Existenzielle Wunde - Stefana Sabins Essay über "Die Welt als Exil"

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Mit einer Vertreibung beginnt die geistige Geschichte des Menschen. Zur Strafe für ihren Ungehorsam werden Adam und Eva von Gott aus dem Paradies vertrieben - sie werden exiliert. Als existentielle Erfahrung ist das Exil ein universelles Schicksal, für das aber die jüdische Geschichte eine paradigmatische Funktion hat. Denn anders als im Christentum, das die Welt selber als ein Exil vom Himmelreich und von Gott ansieht, wird im Judentum die Beziehung zu Gott im Studium und in der Deutung der Thora kontinuierlich vollzogen, und das Exil ist nicht die Entfernung von Gott, sondern der Verlust der geografischen und sprachlichen Heimat. Gegen diesen Verlust agiert ein Gewebe aus kultischen Bräuchen, sozialen Normen, kollektiven Erinnerungen und ständiger Reflexion darüber: ein exilisches Narrativ, dem sich der psycho-nationale Zusammenhalt des Judentums verdankt.

Aber in Zeiten politischer und sozialer Umbrüche sowie militärischer Auseinandersetzungen, als nicht nur aus dem Amt gejagte Regierungschefs, verfolgte Religionsführer, ungeliebte Schriftsteller, Künstler und Wissenschaftler ins Exil gehen mussten, sondern Familien oder ganze Volksgruppen aus ihrer Heimat vertrieben wurden, ist das exilische Bewusstsein von einem besonderen jüdischen zu einem allgemeinen menschlichen Charakteristikum geworden, wie dieses Essay zeigt.

Denn das Exil wird nicht mehr von philosophischen und religiösen Haltungen getragen und durch die Hoffnung auf Rückkehr in ein Gelobtes Land definiert, sondern steht für konkrete Lebensumstände. Als unfreiwilliger Verlust sozialer, kultureller und sprachlicher Wurzeln ist das Exil eine existentielle Wunde, die zwar in Kulturarbeit produktiv sublimiert, aber nicht geheilt werden kann. Das Exil ist zu einer Lebensform geworden, zu der Heimatlosigkeit als kosmopolitische Ungebundenheit und Sprachlosigkeit als notgedrungene Mehrsprachigkeit gehören.

S. Sa.

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Titelbild

Stefana Sabin: Die Welt als Exil. Göttinger Sudelblätter.
Herausgegeben von Ludwig Arnold.
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
41 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783835302594

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