Ambivalenzen

Stefanie Ehmsens Vergleich der Frauenbewegungen in den USA und Deutschland zeigt Schwächen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es sieht ganz so aus, als sollte die lange Reihe weißer US-Präsidenten nicht von einer Frau, sondern von einem Schwarzen unterbrochen werden. Das würde einer bestimmten Entwicklung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert entsprechen. Nachdem durch Lincolns Proklamation der Sklavenemanzipation von 1862 und dem 13. Verfassungszusatz von 1865 die Sklaverei in den USA abgeschafft worden war, erhielten die Afroamerikaner das aktive und passive Wahlrecht. Amerikanische Feministinnen wie die Schwestern Sarah Grimke Moore (1792-1873) und Angelina Emily Grimke (1805-1879), die Gründerin der "Female Anti-Slavery Society" Lucretia Coffin Mott (1793-1880), Elisabeth Cady Stanton (1815-1902) sowie ihre enge Freundin Susan Brownell Anthony (1820-1906) und auch Victoria Clafin Woodhull (1838-1927), die tatsächlich erste weibliche Präsidentschaftskandidatin der USA hatten sich nicht nur für das Frauenstimmrecht eingesetzt, sondern allesamt im Rahmen der abolitionistischen Bewegung gegen die Sklaverei gekämpft.

Anders als ihre schwarzen Zeitgenossen das ihre, erlebten sie mit Ausnahme Woodhulls die Verwirklichung ihres eigenen Emanzipationsbestrebens nicht mehr. Denn erst im Jahre 1920, also etliche Jahrzehnte nach den Schwarzen, durften auch Frauen an die Wahlurnen treten. Dabei könnte auch eine Rolle gespielt haben, dass sie ihren Kampf ums Frauenstimmrecht alleine führen mussten. Denn nachdem das Ende der Sklaverei erreicht und das Wahlrecht für Schwarze erkämpft worden war, interessierten sich die schwarzen (und weißen) Führer der abolitionistischen Bewegung noch weniger für die Forderungen der Frauenrechtlerinnen als zuvor. Und nun, bald ein weiteres Jahrhundert später, deutet alles darauf hin, dass nicht eine Frau, sondern ein Schwarzer die Riege weißer Männer durchbrechen wird, aus denen sich die bisherigen US-amerikanischen Präsidenten ausnahmslos rekrutieren.

Ganz entgegen der historischen Faktenlage meint Stefanie Ehmsen in ihrem Buch "Der Marsch der Frauenbewegung durch die Institutionen" allerdings, die US-amerikanischen Feministinnen des 19. Jahrhunderts hätten mit ihren "Bemühungen", "die rechtliche Situation der Frauen zu verbessern [...] nur weiße Frauen [ge]meint". Dabei verzichtet die Autorin darauf zu versuchen, diese die historischen Ereignisse eher verschleiernde denn aufdeckende Behauptung anhand von historischen Texten der so kritisierten Feministinnen zu belegen, sondern zitiert mit Angela Davis lieber eine afroamerikanische Sozialistin von heute.

Die Bemerkungen zur US-amerikanischen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts werden nicht die einzigen bleiben, die es in Ehmsens Buch zu monieren gilt, in dessen "Mittelpunkt" der "Vergleich der Neuen Frauenbewegung in den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik" steht, deren "Parallelen und Unterschiede" die Autorin aufzeigen möchte, um anhand der "jeweiligen länderspezifischen Ausprägungen [...] allgemeine Aussagen über die Ergebnisse des Institutionalisierungsprozesse" treffen zu können.

Zunächst einmal sind aber die wichtigsten Thesen und der Aufbau der Arbeit vorzustellen. Ihre zentrale These behauptet wenig überraschend, dass sowohl ein "notwendiger Widerspruch" zwischen den Zielen der Frauenbewegung und der "institutionelle[n] Realität" wie auch zwischen dem "normativen Anspruch einer formal egalitären Gesellschaft" und der "Faktizität nicht-egalitärer Strukturen" innerhalb der Institutionen besteht, womit ein "'glatter' Ablauf des Institutionalisierungsprozesses prinzipiell unmöglich" werde. Die "Institutionalisierung politischer Impulse der Frauenbewegung" erweise sich daher als ein "notwendig ambivalenter Prozess". Somit gelte es, sich mit den "Ursachen und Ausdrucksformen dieser Ambivalenzen und Widersprüche" zu befassen und sie "im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung" zu betrachten.

Zur Untersuchung der feministischen Institutionalisierungsprozesse diesseits und jenseits des Atlantiks konzentriert sich Ehmsen zum einen auf die Gleichstellungspolitik am Beispiel der US-amerikanischen affirmitive action und der deutschen Quotierung und zum anderen auf die Frauenforschung an der Freien Universität und der Technischen Universität in Berlin sowie der Columbia University, dem Barnard College und der City University in New York. Außerdem nimmt sie die Feuerwehren in der Hudson-Metropole und in der deutschen Bundeshauptstadt näher in den Blick. Im letzten, siebten Kapitel vergleicht sie die Ergebnisse der Institutionalisierungsprozesse, um so "Ambivalenzen und Widersprüche der Institutionalisierung der Frauenbewegung" deutlich werden zu lassen und "allgemeine Aussagen über die Möglichkeiten und Perspektiven emanzipatorischer Praxis innerhalb der untersuchten Gesellschaften" treffen zu können. Dass die Professionalisierung frauenpolitischer Ansätze nicht nur zur Anpassung der Protagonistinnen geführt habe, zeige sich Ehmsen zufolge schon daran, dass Frauen heute ein "Zugang zu Wissen, Bildung und Ausbildung" möglich sei wie nie zuvor in der Geschichte. Allerdings sei die Behauptung, "es sei im Grunde alles erreicht" ebenso irrig. Schon "ein flüchtiger Blick auf empirische Daten über Einkommen und Aufstiegschancen von Frauen oder über die anhaltende Gewalt gegen Frauen" widerlege sie.

Soweit, so überzeugend. Nun aber zu einigen der bereits erwähnten Schwächen der Arbeit. Da wären zunächst einmal die nicht ganz seltenen Unschärfen und Ungenauigkeiten zu erwähnen. Um etwa die "heutige Sicht" auf eine Frage zu vermitteln, verweist die Autorin auch schon mal auf einen gut zehn Jahre alten Text. Auch belässt sie es allzu oft dabei, in die Sekundärliteratur zu schauen, statt sich den Quellen selbst zuzuwenden. Hinzu treten gelegentlich unzulängliche Quellenangaben. So etwa für die von ihr genannten Mitgliederzahlen der "National Organisation for Women" in den Jahren 1966, 1967, 1976 und 2006. In der entsprechenden Fußnote beschränkt sich Ehmsen auf den Hinweis: "Angabe der NOW, Stand: 2006". Ob es sich um eine persönliche, auf Anfrage erfolgte Mitteilung an die Autorin handelt oder ob die Mitgliederzahlen in einer Publikation nachzulesen sind, erfährt man nicht. Dann wieder wird durch fehlende Informationen ein falscher Eindruck erweckt. So betont die Autorin zwar, dass Bismarcks "Gesetz gegen die gemeinschaftlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" "sozialdemokratische Vereine, Versammlungen, Schriften und Zeitungen verbot", vernachlässigt aber, dass im 19. Jahrhundert auch Frauen jegliche politische Vereinstätigkeit und zudem in Ländern wie Bayern selbst der Besuch von politischen Veranstaltungen untersagt war. Ähnliche Schwächen weist die Darstellung der Ersten Frauenbewegung in Deutschland auf, von der Ehmsen nur einen proletarischen und einen bürgerlichen Flügel kennt, die sie wie folgt von einander unterscheidet: "Bürgerliche Frauenorganisationen konzentrierten sich auf die Forderung nach dem Recht auf Bildung, Ausbildung und Erwerb. Statt des Kampfes um gleiche Rechte gewann die Betonung der Geschlechterdifferenz und das Werben mit frauenspezifischen Werten als Bereicherung für das 'Gemeinwohl' an Bedeutung. Die proletarische Frauenbewegung dagegen lehnte die Konzentration auf reine Frauenrechte ab, da sie sich als Teil der Arbeiterbewegung verstand." Damit radiert Ehmsen den gesamten radikalen Flügel um Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann aus der Geschichte der Frauenbewegung aus. Er vertrat nicht nur über die des gemäßigten Flügels hinausgehende Forderungen, sondern wandte sich insbesondere gegen dessen - wie man heute sagen würde - Differenzfeminismus und betonte somit gerade nicht den Geschlechterunterschied. Bezeichnend ist zudem, dass Ehmsen in diesem Zusammenhang mit Clara Zetkin nur eine Sozialistin zu Wort kommen lässt.

Solche die Fakten betreffende Ungenauigkeiten und Schwächen werden zudem gelegentlich von einer nachlässigen Argumentationsführung begleitet. So erklärt Ehmsen etwa, der "Radikale Flügel der Neuen amerikanischen Frauenbewegung", habe die Ansicht vertreten, dass "die - beispielsweise juristische oder psychologische - Macht des Mannes über seine Familie [...] sich auf die öffentlichen Bereiche der Gesellschaft [übertrage]" und zitiert als Beleg hierfür ausführlich Kate Millet: "Das Militär, die Industrie, die Technologie, die Universitäten, die politischen Ämter, das Finanzwesen, kurz, jeder Zugang zur Macht innerhalb der Gesellschaft, einschließlich der Polizeigewalt, liegt in männlichen Händen. Da Politik auf Macht beruht, kommt dieser Erkenntnis große Bedeutung zu. Was immer an übernatürlicher Autorität, an 'Göttlichem', an ethischen oder moralischen Werten, an Philosophie und Kunst in der Kultur zu erhalten ist, oder, wie T.S. Eliot es einmal ausdrückte, was den Kern einer Zivilisation ausmacht, stammt von Männern." Wie man sieht, erfüllt das Zitat die ihm zugedachte Beweisfunktion keineswegs, denn Millet stellt - zumindest hier - gar keinen Konnex zwischen der Macht des 'Familienvaters' über Frau und Kinder und den öffentlichen Bereichen der Gesellschaft her.

Bei der Untersuchung der Fallbeispiele lässt die Autorin sehr viel mehr Sorgfalt walten. So kann sie für die Gleichstellungsbestrebungen in New York und Berlin nachweisen, dass deren Erfolge trotz einer "starken sozialen Bewegungskultur" derart "fragil" sein können, dass unter "ungünstigen realpolitischen Rahmenbedingungen" ein "'Rückbau' respektive die Aushöhlung gleichstellungspolitischer Maßnahmen" droht. Daher seien sowohl "Druck auf die Legislative" wie auch "Druck durch die Legislative" nötig, um nach dem Verschwinden einer feministischen Bewegung weiterhin "Wirkung zu erzielen".

Ähnlich ambivalent fällt die Beurteilung der Ebene der "Erwerbsarbeit" aus. Zwar hätten Politik und Wirtschaft Frauen als nutzbares "gesellschaftliches Arbeitskräfte- und Kreativitätsreservoir" entdeckt, doch zeige das Beispiel der Feuerwehren, wie "beharrlich" in beiden Staaten "Vorurteilsstrukturen und Rollenverständnisse - gerade in den als männliche Domänen geltenden Berufen - strukturell und habituell fortwirken".

Im universitären Bereich der "Women's Studies und Frauenforschung" sei die "numerische Gleichstellung" nur eine von zwei zentralen Forderungen. Ebenso sehr gelte es, Inhalt und Struktur von Forschung und Lehre qualitativ zu verändern, wobei die Untersuchung nicht nur deutlich werden lässt, "dass die akademischen Strukturen insgesamt durch die Frauenforschung und Women's Studies nur in geringem Maße geändert werden konnten" und statt dessen innerhalb der Institutionen "vorrangig Nischen" geschaffen wurden, sondern auch, "dass die Umsetzung und Präsenz feministischer Inhalte ebenfalls weitgehend an einen hohen Anteil von Frauen in der Wissenschaft gebunden ist." Die von Teilen der Frauenbewegung bekundete "Skepsis gegenüber institutionellen beziehungsweise auf die Institutionen abstellenden Modellen" sei dort berechtigt, "wo die innerinstitutionelle Umsetzungsbereitschaft und die Möglichkeiten, Institutionen von Grund auf zu verändern, im Mittelpunkt stehen."

Überschattet wird das in seiner Gesamtheit, wenn auch nicht überraschende, so doch sicher zutreffende Resümee durch eine kurze und nicht eben tiefschürfende Polemik gegen Judith Butler.


Titelbild

Stefanie Ehmsen: Der Marsch der Frauenbewegung durch die Institutionen. Die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik im Vergleich.
Westfälisches Dampfboot Verlag, Münster 2008.
300 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783896917331

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