Das will uns der Autor sagen

Olga Olivia Kasaty lässt im Gesprächsband "Entgrenzungen" vierzehn Schriftsteller ausführlich zu Wort kommen

Von Mario Alexander WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mario Alexander Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Entgrenzungen" nennt sich das Buch der Literaturwissenschaftlerin Olga Olivia Kasaty, das insgesamt vierzehn Autorengespräche versammelt, die die Autorin in den Jahren 2004/2005 geführt hat. Vierzehn Gespräche mit deutschsprachigen Schriftstellern, die zwischen 1960 und 1975 geboren sind. Geordnet nach dem Alphabet, von B wie Brussig, Thomas über H wie Hermann, Judith bis Z wie Zaimoglu, Feridun. Letzterer dürfte mit seiner Antwort, wie er Literatur definiere, wohl den Anstoß für den leicht sperrigen Titel des knapp 500 Seiten starken Bands gegeben haben: "Literatur einzugrenzen, einen Zaun um Literatur aufzubauen, finde ich nicht richtig." Wenig später bedankt Zaimoglu sich herzlich bei Interviewerin Kasaty - "... es kommt sehr selten vor, dass ich auf eine so schöne Art auf Herz und Nieren geprüft worden bin" - und das Buch ist zu Ende, sieht man vom kurzen Nachwort Heinz Ludwig Arnolds ab, der meint, "dass zum Bilde vom literarischen Werk auch das Bild seines Autors gehört".

Der Titel "Entgrenzungen" bezieht sich nicht nur auf Literatur, sondern auch auf die Gesprächsführung Kasatys selbst. Sie gibt den befragten Autoren Raum, stellt eher die allgemeinen Fragen und lässt die Autoren erzählen, teils seitenlang. Felicitas Hoppe schildert ihre Weltreise auf einem Containerschiff, Judith Hermann gibt Auskunft, warum am Anfang ihres zweiten Erzählbandes "Nichts als Gespenster" ein Beach-Boys-Zitat steht, Julia Franck berichtet höchst interessant von der schwierigen Vereinbarkeit von Schriftstellerberuf und Familie: "Immer wieder erfahre ich, dass es 'unmöglich' ist, als Schriftstellerin zwei kleine Kinder zu haben. Mit der 'Privatsache' Kinder möchte im Beruf niemand konfrontiert werden. Einmal habe ich es gewagt, wegen schwerer Krankheit meines Sohnes eine Lesung abzusagen - mir wurde unterstellt, ich wollte wohl nicht so recht ...".

Einige Fragen stellt Kasaty jedem Interviewpartner, sodass man vergleichen kann, wer was dazu zu sagen hat. Wiederkehrende Themenkomplexe sind der biografische Hintergrund, die ersten Schreibversuche, das Debüt oder der Literaturbetrieb. Immer wieder wird über erste Leseerfahrungen im Kinder- und Jugendalter gesprochen, deren Wichtigkeit alle Autoren bestätigen - bis auf Ingo Schulze: "Ich habe als Kind überhaupt nicht gelesen" (was sich dann aber "ziemlich abrupt mit 13" änderte). Auch die ganz große Frage, "Warum schreiben?", wird gestellt. "Schreiben ist Entgiftung für mich", antwortet Feridun Zaimoglu, der, das merkt man beim Lesen des Gesprächs, zu den entspannten, in sich ruhenden Autoren gehört.

Kasaty gibt weniger die distanzierte, kritische Fragestellerin, sie nähert sich ihrem Gesprächspartner mehr aus der Perspektive einer leidenschaftlichen Leserin. So findet sie beispielsweise, das Felicitas Hoppes Erzählband "Picknick der Friseure" aus "wunderschönen und traurigen" Geschichten besteht, ebenso eine "wunderschöne Geschichte" sei laut Kasaty auch Peter Stamms 2001 erschienenes Buch "Ungefähre Landschaft". An einigen Stellen hätte man sich jedoch mehr Distanz gewünscht. Alle Gespräche sind autorisiert, manche davon mussten, so Kasaty in einem kurzen Vorwort "im Nachhinein ergänzt werden". Momentaufnahmen, gar ungeschönt und abhängig von der Tagesform, sind alle Gespräche also sicher nicht.

Einen Reiz dieses Buches macht aus, die unterschiedlichen Ansichten zu vergleichen, zu sehen, wo sich Wahrnehmungen decken. Kulturpessimistisch, bissig, mit der Welt hadernd; so wirkt der Lyriker Durs Grünbein im Gespräch. "Mich ängstigt die Vorstellung, dass alles sogleich konsumiert und verwertet wird", berichtet der Büchner-Preisträger des Jahres 1995. "Ja! Wenn ich mir ansehe, welche Bücher in den Schaufensterauslagen nebeneinander liegen, dann bekomme ich Angst - alles scheint gleichwertig zu sein."

Um der Bücherflut Herr zu werden, stellen Buchhandlungen bekanntlich die Bücher nach Autorennamen alphabetisch sortiert ins Regal. So meint später Terezia Mora, ebenfalls auf diese Gleichwertigkeit anspielend: "Es gibt eben Unterschiede zwischen Literaturen, und ich wäre viel glücklicher, wenn in einer Buchhandlung nicht neben Utta Danella also wenn Doderer nicht neben Danella auf dem Regal stehen würde." So gibt es manchmal viel zu schimpfen, wohingegen Thomas Brussig in Bezug auf das Bücherangebot meint: "Es gibt seit ein paar Jahren einfach alles, und das ist schön."


Titelbild

Olga Olivia Kasaty: Entgrenzungen. Vierzehn Gespräche mit Schriftstellern.
edition text & kritik, München 2007.
490 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783883778679

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