Zum besseren Verständnis des West-östlichen Divans

Hamid Tafazoli und der deutsche Persien-Diskurs

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dieses Buch schließt eine Lücke. Und was für eine. Da hat sich doch einer tatsächlich die Aufgabe gestellt und erfüllt, sämtliche bekannten und verfügbaren Primärtexte über den Einfluss persischer Kultur auf die deutsche Literatur zu sammeln, zu lesen und auszuwerten. Herausgekommen ist eine gut 600 Seiten starke Dissertation, die - das sei noch erwähnt - im letzten Jahr den Sibylle-Hahn-Förderpreis für Geistes- und Sozialwissenschaften 2006 erhalten hat, wodurch der Druck dieser voluminösen Arbeit überhaupt erst möglich geworden ist.

Worum geht es konkret? Um nichts weniger als um das Ergebnis der deutsch-persischen Begegnung seit dem Spätmittelalter - und in diesem Zusammenhang um die Frage nach der Literarisierung Persiens innerhalb des deutschen Schrifttums für den Zeitraum von 1600 bis 1900. Dabei spricht der Verfasser von einer "Neu-Entdeckung" Persiens in der Frühen Neuzeit und stellt zugleich die These auf, dass die persische Kultur frappante Spuren in der deutschen Literatur hinterlassen habe. Daraus ergeben sich dann auch die beiden Schwerpunkte seiner Dissertation: Tafazoli analysiert in einem ersten, historisch-soziologischen Teil die Genese des Persien-Bildes in der deutschen Literatur. Und in einem zweiten, poetologischen Teil wird dann die Literarisierung Persiens im deutschen Schrifttum mit dem Fokus auf Barock, Aufklärung und auf Johann Wolfgang von Goethe einer eingehenden Untersuchung unterzogen.

Dass Persien nicht erst im Mittelalter, in der Frühen Neuzeit oder in der Moderne das Interesse des Abendlands auf sich zieht, zeigt der Verfasser anhand der Auseinandersetzung des Westens mit der persischen Kultur seit der Antike auf. Freilich macht seine Arbeit über die west-östlichen Beziehungen schnell deutlich, dass es durch die Zeiten hindurch in erster Linie stets handfeste handelspolitische Pläne und diplomatische Absichten sind, die die Kontaktaufnahme zwischen Orient und Okzident bedingen und immer wieder neu aufleben lassen. Was nun speziell Persien angeht, ist dieses Land geostrategisch als Zwischenstation und -händler zwischen Europa und Asien, Nordafrika und dem Kaukasus, und später als politischer und militärischer Bündnispartner des christlichen Abendlands gegen das erstarkte Osmanische Reich viel zu bedeutend, als das es vernachlässigt werden dürfte.

Tafazoli führt zahlreiche Missionen und Gesandtschaften vom Spätmittelalter bis in das 19. Jahrhundert auf, die das große Interesse Europas an einer Einbeziehung Persiens in die westliche Politik und Wirtschaft deutlich zum Ausdruck bringen. Er untersucht die Reiseberichte deutschsprachiger Persienbesucher wie Hans Schiltberger, Georg Tectander, Adam Olearius, Engelbert Kaempfer oder Carsten Niebuhr (um nur einige wenige zu nennen) und zum Vergleich auch französischsprachige wie die von Jean Baptiste Tavernier, Jean Chardin oder Jean Thévenot. Dabei kommt er zum Ergebnis, dass das Persien-Bild in der deutschen Literatur eine relativ späte Erscheinung sei, da es schließlich bis in die Frühe Neuzeit als Teil eines größeren kulturellen Komplexes, nämlich das des Orients, betrachtet worden wäre.

Den Grundstein für die "Neu-Entdeckung" Persiens im deutschsprachigen Bereich legt mit seinem äußerst erfolgreichen Reisebericht eindeutig Adam Olearius. Damit verstärkt er das sowieso schon rege Interesse des Morgenlands an Persien, das im 18. Jahrhundert schließlich eine Wende in seiner Rezeptionsgeschichte erfährt, wofür Johann Gottfried Herders Studien stehen, die einen bedeutenden Beitrag zur Aufnahme der persischen Kultur im deutschsprachigen Raum leisten.

Bevor jedoch der Autor die Rezeption Persiens in der Zeit der Aufklärung näher untersucht, geht er eingehend auf die Poetisierung Persiens zur Zeit des Barocks ein, analysiert Paul Flemings und Andreas Gryphius' Werke auf östliche Elemente, betont den wirkungsvollen Einfluss sowohl der Reiseberichte als auch der Übersetzung der Gedichte des persischen Dichters Sa'di - rund hundertfünfzig Jahre vor der des Hafis. Dabei rufen diese Entwicklungen schließlich ein ästhetisches und imaginäres Persien-Bild hervor, das dann im Zeitalter der Aufklärung nur allzu gern als Kontrastfolie positiver wie negativer Art zum Eigenen verwendet wird, wofür Montesquieus "Persische Briefe" als Beispiel herangezogen und untersucht werden.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, so der Verfasser weiter, ist es schließlich Herder, der sich angeregt durch Carsten Niebuhr mit der altpersischen Geschichte, Kultur und Religion befasst und mit seinen geschichtsphilosophischen Aufsätzen die Idee einer orientalisch-okzidentalischen Synthese propagiert. Damit gibt er das Vorbild ab für Goethe, der unter dem Eindruck der Napoleonischen Kriege mit seinem "West-östlichen Divan" nicht nur eine Flucht vor der unruhigen Gegenwart anstrebt, sondern und vor allem ein Weltverständnis sucht, das auf Austausch basiert. In seiner Funktion als Dichter stellt er damit den Typus eines fiktiven und vermittelnden Persien-Reisenden dar, der mit seiner Fiktion und Imagination Persiens freilich eine Idealisierung dieses Landes vornimmt, die nur wenig mit der orientalischen Wirklichkeit zu tun hat.

Tafazolis Buch sei all denen empfohlen, die einen Eindruck gewinnen wollen von dem tatsächlich frappanten Einfluss der persischen Literatur auf das deutsche Schrifttum für den Zeitraum von 1600 bis 1900. Schließlich gelingt es dem iranischen Germanisten, durch die Rezeption nicht nur deutscher, sondern auch neuester persischer Forschungsliteratur ein ausgewogenes Urteil über den deutschen Persien-Diskurs abzugeben und damit auch ein Hauptanliegen der Arbeit zu erfüllen, nämlich selber eine vermittelnde Rolle zu spielen. Dass Tafazoli dabei aufgrund seiner Schwerpunktlegung auf Barock, Aufklärung und Goethe den Persien-Diskurs der deutschen Romantik nur ganz am Rande streifen kann, sei seiner Fleißarbeit nachzusehen. Das wäre freilich der Gegenstand einer neuen Untersuchung.


Kein Bild

Hamid Tafazoli: Der deutsche Persien-Diskurs. Von der frühen Neuzeit bis in das neunzehnte Jahrhundert.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2007.
612 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783895286001

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch