Opfer einer großen Idee

Im Juli 1931 begingen zwei Hamburger Kriminalbeamtinnen gemeinsam Selbstmord. Robert Brack ermittelt in seinem Roman erstmals die Hintergründe

Von Karen RauhRSS-Newsfeed neuer Artikel von Karen Rauh

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Robert Brack 2002 über die Geschichte der Hamburger Polizei recherchierte, stieß er in einer offiziellen Chronik auf die folgenden zwei Sätze: "Am 09.07.1931 trieben die Leichen zweier Kriminalbeamtinnen am Strand von Pellworm an, die wegen dienstlicher Misshelligkeiten freiwillig in den Tod gegangen waren. Am 12.07.1931 wurde die Dienststelle aufgelöst."

Kein Wort mehr, keine Erklärung, was das für 'Misshelligkeiten' waren, an deren Ende die Auflösung einer ganzen Dienststelle stand. Bracks Neugier war geweckt. Er beschäftigte sich weiter damit, reiste auf die Nordseeinsel Pellworm und besuchte die namenlos gebliebenen Gräber der beiden Frauen. Im Zuge seiner Recherche scheint Brack tatsächlich auf die wahren Hintergründe dieses über siebzig Jahre alten Falles gestoßen zu sein: "Ich weiß jetzt recht genau, was passiert ist und vermute, dass niemand noch wesentlich mehr herausfinden kann", sagte er in einem Interview. Ein Kriminalautor, der selber zum Ermittler wird, schreibt einen Roman, in dem Realität und Fiktion ganz nah beieinander liegen. Das macht den Reiz dieses intelligenten Krimis aus.

In der Geschichte überlässt Brack die Ermittlungsarbeit Jennifer Stevenson, einer jungen Polizeibeamtin aus London, die im Auftrag der International Association of Policewoman wenige Monate nach dem Vorfall in Hamburg dem Geschehen auf die Spur kommen will. Die objektive Perspektive einer Ausländerin ist gut gewählt. Denn zusammen mit der zunächst noch völlig ahnungslosen Stevenson wird der Leser in die verwickelten gesellschaftspolitischen Verhältnisse in Deutschland, zu Beginn der dreißiger Jahre, eingeführt: Die Nationalsozialisten bekamen immer mehr Zulauf und durchsetzten nach und nach die öffentlichen Behörden. Sie stießen auf den Widerstand kommunistischer Gruppen, mit denen sie sich erbitterte Gefechte lieferten.

Inmitten dieser Wirrnisse stand die WKP - die erst vor wenigen Jahren gegründete weibliche Kriminalpolizei, ein erstes Kind der beginnenden Emanzipationsbewegung. Die WKP war vom Versuch des frühen Feminismus getragen, die Fehler der patriarchalen Welt nicht zu wiederholen: "Wir Frauen wollten einer anderen Polizei angehören", lässt Brack Stevenson sagen, die auch geprägt ist von dem Wissen, wie schwer es für Frauen ist, sich in den Strukturen einer männlich geprägten Bürokratie zu behaupten. "Wir Frauen, die wir unser Leben einer höheren Aufgabe geweiht haben, weil wir uns für die Sklavenarbeit in der Familie zu schade sind, wir müssen hart bleiben, die Zähne zusammenbeißen und die historische Aufgabe ohne Wenn und Aber bewältigen. Jedes Zögern wird als Schwäche ausgelegt. Man wartet doch nur darauf, dass wir scheitern, um uns wieder an den Herd zu verbannen! Wir müssen hart sein und hart bleiben, vor allem uns selbst gegenüber," sagt im Roman die designierte Leiterin der WKP.

Aber genau mit dieser Härte und Unnachgiebigkeit fallen Frauen wie sie in patriarchale Handlungsweisen zurück. Der Intention, die große Idee mit allen Mitteln durchsetzen zu wollen, fällt letztendlich die große Idee selbst zum Opfer und mit ihr die beiden Freundinnen Therese Dopfer und Maria Fischer, die diese Härte gegenüber sich selbst nicht hatten oder nicht haben wollten.

Der Zwiespalt zwischen Anspruch und Wirklichkeit beherrscht alle weiblichen Charaktere des Buches. Beständig loten sie in ihrem Handeln den Raum zwischen den beiden Polen aus. Das macht sie und das Romangeschehen sehr authentisch. Die männlichen Figuren bleiben dagegen blass. Sie treten hinter bestimmten Typisierungen zurück und sind entweder Schläger, Dandy oder Bürokrat.

Das alles erzählt Brack mit kurzen, klaren, fast dokumentarischen Sätzen. Er enthält sich jeder Wertung und überlässt das stattdessen dem immer nachdenklicher werdenden Leser, so dass man am Ende Jennifer Stevenson zustimmen möchte: "Sehen reicht nicht, man muss erkennen."


Titelbild

Robert Brack: Und das Meer gab seine Toten wieder. Roman.
Edition Nautilus, Hamburg 2008.
224 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783894015749

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