Wissenschaftsphilosophie

Vittorio Hösle legt einen Schwerpunkt auf die Philosophie der Biologie

Von Jan WesterhoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Westerhoff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Verhältnis der Philosophie zu den Einzelwissenschaften ist gespannt. Während am Anfang ihrer Geschichte die Philosophie Universalwissenschaft war, haben sich im Laufe der Wissenschaftsgeschichte immer mehr Disziplinen von ihr verabschiedet. "Naturphilosophie", Psychologie, Kosmologie, Logik, Pädagogik - sie alle gehen schon längst ihre eigenen Wege, und, so möchten manche hinzufügen, tun dies um so besser, je weiter sie sich von der Philosophie entfernt haben. Die Philosophie sieht sich also ständig mit Disziplinen mit alternativem Wahrheitsanspruch konfrontiert und erscheint bestenfalls als überflüssig, schlimmstenfalls als intellektuelle Ressourcenvergeudung.

Doch ist dies wirklich so? Oder bleiben noch Fragestellungen, die der Philosophie eine bleibende Sonderrolle zuschreiben? Zu denken ist hier z. B. an das Kausalitätsprinzip oder den Begriff der Identität. Setzen sie nicht erst den Rahmen, innerhalb dessen sich Wissenschaft abspielen kann, und die deshalb im Rahmen einer bestimmten Wissenschaft gar nicht diskutiert werden können?

Diesen Fragen widmet sich der Bochumer Philosoph Vittorio Hösle in seinem vorliegenden Band, der sich aus sieben, in den letzten zwölf Jahren bereits einzeln erschienenen Aufsätzen zusammensetzt. Der Schwerpunkt liegt auf der Philosophie der Biologie, weiterhin finden sich Untersuchungen zum Begriff des Determinismus in der Physik, zur Philosophie der Sozialwissenschaften und zum Verhältnis von Theologie und Philosophie.

Der Band muss sich allerdings den Vorwurf gefallen lassen, es handele sich hier um intellektuelle Resteverwertung. Zwar beschwichtigt bereits der Klappentext, dies sei keine "ausgearbeitete philosophische Theorie der Wissenschaften", dennoch enttäuscht die Auswahl des Materials in diesem Band. Um das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaften zu diskutieren genügt es nicht, philosophische Probleme der Einzelwissenschaften zu untersuchen. Es bedarf einer Metatheorie, die uns sagt, was z. B. bestimmte Probleme so besonders macht, dass man zu ihrer Diskussion eine eigene philosophische Disziplin braucht. Warum können sich nicht die Einzelwissenschaften ihrer annehmen, zumal Hösle hierunter nicht nur die Natur-, sondern auch die Geistes- und Sozialwissenschaften und die Theologie fasst? Was haben diese "philosophischen" Fragestellungen gemeinsam, dass sie zu eben solchen macht? Können wir erwarten, dass mit dem Fortschritt der Wissenschaften die Philosophie überflüssig wird? Und falls nicht, warum nicht?

Hösle nimmt sich jedoch lieber philosophischer Probleme der Einzelwissenschaften an, stets unter Rekurs auf seinen "objektiven Idealismus" sowie die geschichtsphilosphische Analyse der Entwicklung der Disziplin. Es wird jedoch nicht klar, inwieweit die versammelten Aufsätze "Bausteine" zu einer umfassenden Wissenschaftstheorie werden können. Abgesehen von der Tatsache, dass hier eine Herangehensweise über Diskussionen von einzelnen wissenschaftsphilosophischen Fragestellungen nicht der richtige Ansatz scheint, ist die Auswahl der betrachteten Disziplinen dafür auch viel zu eng. Wie soll z. B. eine befriedigende Diskussion des Verhältnisses von Wissenschaft und Philosophie ohne die Diskussion der Mathematik oder der Informatik auskommen?

Es mag jedoch sein, dass der Autor eine solch umfassende Theorie gar nicht aufstellen wollte. Dann jedoch wäre es angemessener gewesen, den vorliegenden Band unter dem Titel "Ausgewählte Aufsätze" zu veröffentlichen, um nicht eine Einheit von etwas vorzutäuschen, was eine Menge disparater, wenn auch für sich genommen interessanter Teile ist.

Titelbild

Vittorio Hösle: Die Philosophie und die Wissenschaften.
Verlag C.H.Beck, München 1999.
240 Seiten, 12,30 EUR.
ISBN-10: 3406421091

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