Die Angst vor der Bedeutungslosigkeit

Über Olga Flors Roman "Kollateralschaden"

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Supermarkt als Handlungsort? Das klingt nach Konsumkritik und der Banalität des Alltäglichen, nach anonymen Begegnungen, Berauschtheit und künstlicher Verlockung. Doch was die österreichische Autorin Olga Flor daraus macht, ist grandios und überdies gut erzählt.

Ein Supermarkt also. Die erzählte Zeit: 16.30 Uhr bis 17.30 Uhr. An diesem ungemütlichen Ort zwischen Pappbauten und Dosentürmen finden sich Figuren ein, die alle eins kennzeichnet: Vereinzelung, Sinnlosigkeit, Einsamkeit. Da ist Doris, die beim Einkaufen Kalorien zählt und dann zu einem Ernährungsberatungsseminar fährt. Oder Horst, der sich durch das Einkaufen davon ablenken möchte, dass seine Frau gerade operiert wird. Luise, von der wir am meisten erfahren, will politisch Karriere machen, wofür ihr kein Preis zu hoch ist. Erich ist ein übrig gebliebener Lokalreporter, dessen Karriere am Ende ist, noch bevor sie angefangen hat. Schließlich ist da noch der Obdachlose Anton, der im Markt nicht bedient wird und sich dafür rächt, was aber schiefgeht.

Im Minutentakt präsentiert die Autorin Fragmente dieser Figuren: Äußerliches, Gedankengänge, Assoziationen, die sich schließlich gekonnt zu einem Ganzen fügen, ohne zwanghaft zusammengeführt beziehungsweise aufgelöst zu werden.

Als Mo, ein Jugendlicher, mit seinem Freund Sid einen Parcours im Supermarkt laufen will (Hindernisse werden ohne Hilfsmittel und direkt überwunden, die Idee stammt von Jugendlichen in Frankreich), kann er einem alten Mann nicht ausweichen und stürzt. Luise, von einem anonymen Anrufer bedrängt, glaubt an einen terroristischen Anschlag. Erich sieht endlich seine Chance gekommen und schlägt Mo mit einer Flasche nieder. Anna kümmert sich um den alten Mann. Derweil eilt ein Streifenpolizist herbei, der darüber informiert ist, dass es bereits einen Anschlag auf einen anderen Supermarkt gegeben hat (hervorgerufen durch einen anonymen Anruf von Anton) - die Interpretation der Situation als Terroranschlag ist damit fast vollendet. Das dazugehörige Fernsehteam ist noch vor den Polizeikräften vor Ort. Und während sich Luise auf ihren medienwirksamen Auftritt vorbereitet, freut sich Tobias, Lehrling im Supermarkt, der wie alle anderen Angestellten darauf konzentriert ist, möglichst viele Schlupflöcher zu finden, damit sein Arbeitsalltag erträglich wird, darüber, dass Mos "Schuhe so gut passten, dass sie den Zehen auch beim Abbiegen noch Platz ließen, ohne am Rist zu weit zu sein."

Und wo ist da die Katastrophe, auf die der Titel 'Kollateralschaden' verweist? Ist es der bewusst in Kauf genommene Schaden während einer militärischen Aktion, der auch Zivilisten betrifft? Er wird erst am Ende sichtbar, wenn sich der Leser fragt, ob nicht vor allem die skizzierten Verhaltensweisen nicht bereits Kollateralschäden sind. Denn zum Schluss - ein Schuss, ein Toter - sind die Figuren nicht etwa miteinander verbunden, sondern stehen weiterhin in ihr jeweiliges persönliches Panoptikum verwebt da. Olga Flor betont diesen Aspekt: "Die Angst, oder eher eine mit einer gewissen Lustangst verbundene Bereitschaft, Terror zu erwarten, wird schließlich zum Selbstläufer."

Der Autorin ist ein kluger, spannend aufgebauter Roman gelungen. Sie zeigt an Details, wie es in einer auf Angst vor Terror gedrillten Gesellschaft zugeht, in der kommunikatives Miteinander keinen Platz mehr hat. Das Buch stand verdientermaßen auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Auf der Shortlist war es leider nicht mehr vertreten.


Titelbild

Olga Flor: Kollateralschaden. Roman.
Paul Zsolnay Verlag, Wien 2008.
208 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783552054400

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch