Der Affe seiner Eltern
Carolin Duttlinger widmet sich der Fotografie in Kafkas Werk
Von Jan Gerstner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWer kennt sie nicht, die Bilder des schmächtigen Mannes mit den dunklen Augen und den etwas abstehenden Ohren? Es gibt wenige Schriftsteller, deren Fotografien eine ähnliche Popularität genießen wie die Kafkas, und irgendwie scheint es, als gebe es zwischen seinen Texten und den Fotos eine geheimnisvolle Affinität. Carolin Duttlinger stellt ihre Untersuchung zur Fotografie in den Texten Kafkas allerdings auf eine solidere Basis als die einer Behauptung vager Beziehungen. Ausgehend von der These, die Fotografie sei trotz der Faszination für andere visuelle Medien "the dominant paradigm onto which Kafka maps his encounters with the various spectacles of modern culture", betrachtet sie die konkrete Rolle von Fotos in den jeweiligen Texten. Dabei wechselt sich ein close reading relevanter Textstellen mit deren historischer und theoretischer Kontextualisierung ab. Da Duttlinger Kafkas persönliche Schriften explizit als einen Teil seiner literarischen Produktion betrachtet, geht es ihr nicht nur um die Erwähnung von Fotografien in den fiktionalen Texten, sondern auch um seine Auseinandersetzung mit einzelnen Fotografien in den Tagebüchern und Briefen.
Wie sie deutlich macht, stand Kafka den heute so populären Fotografien von sich selbst mit einer gewissen Reserve gegenüber. In einem Brief an Felice Bauer schreibt er zu einer Reihe von Kindheitsfotos: "Gleich im nächsten Bild trete ich schon als der Affe meiner Eltern auf." Ein solches Kinderfoto, das auch auf dem Umschlag von Duttlingers Buch reproduziert ist, erlangte nicht zuletzt wegen seiner Kommentierung durch Walter Benjamin eine gewisse Bekanntheit. Er war nicht der einzige, der eine Verbindung von Kafkas Schreiben zur Fotografie herstellte. Ähnliche Vergleiche finden sich auch in Texten Siegfried Kracauers und Theodor W. Adornos. In einem theoretischen Kapitel zu Beginn stellt Duttlinger anhand der Lektüre dieser Texte heraus, dass es bei der Fotografie keinesfalls um eine genaue, "objektive" Abbildung der Wirklichkeit gehen muss, sondern mit den entsprechenden Vergleichen im Gegenteil gerade ein gewisser Verfremdungseffekt intendiert sein kann. Besondere Aufmerksamkeit widmet sie Benjamins Bemerkungen zum Porträtfoto. Sie nutzt sie als Ausgangspunkt, um die Bedeutung der Fotografie als Mittel bürgerlicher Identitätskonstruktionen des ausgehenden 19. Jahrhunderts in ihrer Verbindung mit Disziplinierungs- und Überwachungstechniken herauszuarbeiten.
Die Einbindung der Fotografie in Techniken der Machtausübung ist dann auch ein ständig wiederkehrendes Thema in den folgenden Textanalysen. Das Porträt kann, wie Duttlinger vor allem anhand der Romane "Das Schloß" und "Der Proceß" deutlich macht, die Autorität einer abwesenden Macht in der Repräsentation behaupten, es kann aber auch - durch seine Beschreibung im Text - deren Formelhaftigkeit hervorkehren. Zugleich unterwirft es das Individuum herrschenden Identitätszuschreibungen. Sei es im Kinderfoto als der "Affe seiner Eltern" oder, wie in der "Verwandlung", im Porträt eines Soldaten - die soziale Identität wird im Foto über die Nachahmung vorliegender Posen und Ausstaffierungen geschaffen. In der Geschichte von Gregor Samsas Verwandlung in ein Insekt erweist sich aber auch diese Funktion der Fotografie als ambivalent. Hat sie einerseits die Macht, eine bestimmte Rolle nicht nur dem Porträtierten, sondern sogar dem Betrachter aufzuzwingen, so löst andererseits der fetischistische Blick aufs Detail jede feste Identität auf. Diesen Fetischismus praktizierte Kafka, wie Duttlinger zeigt, in seinen Briefen an Felice Bauer selbst. Hier wird die Konzentration auf Einzelelemente der zugesandten Bilder zur Interpretationsanstrengung, die im Laufe dieser so problematischen Beziehung immer mehr zum Versuch gerät, Kontrolle über die Geliebte auszuüben.
Während die Fotografie hier dem beschreibenden Blick Widerstände entgegensetzt, betrifft das Problem des Blicks auch Kafkas Schreiben generell. Anhand der Tagebücher arbeitet Duttlinger heraus, wie er seinen literarischen Stil in der Auseinandersetzung mit dem Film und der Fotografie formte. Als ein wesentliches Problem erweist sich hierbei die Suche nach einer gesicherten Betrachterposition, die eine ausreichende Kontrolle der Wahrnehmung und damit erst die schriftliche Fixierung des Gesehenen ermöglichen könnte. Die These, dass Kafka aufgrund seiner Kritik an den flüchtigen Bildern des Films der Fotografie den Vorzug gab, überzeugt allerdings angesichts der angeführten Belege nicht völlig. Interessanter stellt sich die Problematik in ihrer literarischen Umsetzung im "Verschollenen" dar. Duttlinger sieht hier nicht allein die Beschreibungen der modernen Großstadt durch technische Medien geprägt, sondern führt sie zudem auf mögliche fotografische Quellen Kafkas zurück.
Kann der Verweis auf solche Quellen oft zu interessanten Einsichten führen, so macht er in anderen Fällen eine der Schwächen des Buches aus. Wenn Duttlinger zu in fiktionalen Texten beschriebenen Fotografien ein mögliches Gegenstück aus Kafkas persönlichem Leben anführt, hält sich der Erkenntniswert dieses Bezugs hinsichtlich des behandelten Textes selbst oft in Grenzen. Angesichts der von ihr ebenfalls herausgestellten Standardisierung der Posen in Porträtfotografien sind Parallelen zwischen beschriebenen und real vorliegenden Bildern wenig erstaunlich, müssen im konkreten Fall jedoch eher spekulativ bleiben. Insofern sie teilweise mit einer biografistischen Lesart einhergehen, zeigt sich in diesen Bezügen auch ein Problem der fehlenden Trennung zwischen privaten und im engeren Sinne literarischen Schriften Kafkas. Dass diese Tendenz allerdings nicht überhand nimmt, ist der Einbettung der Texte in einen weiteren historischen und vor allem theoretischen Kontext zu verdanken. Doch während Duttlinger damit in den meisten Fällen interessante Anknüpfungspunkte an allgemeine kulturwissenschaftliche Fragestellungen liefert, hat der Verweis auf einschlägige Untersuchungen gelegentlich auch etwas von einer Pflichtübung. Bei der Behandlung des "Hungerkünstlers" zum Beispiel auf Georges Didi-Hubermans bekannte Arbeit zu Jean-Martin Charcots Einsatz von Fotografien bei der Untersuchung von Hysterie-Patientinnen zu verweisen, ist sicherlich nicht falsch, hätte aber genauere Ausführungen verlangt.
Insgesamt gelingt es Duttlinger jedoch sehr schön, mit ihrem Buch nicht nur die Bedeutung der Fotografie für Kafkas Schreiben umfassend nachzuweisen, sondern dieses zudem in den weiteren Kontext der visuellen Kultur des frühen 20. Jahrhunderts einzuordnen. Damit eröffnet das Buch neue Perspektiven im Hinblick auf die Rolle fotografischer Diskurse der Moderne in der Literatur, die auch über den engeren Kontext der Kafka-Forschung hinaus interessant sein dürften.
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