Von Liebe will ich reden

Pia Reinachers Expedition zu den Leidenschaften in der Literatur

Von Heike HendersonRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heike Henderson

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was kann die Liebe, was will sie, was richtet sie mit den Menschen an? Diesen Grundfragen und Grunderfahrungen der menschlichen Existenz geht Pia Reinacher in ihrem äußerst unterhaltsamen Streifzug durch die zeitgenössische Literatur nach.

Von der "Verführung" über die "Wollust" und "Begierde" bis hin zu "Trugbildern" und "Grenzüberschreitungen" - die Titel ihrer acht Kapitel sind Programm. Jedes dieser Kapitel ist weiter unterteilt in drei Unterkapitel, in denen sich die Autorin jeweils einem Roman genauer widmet. Der Bogen der von ihr untersuchten Werke reicht von Marguerite Duras über Gabriel Garcia Marquez und Zeruya Shalev zu Wolfgang Hilbig und Irene Dische. Vieles ist bekannt, manches berühmt und schon oft analysiert, und trotzdem sind ihre thematisch geordneten Untersuchungen der zwischen 1984 und 2007 veröffentlichten Werke erhellend und kurzweilig zugleich.

Obwohl die Autorin ganz offensichtlich literaturwissenschaftlich bewandert ist, liefert sie keine ausführlichen Interpretationen der behandelten Romane. Sie konzentriert sich stattdessen darauf, Grundmuster der Liebe und des Begehrens anhand der ausgesuchten Texte zu beleuchten. Kulturelle Unterschiede zwischen den einzelnen Werken und soziale oder literaturhistorische Hintergründe werden bei diesen Streifzügen durch die westliche Literaturgeschichte nicht immer ausreichend in Betracht gezogen. Irritierend ist auch, dass sie des Öfteren nur das Erscheinungsdatum der deutschen Übersetzung und nicht das des Originals angibt. Dies wird jedoch mehr als wettgemacht durch den wohltuend lesbaren Stil ihres Werks, der zwischen feuilletonistischem und wissenschaftlichem Schreiben angesiedelt ist und dem es dadurch gelingen dürfte, auch ein nicht akademisch versiertes Publikum anzusprechen.

Der Texkorpus der Untersuchung ist offensichtlich sehr subjektiv zusammengestellt worden: Besonders das Thema Grenzüberschreitungen sowie das im Titel angekündigte, aber im Text selbst nur äußerst flüchtig behandelte Thema Libertinage hätte noch weiter ausgebaut werden können und sollen. Und doch ist es gerade Reinachers subjektiver Blick auf die Darstellungen der Liebe in Werken, die sie selbst als gelungen erachtet, die dieses Buch so unterhaltsam und auch für Laien zugänglich macht. Reinachers Lust am Lesen überträgt sich auf den Leser, ihre Streifzüge durch die Literaturgeschichte regen zum Wiederlesen und Neuentdecken an. Was an kulturell spezifischer oder literaturhistorischer Einordnung fehlt, wird durch die thematisch gegliederten Zusammenstellungen wieder ausgeglichen. Dadurch ergeben sich manchmal unerwartete Einsichten und Erkenntnisse - sowie die Lust, sich auf neue (Lese-)Abenteuer einzulassen.


Titelbild

Pia Reinacher: Liebe, Lüge, Libertinage. Eine Expedition zu den Leidenschaften in der zeitgenössischen Literatur.
Berlin University Press, Berlin 2008.
311 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783940432223

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