Autoren- wie auch Thierenschaft
Über Uwe Schüttes "Die Poetik des Extremen"
Von Martin A. Hainz
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEine Monografie des Extremen widmet sich einem Thema, das zunächst billig scheint - was, wenn nicht das Extreme, bedarf der Exegese und ist zugleich so sehr der Aufmerksamkeit gewiss? Dann aber stellt sich sehr rasch die Frage, was dann extrem sei - ob es nicht schon durch seine Rezipierbarkeit quasi korrumpiert sei, wobei die Schwelle der Verschriftlichung ebenso Fragen aufwirft, wie die Edition, gar die Kanonisierung und schließlich die Philologie. Und als Spiegelbild dessen lässt sich fragen, ob nicht das Nicht-Extreme schlicht verkannt sei, in seiner Radikalität, die etwa Inka Mülder-Bach in Bezug auf den angeblich langweiligen Friedrich Gottlieb Klopstock formulierte. Könnte Langweile nicht schließlich gar in produktiver Weise extrem sein, und vielleicht eine Qualität? Man denke an den anthropologischen Aperçu Johann Wolfgang Goethes: "Wenn die Affen es dahin bringen könnten, Langeweile zu haben, so könnten sie Menschen werden."
Fragen über Fragen, mit denen sich Uwe Schütte in seiner lesenswerten Studie konfrontiert sieht. Und lesenswert ist diese Arbeit zuallererst, weil Schütte diese Fragen nicht wegwischt oder zu Tode diskutiert, sondern in seinen Versuch miteinbezieht, einen diachronen Querschnitt der Geschichte des Radikalen zu formulieren. Er stützt sich nicht einfach auf die, wie er weiß, schon ventilierten Urteile, dass gewisse Dichter radikal sind, er schreitet tatsächlich den Raum aus, der sich ergibt, und bietet überzeugende Ansätze zur Definition in ihrer immanenten Oszillation.
Ein Schlüssel Schüttes ist dabei der Blick auf die Katastrophe und die Krise als Vollendung. "Kleists Texte sind unausgewogen und unausgeglichen", schreibt er, doch dies ist kein Negativurteil, sondern die Entdeckung, der Exzess etwa in Stücken wie der "Familie Schroffenstein" sei von einer gewissen Dignität, er zeigt "die selbstzerstörerische Komponente der Vernunftordnung". Es gibt keine Erlösung - das in der Schrift zu formulieren, die doch immer zu erlösen schien, ist der Reiz des Extremen, ein Reiz, der tatsächlich nicht nur angenehm stimuliert. Vor allem ist das so, weil sich niemand auf jenen Reiz berufen darf, auf jenes Schwelen etwa in der Hermannsschlacht, worin der Tyrannenmord ja nicht das letzte Wort hätte - das deutet Schütte mit Wolfgang Wittkowski an. Die Fremdherrschaft bliebe, und sei es in der Demokratie, jedenfalls so lange, bis der Volkswille einmal hegelianisch würde.
Gewalt und Aufklärung sind, wie mit Girard gezeigt wird, miteinander verknüpft. Die Literatur legt hiervon Zeugnis ab, wo sie extrem ist, so Schütte, denn sie arbeitet dann der Dialektik der Aufklärung zu und generiert Spannung. Das Extreme, das augenfällig ist, wäre die Lösung der Spannung, und so ist das Rätsel jenseits der Frage, die die Monografe beschäftigt, ob nicht die stillen Texte zuweilen subversiver und extremer sind.
Das Inkommensurable Hölderlins ist womöglich extrem in seinem Nicht-Exzeß, im Nicht-Wahnsinn, was ihn mit "Literaturingenieuren wie Klopstock oder Goethe" inniglicher verbindet, als die hier der Pointierung geschuldete Darstellung Schüttes es ahnen lässt.
Das Votieren Schüttes für das Extreme ist sonst aber differenzierter, glaubhaft und stringent. Wie in seiner Studie neue Körpermatrizen gedacht werden, die Entstellung Insignie wird, der Ekel nach Friedrich Nietzsche und mit Winfried Menninghaus als Erkenntnis gedacht wird, ist spannend und überzeugend.
Der Tod des Autors als Ende falscher Souveränität wird zum paradoxen Fokus des Extremen, das sich an der Peripherie gerade ohne solches Gravitationszentrum weiß. "Bin ja schließlich auch / ein Mensch -?!" - diese Frage Johann von Herbecks ist schließlich die Aporie des Extremen, des Selbstverlusts als Konsequenz des Selbstseins. Das Tier oder allgemein die "Thierenschaft" ist die Antwort. Ein Mensch, der sich literarisch als Sprachüberforderung erfährt, und seine "sprachliche(n) Idiosynkrasien notwendigerweise als defizient". Das wandelt Literatur für den Menschen, der sich als "das noch nicht festgestellte Thier" zu begreifen beginnt, wie Nietzsche schreibt. Womöglich fehlt dieses Zitat der vorliegenden Monografie um das Tier, auf das Herbeck rekurriert, als "widernatürliche Anteilnahme" ganz zu fassen; reizvoll wäre hier übrigens auch eine Behandlung des Teufels gewesen, worin sich ähnlich ein "humanistischer Aberwillen", wie Balthasar zu Klopstock annotiert, äußern mag.
Hier werden von Schütte dennoch ohne Frage geistreich wichtige Verbindungen gezeichnet, und auch wenn Detailfragen offen bleiben, etwa, wie denn die Dichtung eines Herbeck vom editorischen Eingriff bereinigt aussähe, ob nicht die Herausgabe schon relativiere oder mindere, vielleicht aber auch das Extreme moderierend erst als Zug- und Spannproblem kenntlich mache, so ist das doch kein Vorwurf an das Buch, sondern eher die Hoffnung, von Uwe Schütte bald mehr zu diesen Fragen zu lesen.
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