Autorität und neue Medien

Die Germanistik vor neuen Herausforderungen

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die vorliegenden Bände dokumentieren mit einer Auswahl verschriftlichter Vorträge die Diskussionen des Bonner Germanistentages im September 1997. Die Veranstaltung stand unter dem Thema "Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien" und hatte es sich zur Aufgabe gestellt, die Bedeutung von Autorität im Rahmen der historischen, medialen und kulturwissenschaftlichen Ausrichtung des Faches zu ermitteln, wobei sowohl die Autorität des eigenen Faches als auch die seiner Gegenstände in den Blick genommen wurde. Damit trug sie dem Umstand Rechnung, daß sich die Germanistik längst nicht mehr als eine Sprach- und Textwissenschaft versteht, die sich an einem bestimmten, lange Zeit nicht hinterfragten, gleichwohl aber beharrlich tradierten Kanon sprachlicher und literarischer Denkmäler abarbeitet, sondern in Teildisziplinen mit durchaus divergenten Methoden, Intentionen und Perspektiven aufgespalten hat.

Die Anordnung der insgesamt 40 Beiträge orientiert sich an den Schwerpunkten, die in den fünf respektive sechs Sektionen (die sechste Sektion wurde erstmals von Fachstudenten gebildet) des Germanistentages verhandelt wurden: (1) Autorität der Sprache - Autorität in der Sprache, (2) Autorität der 'neuen' Medien - Autorität in den 'neuen' Medien, (3) Autorität der Literatur, Autorität in der Literatur, (4) Autorität der Wissenschaften von Sprache, Medien und Literatur, Autorität in den Wissenschaften, (5) Autorität in der Vermittlung von Sprache, Literatur und 'neuen' Medien.

Die Diskussion zum Problemfeld "Autorität und Sprache", an der sich u.a. Walther Dieckmann, Klaus J. Mattheier und Ulla Fix beteiligt haben, läßt vor allem zwei Schwerpunkte erkennen. Zum einen richtete sie sich auf die Sprache selbst, die aufgrund ihrer festen Regeln und Normen gewissermaßen eine autoritäre Instanz repräsentieren darf, zum anderen auf die Frage, inwieweit sich im Medium der Sprache Autorität, Status und Dominanz manifestieren können.

Ebenfalls zwei Schwerpunkte bildeten sich in den Beiträgen zum Thema "Autorität und neue Medien" heraus. Hier ging es zum einen um die medialen und diskursiven Strategien, mit denen jemand für sich Autorität reklamiert, mit denen Autorität inszeniert, ausgeübt oder angezweifelt wird. Zum anderen wurde nach der Geltung der als 'neue' Medien bezeichneten Techniken gefragt, nach ihren Effekten und Praktiken, Formen und Gattungen. Besonders hervorzuheben ist in diesem Horizont der innovative literaturdidaktische Beitrag von Clemens Kammler, der sich mit der Frage auseinandersetzt, ob und, wenn ja, inwieweit Dekonstruktion bei der Behandlung von Texten im Deutschunterricht Aporien aufzulösen vermag, die sich aus traditionell einseitigen Deutungsschemata ergeben haben.

In der dritten Sektion, "Autorität und Literatur", verständigten sich Mediävisten und Vertreter der neueren deutschen Literaturwissenschaft über die Frage, wie sich Autorität durch Literatur bzw. im Medium der Schrift überhaupt konstituiert und in welchem Verhältnis literarisch fixierte Geltungsansprüche zu anderen Formen der Autoritätsbildung stehen. Das Verhältnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit wurde dabei ebenso relevant wie die autoritätsetzende Kraft des Buchdrucks. Als grundlegend dürfte vor allem der Beitrag von Jan-Dirk Müller gelten, der in der methodischen Aproximation der Literaturwissenschaft an zunächst fremde Zeichensysteme das Potential angelegt sieht, neben der Kommunikationswissenschaft, Sozialpsychologie oder der Statistik zur Analyse der semiotischen Strukturen einer Massenkultur beizutragen, was die Mediävistik in der Auseiandersetzung mit der Alterität des Mittelalters allerdings seit jeher schon geleistet habe.

Die vierte Sektion "Autorität und die Wissenschaften von Sprache, Medien und Literatur" befasste sich mit dem Paradigmenwechsel der Germanistik von einer zunächst ausschließlich textphilologisch zu einer kultur- und medienwissenschaftlich orientierten Disziplin. Am Beispiel der Germanistik wurden Entstehung und Stabilisierung von Autorität in der Wissenschaft überhaupt thematisiert.

Die fünfte Sektion schließlich behandelte die Frage nach der Autorität in der Vermittlung von Sprache, Literatur und 'neuen' Medien. Dabei wurden drei Momente als für den Vermittlungsprozeß konstitutiv erachtet: das Selbstbild der Vermittler, die Macht und Autoritätspotentiale des Vermittelten sowie die Institutionen, Medien und Strategien der Vermittlung.

Die Beiträge des Germanistentages decken ein breites Spektrum der fachwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Begriff der "Autorität" in seinen vielfältigen historischen, funktionalen, intentionalen Bedeutungen ab. Mancher der zuweilen provokativ vorgetragen Thesen mag man sich anschließen können, manche fordert sicherlich zum Widerspruch heraus. Zweifellos aber regen die 40 Beiträge in ihrer perspektivischen Heterogenität zum Neu-, Weiter- oder auch Umdenken an. Ein Namens- und Sachregister wäre in Anbetracht des Umfangs der Bände wünschenswert gewesen, noch mehr aber ein Verzeichnis der Beiträger, um Kontakte zu fördern und um die hier aufgeworfenen Diskussionen lebendig zu halten. So erwecken die Bände ungeachtet der offenen Formulierung des Themas den Anschein von Abgeschlossenheit und formulieren ungewollt etwas, was sie eigentlich problematisieren wollten, jenen Anspruch von Autorität, den Kongreßbände seit jeher erhoben haben.

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Jürgen Fohrmann / Eva Neuland / Ingrid Kasten: Autorität der/in Sprache, Literatur, Neuen Medien, 2 Bde. Vorträge des Bonner Germanistentages 1997.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 1999.
838 Seiten, 99,99 EUR.
ISBN-10: 3895282774
ISBN-13: 9783895282775

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