Über Intriganten, Professoren und Götter
Zu den Editionen dreier Briefwechsel Carl Schmitts
Von Kai Köhler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseCarl Schmitts Wirkung beschränkt sich nicht auf seine Bücher und Aufsätze, seine Rolle als politischer Akteur bis 1936 und seine Position als Hochschullehrer, die er 1945 mit der Befreiung Deutschlands verlor. Zumal er nach letzterem Datum war er auf persönliche Kontakte und auf Briefe angewiesen. Umstritten ist, welchen Einfluss er so auszuüben vermochte. Anhänger wie Gegner Schmitts haben seine Position als außerordentlich stark dargestellt: die einen, um seine Bedeutung hervorzuheben, die anderen, um eine Gefahr zu markieren.
Drei Briefwechsel, die nun ediert vorliegen, ergeben ein widersprüchliches Bild. Schmitt pflegte vielfältige Korrespondenzen und befand sich keineswegs im Abseits. Gleichzeitig aber nimmt er immer wieder eine Leidenspose ein, die bei dem Theoretiker, der das Freund-Feind-Verhältnis als besonderes Merkmal des Politischen bestimmt hatte, etwas peinlich anmutet: Offenkundig erwartete er von seinen Feinden, der eigenen Pointierung entgegen, eine pflegliche Behandlung. Man vergleicht sich eben lieber mit denen, die es besser trafen: in Schmitts Fall mit den unzähligen Nazis, die anders als er nach 1945 ihre Karrieren fortsetzen konnten. Dass er als juristischer Lobredner des NS-Regimes nach kurzer Haft und ein paar Jahren materieller Probleme als Emiritus eine Pension verzehren konnte, von der die meisten KZ-Überlebenden und Zwangsarbeiter bis heute nicht zu träumen wagen, fiel für ihn nicht ins Gewicht. Lieber sah er sich, in verstockt antisemitischer Formulierung, als Opfer eines „geistigen Ritualmords“ und behauptete, die Sieger würden Überlebende wie ihn zu „schächten“ versuchen.
Dies sind Zitate aus der knapp zwanzigjährigen Korrespondenz mit Gretha Jünger, der ersten Frau Ernst Jüngers. Der größere Teil dieser Zeitspanne von 1934 bis 1953 bringt dabei für heutige Leser wenig ergiebige Briefe hervor. Zumeist wurden Familiennachrichten ausgetauscht, auch über Carl Alexander Jünger, dessen Patenschaft Schmitt übernommen hatte. Besuche werden geplant; Nachrichten über den Bombenkrieg in Berlin und Versorgungsprobleme haben einen gewissen zeitgeschichtlichen Wert, der indessen nicht an eben diese Autoren gebunden ist.
Das änderte sich um 1948, als sich der Briefwechsel intensivierte. Es war eine für Schmitt besonders schwierige Zeit. Die Pension war noch nicht gesichert, und es zeichnete sich ab, dass er nicht an die Universität würde zurückkehren können. Gleichzeitig begannen viele derjenigen, die wie Schmitt 1945 ins Abseits geraten waren, sich wieder zu etablieren. Zu ihnen gehört Ernst Jünger, der, nachdem er ab 1948 wieder publizieren durfte, rasch zum anerkannten Autor wurde. Hasserfüllte Passagen über Jünger im „Glossarium“, dem Tagebuch, das er zur posthumen Veröffentlichung bestimmte, zeigen Schmitts Neid; die gleichzeitigen Briefwechsel, mit Jünger selbst wie mit dessen Frau, lassen diese Probleme erahnen, vor allem im Bemühen Gretha Jüngers, die gefährdete Freundschaft zu stabilisieren. Sie versuchte, aus ihrer Sicht bedrohliche Personen aus dem Kreis der Bekannten fernzuhalten. Lange Zeit wendete sie sich vor allem gegen Gerhard Nebel, den sie für charakterlich unwürdig hielt. Zum Anlass für Schmitt, die Korrespondenz abzubrechen, wurde dann aber ihre Wendung gegen Armin Mohler. Mohler, Privatsekretär Ernst Jüngers und gleichzeitig Anhänger Schmitts, hatte in der Sache wohl korrekt, doch aus schwer durchschaubarem Grund Jünger über Schmitts Abneigung berichtet, es dann aber abgelehnt, gegenüber Schmitt seinen Anteil daran, dass Schmitt weitere Besuche bei Jünger verwehrt wurden, offenzulegen.
Gretha Jünger erscheint aus heutiger Sicht als aufrechte Vermittlerin, die kaum gewusst haben dürfte, wie grundlegend Schmitts Ressentiments waren. Heiner Müllers Diktum in „Krieg ohne Schlacht“ im Gedächtnis, Ernst Jünger habe vor nichts als vor Frauen Angst, nimmt man überrascht wahr, welch eine selbstbewusste, klar denkende und formulierende Frau er schon in seiner ersten Ehe an sich band. Gleichwohl, trotz eigener Publikationen unter ihrem Geburtsnamen Gretha von Jeinsen, beharrte sie auf tradierten Geschlechterrollen. Das hebt die Mitherausgeberin Ingeborg Villinger in einem instruktiven Vorwort hervor. Die Briefkommentare allerdings schwanken zwischen hilfreich und ungelenk: ob etwa für Lessings „Nathan der Weise“ unbedingt eine Literaturangabe – mit Seitenzahlen! – nötig gewesen wäre? Im Personenregister erfährt man über Lessing, er sei „Dichter“ gewesen. Das muss man heute tatsächlich vielen Leuten erklären, doch kaum jenen, die einen eher abseitigen Briefwechsel zur Hand nehmen.
Solche Mängel verleihen dem Band einen etwas improvisierten Charakter, ohne die sozialgeschichtliche Relevanz dessen, was da in den Nachkriegsbriefen verhandelt wird, zu schmälern: Es geht darum, wie die konservativen Revolutionäre von einst, zu denen Gretha Jünger nirgends Distanz erkennen lässt, sich in einem ungeliebten Neuen zu orientieren versuchen. Absehbar führt das zu Brüchen: Im kleinen Kreis derer, die Abstand von den Siegern halten, regiert weniger die Solidarität als der Argwohn, jemand anders könne als Konkurrent doch wieder Erfolge feiern. Eine Gruppe zerfällt, indem manche ihrer Angehörigen Positionen besetzen, die, Neid beiseite, allen nützen könnten, aber eben nicht nützen, weil der Neid zentral ist. Dabei taktierte insbesondere Schmitt. Gretha Jünger resümiert in einer Anklage an Mohler von 1959, die im Anhang abgedruckt ist, hellsichtig: „Er zog es vor ‚einen jungen Mann, den er brauchte‘, seiner alten, und in vielen Situationen des Lebens erprobten und bewährten Freundin vorzuziehen, deren Wort allein ihm genügt haben sollte. Das muss er mit sich abmachen. Er wird darüber nachzudenken haben, ob sein charakterliches Bild seine vielen persönlichen Gegner erklärt, oder das politische. Da unzählige Menschen mit ihm ähnliche Erfahrungen machten wie ich, möchte ich das erstere glauben.“
Man kann, im Rückblick, den ganzen Briefwechsel auch so lesen: als Versuch der einen Berühmtheit, mittels der Ehefrau vom Erfolg einer anderen zu profitieren. Schmitt, soviel wird auch im meist distanzierten Duktus seiner Briefe klar, kalkulierte fast immer sorgsam – soweit ihn nicht ein egozentrisches Gekränktsein daran hinderte, die eigenen Interessen effektiv zu verfolgen.
Die Spannungen sind wesentlich geringer in der Korrespondenz mit Ernst Forsthoff. Forsthoff promovierte 1925 bei dem vierzehn Jahre älteren Schmitt, gehörte wie sein Lehrer zu denjenigen, die 1933 das NS-Regime begrüßten, hielt jedoch ein wenig mehr Distanz als Schmitt, der 1936 eine Tagung gegen „Das Judentum in der Rechtswissenschaft“ organisierte. Konfessionelle Bindungen sowie ein so autoritärer wie starrer Staats- und Rechtsbegriff führten dazu, dass Forsthoff der Bewegungscharakter des Faschismus, der tendenziell den Staat demontierte, suspekt gewesen sein dürfte. Mit Opposition hatte das zunächst nichts zu tun; wenn die Mitherausgeber Reinhard und Dorothee Mußgnug in ihrer Einleitung Forsthoff schon früh „ernste Konflikte“ mit dem Regime bescheinigen, können sie doch nichts als Interventionen für ihm persönlich bekannte Juden, wie auch viele Nazis sie sich leisteten, und die verbreiteten Querelen bei neuen Karriereschritten anführen. Forsthoff wurde 1936 an die Universität Königsberg berufen, die als Grenzland-Hochschule eine besondere politische Funktion hatte, und sah sich mindestens bis dahin nur den Problemen gegenüber, wie sie andere Anhänger des Regimes auch hatten, wenn es einmal zur systeminternen Konkurrenz zwischen verschiedenen Fraktionen und Institutionen kam. Erst für die Kriegsjahre gibt es überzeugendere Belege für eine Distanz, die doch nie das politisch Genehme überschritt.
Dennoch konnte sich auch Forsthoff in der Bundesrepublik wieder etablieren. Untypisch war nur, dass er dafür einige Jahre benötigte. Erst 1952 wurde er, nach mehreren gescheiterten Versuchen, erneut zum Ordinarius. Dafür länger zu brauchen als vergleichbare Täter mag ärgerlich sein, verführte Forsthoff jedenfalls zu langen Beschwerden, wo er doch froh hätte sein können, überhaupt wieder Professor zu sein. Dies ist das Schema Carl Schmitts; und der gemeinsame Groll mag erklären, weshalb Schmitt gegenüber Forsthoff nicht dieselbe Abneigung entwickelte wie gegenüber Ernst Jünger. Auch mag ein Schüler als Ordinarius Schmitt als Ausweis der eigenen fortdauernden Wirkung gegolten haben und deshalb akzeptiert worden sein.
Der Briefwechsel ist umfangreich: Er umfasst 359 Nummern und reicht von ersten kurzen Mitteilungen an den gerade promovierten Referendar Forsthoff von 1926 bis zum letzten Geburtstagsgruß, den der damals auch schon seit Jahren emeritierte Jüngere 1974, kurz vor seinem Tod, an den Älteren sandte, der dann noch ein gutes Jahrzehnt leben sollte. Im Wesentlichen ist es ein Briefwechsel der Nachkriegszeit; regelmäßig wird er erst mit der Nummer 19 von 1948. Die Themen sind vielfältig: Reisepläne, Angelegenheiten der Familie, später auch der Gesundheit, Konflikte und Bündnisse im Fach und in der Öffentlichkeit, gesellschaftliche Entwicklungen; neue Publikationen, Lektürehinweise – und immer wieder Personen, die Getreuen wie auch die Schwankenden, die Verräter oder gar die Feinde.
Zu Kontroversen kommt es dabei nie, nur ganz selten sind Differenzen in der Einschätzung angedeutet. Das ist nicht nur Respekt des Schülers vor dem Lehrer, sondern gilt in gleichem Maße für den Älteren. Was die juristischen Positionen der Korrespondenten angeht, ist das Buch daher wenig ergiebig: Schmitt und Forsthoff gingen von gemeinsamen Meinungen aus, die über ihre bislang bekannten Publikationen nicht hinausreichen und auch bei den zeitweise häufigen persönlichen Treffen erörtert worden sein mögen. Wo es Differenzen im Detail gab, bleiben sie verdeckt.
Funktionen des Briefwechsels waren gegenseitige Bestärkung und durchaus auch taktische Beratung, Informationsaustausch, vor allem aber Arbeit am gemeinsamen Netzwerk: Nicht zufällig wird ausführlich über die Festschriften für Schmitt und dann Forsthoff verhandelt. Dem heutigen Leser erlaubt das wertvolle Einblicke in die intellektuelle Welt der frühen Bundesrepublik. Zwar gilt weiterhin, dass diese Zeit als eine Epoche der gesellschaftlichen Restauration einzuordnen ist und ein niederdrückender Konservatismus die Szene beherrschte. Doch unterhalb dieses Allgemeinen verweist das Lamentieren Forsthoffs und noch mehr Schmitts auf Brüche, die sich damals schon abzeichneten.
Da schreiben sich ein ehemaliger Professor mit großzügiger Pension, der sich bis zum Verfolgungswahn als Sündenbock sieht, und ein anderer, der es sogar zurück in die Institutionen geschafft hat, doch nicht die unbestrittene Leitposition besitzt, die er für angemessen hält. Beider Klagen lassen sich leicht als lächerlich abtun. Nach seiner Emeritierung zieht Forsthoff Bilanz: Acht Schüler zur Habilitation gebracht, und alle sind Professoren. Verfolgung sieht anders aus. Aber auf anderer Ebene verwirklicht sich im zweiten Jahrzehnt der Bundesrepublik eine gesellschaftliche Modernisierung, die Schmitt und Forsthoff, scharfsichtig genug, schon lange befürchtet hatten.
Ihre Aburteilung von Grundgesetz und mehr noch Bundesverfassungsgericht kennt verschiedene Phasen. Zunächst ist man sich einig, ein solcher Unsinn könne nicht dauern. Als er dann doch dauert, arbeitet man an griffigen Formeln, um den status quo zu diskriminieren. Forsthoffs „Tyrannei der Werte“ ist ein solcher Griff und innerhalb seines Gesamtwerks konsequent: Sein autoritär regelgeleiteter Staatsbegriff, der ihn vor den letzten Exzessen des NS-Regimes zurückschrecken ließ, ist mit einer Normsetzung durch ein Verfassungsgericht, das aus teils vage formulierten Grundrechten weitreichende Konsequenzen herleitet und diesen Gesetzeskraft verleiht, nicht vereinbar. Forsthoffs eigene politische Präferenzen waren rückwärtsgewandt. Vor allem beunruhigte ihn, dass das Sozialstaatsgebot das freie Unternehmertum begrenzen könnte. Schaut man aber auf die Fantasie, mit der das Bundesverfassungsgericht Auslandseinsätze der Bundeswehr rechtfertigt, so hat Forsthoffs fast schon positivistische Fixierung auf Text statt auf Wert demgegenüber auch eine einhegende Wirkung.
Ganz anders sein Lehrer, der zwischen 1933 und mindestens 1936 den Bewegungscharakter des deutschen Faschismus‘ ganz ohne Vorbehalte propagiert hatte. Theoretisch hätte für Schmitt eine wertsetzende Instanz kein Problem sein müssen. Nur beförderten aus seiner Sicht das Grundgesetz und die Rechtsprechung, die sich darauf stützte, eben die falschen Werte. So konnte er sich mit seinem Schüler leicht in gemeinsamem Zorn verständigen. Geradezu unterhaltsam ist dabei, zu welchen Dramatisierungen sich die beiden Täter von 1933 hinreißen lassen. So meint Forsthoff in seinem Brief vom 18. September 1949, ein „menschliches Gefälle“ ausmachen zu können, das „sich 1918, 1933 1945 stufenförmig abzeichnet“. Ähnlich gilt für Schmitt gut drei Jahre später, am 22. November 1952, 1945 als der eigentlich katastrophale Einschnitt: Er klagt über diejenigen gegnerischen Juristen, die „den 1945 immer noch vorhandenen Stand verwüstet haben“, als hätte sich nicht bereits 1933 die große Mehrheit der deutschen Juristen durch Selbstgleichschaltung zu Erfüllungsgehilfen eines Terrorregimes gemacht.
Schlimmer noch wird es für die beiden schon vor 1968: Am 22. Dezember 1964 – Anlass ist nur eine Briefmarke, die den Liberalen Fritz Oppenheimer zeigt –, sieht Forsthoff den „Staat zu Ende“ und beklagt die „fortschreitende Verrohung und Verpöbelung des öffentlichen Lebens“. Kein Halten mehr kennt er, als ein paar Jahre später Studierende anfangen, zu protestieren: „Die Verpöbelung hat einen Grad erreicht, der unerträglich ist. Das wird aus den Universitäten, wenn es keinen Staat mehr gibt“ (9. Juli 1967), oder, nach der Emeritierung: „Dass ich dem Trümmerfeld der Universität entrückt bin, empfinde ich jeden Tag mit Genugtuung. Die Zustände hier sind beispiellos. Die Mischung von Unverfrorenheit, serviler Anpassung und naiver (?) Karrieremacherei erinnert in fataler Weise an 1932/33.“ (29. Dezember 1971). In ähnlicher Weise vermag ihn nur der Sozialstaat aufzuregen, in seinen Worten der „Sozialwahn“ (wohl 1965), aber auch der „Sozialbazillus“, der „die katholische Kirche in ihrer Kernsubstanz […] zersetzt“ habe (30. September 1967). An Schmitts Antisemitismus hat er dagegen kaum teil, auch wenn er Simon Wiesenthal als „Leiter der jüdischen Verfolgungszentrale in Wien“ (31. August 1969) denunziert.
Es sind hier weniger die Positionen selbst, die interessant sind; diese sind trivial genug. Bemerkenswert ist vielmehr zum einen, mit welcher Leichtigkeit Forsthoff in nationalsozialistisches Vernichtungsvokabular zurückfällt, wie schwach dagegen zum anderen sein Gedächtnis ist, was politische Radikalisierungen an der Universität angeht. Immerhin haben sowohl er selbst als auch Schmitt sich 1933 an der Vertreibung ihrer Feinde von den Hochschulen beteiligt – mit der verglichen ein paar Go-Ins und verhinderte Vorlesungen von 1967/68 Lappalien sind. Doch war Forsthoff wohl so wenig wie sein Lehrer in der Lage, Handlungen von Gegnern wahrzunehmen, ohne diese sogleich moralisch abzuwerten und sich als Opfer zu imaginieren.
Der umfangreiche Kommentar ist sorgsam und erhellend. Schon im Forsthoff-Briefwechsel sind zahlreiche Informationen notwendig (und fast immer auch aufgenommen), um die zahlreichen Anspielungen zu verstehen. Das gilt noch mehr und auf anderer Ebene für Schmitts Korrespondenz mit Hans Blumenberg. Vom Umfang her wiegt er gering: Die Briefe nehmen etwa dreißig Druckseiten in Anspruch, nur etwa ein Zehntel des von Alexander Schmitz und Marcel Lepper vorzüglich edierten Bandes. Neben einem nützlichen Stellenkommentar sind die Passagen aus Blumenbergs „Legitimität der Neuzeit“, „Säkularisierung und Selbstbehauptung“ und der „Arbeit am Mythos“, die sich auf Schmitt beziehen, sowie entsprechende Stellen aus Schmitts „Politischer Theologie II“ ebenso abgedruckt wie weitere Materialien, vor allem aus Blumenbergs Nachlass. Ein ausführliches Nachwort beschließt das Buch.
Man kann nun fragen, ob ein solcher Aufwand für so wenige Briefe lohnt, zumal Schmitt für Blumenbergs Arbeiten nicht von zentraler Bedeutung ist und umgekehrt Schmitt erst in so hohem Alter von Blumenberg Notiz nahm, dass es im veröffentlichten Werk nur noch zu einigen Anmerkungen kam. Deutlich wird zudem gerade anhand der Auszüge aus Blumenbergs späteren Büchern, wie der Austausch von Argumenten mit Schmitt nur in Marginalien zu Korrekturen führte und er nur wenige Anregungen aufgriff, vor allem aber die Gründe für seine Distanz mit jeder Neuformulierung schärfte.
Dennoch ist die Publikation, gerade in dieser Form, zu begrüßen. Sie fügt dem Bild beider Korrespondenten wichtige Züge hinzu. Belegen Schmitts Briefwechsel mit Gretha Jünger und Forsthoff seine vielfältigen Kontakte zu früheren Nazis und zur faschistischen Opposition zum NS-Regime, so sah er sich mit Blumenberg einem früher aus rassistischen Gründen Verfolgten gegenüber. Doch konnte er seinen auch nach 1945 deutlichen Antisemitismus zurückstellen, wenn er die Chance sah, über eine Auseinandersetzung auf hohem intellektuellem Niveau in den Kanon der großen Denker zurückzukehren. Das dürfte ihm vor allem deshalb leicht gefallen sein, weil Blumenberg lange mit keinem Satz die Vergangenheit berührte. Nur einmal, und recht spät in der Diskussion, bringt Blumenberg das Gespräch auf das Geschehene. Am 27. April 1976 schreibt er, unter dem Eindruck der Lektüre von Schmitts „Ex Captivitate Salus“, über die „konformistische Öffentlichkeit“ und darüber, „wie die Verfolger es machen, dass sie immer recht haben.“ Derartige Wendungen dürften Schmitt in der Meinung bestärkt haben, einen wohlwollenden Gegner vor sich zu haben, der ihm in seinem Opferwahn zu folgen bereit war.
Das überrascht nicht; die Rätsel finden sich vielmehr auf Seiten Blumenbergs, der bei allem historisch-mythologischen Interesse tagespolitisch keineswegs naiv war. Die politischen Implikationen von Schmitts Mythologie sind schon 1966 in „Die Legitimität der Neuzeit“ angedeutet und 1974 in „Säkularisierung und Selbstbehauptung“ keineswegs zurückgenommen. Einige der späteren, leider nicht genau datierten Nachlass-Materialien sind noch deutlicher. Rührt die – 1997 erstveröffentlichte – „Heteronomie von ‚Feind‘ und ‚Freund‘“ an eine Grundlage von Schmitts Begriff des Politischen, so thematisieren „Getrübte Quelle“ und „Zwei unbekannte Schriften des Carl Schmitt“ Schmitts Versuch im „Dritten Reich“, die Zitierung jüdischer Wissenschaftler zu verhindern, sowie sein opportunistisches Verhalten gegenüber den Nürnberger Anklägern. Im von den Herausgebern „Die Verächter der Menschheit“ betitelten Fragment ist mit dem Anspruch des Souveräns, über die Ausnahme im Gnaden- wie im Vernichtungsfall zu verfügen, schließlich die zentrale Kategorie von Schmitts „Politischer Theologie“ mit der Selektionspraxis des deutschen Faschismus verknüpft.
Angesichts dieser Widersprüche von Opportunismus zu sprechen, besteht allerdings kein Grund: Der angesehene Professor Blumenberg hätte kein Wohlwollen eines Carl Schmitt gebraucht, um zu schreiben und um gelesen zu werden. Der moralische Impetus einer auftrumpfenden Studentenbewegung mag einem Philosophen, der Verfolgung zu durchdenken lernen musste, fremd geblieben sein – aber kann dies zum Anlass werden, einem der Verfolger das Mitgefühl auszudrücken? Es zählen nicht, mag man einwenden, jahrzehntealte Fehler; doch verweist Blumenberg, dezent im Publizierten und mit bedenkenswerter Scharfsicht in späteren Notizen, darauf, wie wenig es um eine zufällige individuelle Schwäche geht und in welchem Maße das Verbrechen schon in Schmitts Begrifflichkeit, wie sie vor 1933 entwickelt wurde und für das Werk nach 1945 bestimmend blieb, vorgeprägt war.
Wie immer dieses merkwürdige Phänomen der Zuneigung Blumenbergs zum Feind, den er doch als solchen erkennt, zu erklären ist: Es geht um Grundentscheidungen. Das wird in den Briefen, die im Ton konziliant sind, kaum deutlich; schon dies rechtfertigt die umfangreichen Beigaben. In Schmitts „Politischer Theologie“ ist ein zentraler Gedanke, dass die wichtigen politischen Begriffe theologischer Herkunft sind. Dieser Gedanke ist weniger ideengeschichtlich-deskriptiv, sondern in zweierlei Hinsicht normsetzend: Zum einen legitimiert die hohe Abkunft den neuzeitlichen Begriff der Souveränität. Zum anderen fällt der demokratische Staat, indem er Regeln aus dem Verfahren und nicht kraft einer souveränen Entscheidung begründet, überhaupt in den Bereich unterhalb des Politischen und löst sich selbst als Staat auf; noch Forsthoffs nach heute üblichen Begriffen merkwürdige Klage von 1967, es gebe keinen Staat mehr, ist daraus zu erklären.
Wenn Blumenberg, wie bereits sein Buchtitel ankündigt, die „Legitimität der Neuzeit“ erweisen möchte, so will er ehrgeizig genug zeigen, wie die Neuzeit sich aus sich selbst legitimiert. Deshalb wendet er sich gegen alle Säkularisierungsthesen, die aus seiner Sicht darauf beruhen, dass die Neuzeit nicht auf Eigenem, sondern auf Entliehenem oder gar Gestohlenem beruht. Unstrittig aus dem Religiösen entlehnte Begriffe bezeichnen deshalb für ihn keine Strukturverwandtschaft, sondern sind funktional zu interpretieren – und zwar funktional innerhalb des neuen, eben: neuzeitlichen Zusammenhangs.
Für Schmitt ist das keine Legitimität, die sich durch Dauer und Herkunft auszeichnen würde, sondern höchstenfalls Legalität. Die nur durch ihre Prozesshaftigkeit legalisierte Selbstermächtigung dessen, was sich für gut und neu erklärt, wendet sich in seiner Sicht gegen das Alte, das für unwert erklärt wird. Daraus entstehe eine ganz neue Aggressivität, die das, was Schmitt im „Begriff des Politischen“ als Freund-Feind-Verhältnis bestimmt hat, weit überschreite.
Man könnte diese Anklage der Moderne historisch mit Blick auf Vernichtungsfeldzüge von Christen und später von neuzeitlichen Staaten zwar nicht mehr untereinander, aber doch gegen zu veraltet, „primitiv“ erklärten Gesellschaften relativieren. Neuerdings scheinen zwar Schmitts Warnungen vor einer aggressiven Weltpolizei, die feindliche Staaten für unwert erklärt, durch die Kriege der letzten Jahre bestätigt. Doch sind die Angriffe auf Jugoslawien und den Irak prozedural gar nicht, der auf Afghanistan nur sehr bedingt legalisiert gewesen – und so handelte hier tatsächlich eher der Schmitt’sche Souverän in naturrechtlicher Verkleidung als irgendetwas Neues jenseits herkömmlicher Staatstheorie.
Man könnte also zeigen, dass Staaten und das Handeln von Politikern in ihnen und mittels ihrer weniger neutralisiert sind als Schmitt fürchtete – dies aber fast ohne Theologie. Bushs „Achse des Bösen“ ist theoretisch derart undifferenziert, dass man nicht weiß, ob sie eher in den Kontext tradierter christlicher Teufelsvorstellungen gehört oder eine Art ihrer Herkunft unbewusster Gnosis ist, wie sie, als Gegner, in Schmitts Weltbild auch ihren Platz hatte; zudem war sie als Propagandabegriff eher schädlich.
Weniger solche profanen Verhältnisse aber interessierten Schmitt und Blumenberg, sondern ihre mythologischen Hintergründe. Es geht damit um die Konstitution des Göttlichen. Schmitt reflektiert über die Dualität zwischen dem gerechten, damit bösen Schöpfer-Gott und dem liebend-guten Erlöser-Gott; Blumenberg stellt in einer späteren Notiz die Dreieinigkeit wieder her, indem er das Terroristische der dritten Instanz, des Heiligen Geists, hervorhebt: die Sünde wider ihn nämlich sei unvergebbar, zugleich nirgends definiert und damit stete Drohung. Wie kann Gott geschlagen werden? Allenfalls durch einen Gott. Wie gestaltet dies, wie sprengt dies das Christentum? Wie wird das Christentum dadurch gesprengt? Das sind die Themen, die der Katholik Schmitt und der säkularisierte Jude Blumenberg in ihren Schriften, Briefen und Blumenberg in seinen späteren Notaten zu durchdenken versuchen. Dabei sind sie stets sowohl an der Logik des Mythos orientiert, die ideologische Vorgaben überschreitet, als auch an lebensgeschichtlich und politisch notwendigen Setzungen. Sie bezeugen einander Respekt, doch gehen sie selten aufeinander ein und nie aufeinander zu. Es ist diese Spannung, die diesen wenigen Briefe ihren intellektuellen Wert verleiht – weit über das personengeschichtliche Interesse hinaus, das Schmitts Korrespondenz mit Gretha Jünger hat, und auch über das geradezu deprimierende Einverständnis im Ressentiment, das seinen Briefwechsel mit Forsthoff zu einer nur mentalitätsgeschichtlich wichtigen Lektüre werden lässt.
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