannten Situation wurde die Republik von rechts durch Umsturzversuche angegriffen, einer davon war der Hitler/Ludendorf-Putsch, der vor der Müchner Feldherrnhalle im November 1923 ein erbärmliches Ende fand. Eher kurios dagegen muten heute die Aktivitäten der rheinischen Separatisten an, die unter dem Schutz der französischen Soldaten in Bonn und Koblenz kurzzeitig Einfluss gewinnen konnten.

Von all dem berichtet Eugeni Xammar seinen Lesern im fernen Spanien zumeist in ebenso kenntnisreichen wie kurzweiligen Reportagen. So fuhr er ins Ruhrgebiet und ließ sich von den Menschen dort ihre Einschätzung schildern. Er sprach mit widerständigen Arbeitern in den Zechen, mit Kaufleuten, die anders als die Arbeiter der Aufforderung zum Widerstand nur zögerlich folgten; er sprach aber auch mit französischen Militärs und Zivilisten, die achselzuckend zugestehen, wie schwer es ihnen falle, gegen den Widerstand der Bevölkerung wirtschaftliche und verkehrslogistische Minimalvoraussetzungen zur Durchsetzung der Absichten ihrer Politiker zu schaffen.

Wie wenig ihnen das gelang, davon zeugen die Bahnfahrten, die Xammar unternahm. Stundenlange Stopps, undurchschaubare Streckenführungen - Fahrten, die statt einer Stunde anderthalb Tage dauerten. Und immer wieder die Empfehlung, auf das dichte Netz der Straßenbahnen umzusteigen, da die Strecken der Fernzüge durch das Ruhrgebiet unberechenbar waren. Xammar ließ seine Leser nicht im unklaren darüber, was er von solcher Politik hielt: Die Ruhrbesetzung der Franzosen hielt er für eine politische Torheit, ebenso wie den selbstmörderischen Widerstandskurs der Republik. Eine Reportage über "Gespräche mit unbedeutenden Leuten" im Ruhrgebeit resümierte er: "So sprechen die unbedeutenden Leute und beweisen damit mehr Vernunft und Realitätssinn als die Männer in Berlin und Paris."

Die Vernunft, für die Xammar die Stimme erhob, schien aus einer anderen Welt zu kommen. Besonders deutlich wurde der Gegensatz zwischen politischer Vernunft, wie Xammar sie vertrat, und der dumpfen Irrationalität in Deutschland in einem Gespräch, dass Xammar und Pla mit Hitler führen konnten. Dass er von dem nicht viel hielt, hatte er seinen Lesern schon mitgeteilt: "Er trägt einen Trenchcoat mit Gürtel (ich glaube, damit ist schon alles gesagt)." Nun aber war dieser Mann einer der Führer des Münchner Putschversuchs, den Xammar seinen Lesern wie ein "Spektakel" aus einem bayrischen Panoptikum geschildert hatte: In düsteren Bierkellern hocken Männer in kurzen Hosen an Biertischen, "eine Maß nach der anderen wird geleert... und es wird aus Pfeifen geraucht, die so groß sind wie Öfen."

Hitlers Pistolenauftritt, mit dem er die Versammlung zum Putsch aufforderte, ist eine bayrische Groteske. Kein Zweifel, das war die "entfesselte Dummheit", wie er seinen Bericht über das Gespräch mit Hitler betitelte. "Den Spaniern", so begrüßte Hitler die Journalisten, "stehen in Bayern alle Türen offen. Es sind die einzigen Ausländer, die das von sich behaupten können." Denn, so erläuterte er, "die meisten Ausländer in dieser Welt sind Juden, verstehen Sie? Man darf ihnen nicht trauen. Italiener, Engländer, Rumänen, Holländer... Sie alle haben ihre Pässe. Dass ich nicht lache! Das sind alles Juden."

Das Lachen vergeht den beiden Journalisten, als Hitler seinerseits lachend darauf verweist, dass man als ,Ausländer' in Bayern sich vorzusehen habe, "oft hat es Prügel gesetzt." Doch weil das nicht ausreicht, und auch ein Pogrom, ansonsten eine "großartige Sache", nur örtlich zu einer "Lösung" führe, wolle man die Sache nun grundsätzlich angehen. "Das Judenproblem", so dozierte Hitler, "lassen Sie sich das ein für alle Mal gesagt sein - ist kein religiöses Problem. Es ist ein rassisches Problem und seine Lösung liegt in der Vertreibung."

Mit besorgter Verwunderung und Ironie berichtet Xammar von den irrationalen Absonderlichkeiten im Deutschland jener Jahre. Seine Sympathien gehören der Republik. Noch darf man hoffen, dass sie sich letztlich durchsetzen wird. Es kam anders - und mit dem Wissen darüber sind die Reportagen Xammars heute eine Entdeckung: sie ermöglichen einen Zugang zum Zeitgeist der 1920er-Jahre, machen den Leser gewissermaßen noch einmal zum Zeitgenossen.

Die Lesefreude trübt allerdings das Fehlen einiger Seiten im Rezensionsexemplar. Bleibt zu hoffen, dass dieser Fehler nicht die gesamte Auflage verunstaltet.


Titelbild

Eugeni Xammar: Das Schlangenei. Berichte aus dem Deutschland der Inflationsjahre 1922-1924.
Übersetzt aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt.
Berenberg Verlag, Berlin 2007.
179 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783937834238

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