Kein Fast food
Jan Volker Röhnerts Lyrikband "Metropolen"
Von Christophe Fricker
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAuch die härstesten Manifestationen im Leben einer Metropole - Autobahnen vor Bankentürmen - haben ihre Geschichte und werden verschwinden. Selbst die flüchtigsten Momente des Lebens in einer Metropole - Augenblicke auf einer Bank im Park - können im Gedächtnis bleiben. Die Flüchtigkeit auch des Gestalteten ist es, was Jan Volker Röhnerts Gedichte anspornt und was in ihnen, für eine Weile, für manchen Leser, bewahrt bleibt. Die Festigkeit des Schriftlichen und des in besonders dicke Pappe eingeschlagenen Bandes begünstigen im Flanieren freilich die Anhaltspunkte, auch wo sie ironisiert werden: "In der Sonne wird die Bedeutung konkret, // ein Mädchen, das mit dem Becher Kaffees / aus dem Saftladen geht - der schwarze Onkel / bei der Treppe zum Schacht, jede Pose // ist ein Plakat."
'La Spezia' feiert die Richtigkeit der Realität in einer langen Folge von Aussagen nach: "Hier siehst du eine Frau, die nur ihrer Beine wegen / existiert. Hier geht ein Mann, Terrier an der Leine, // der nur wegen dieses Hundes existiert." Dies wird im Lauf des Gedichts weitergeführt auf philosophische Wege: "Die Erinnerung existiert der Sehnsucht wegen // nach Gegenwart, die es der Augenblicke wegen / gibt." Das Thema wird fortgeführt von 'Vormittag am Meer', einem Gedicht, das die Klarheit des Meeres und die Beständigkeit und die Wortfähigkeit dieser Klarheit nicht nur behauptet, sondern auch in klaren Worten formuliert. Das alles ist immer in Gefahr, und diese Gefahr ist ein Thema, dem sich ein Dichter nur stellt, wenn er Mut hat. Röhnert hat Mut. Er beschreibt ein Aufwachen in der gewaltigen Welt: "dann / annoncierten die Schläge der Abrißkolonne die / kommenden Kriege, bereits / in die Gehirne gestanzt, zu / Beginn der Überlieferung." Unter dem ganzen Band könnte eine Passage aus 'Wo nie die Sonne untergeht' stehen: "Ich sage das nur, weil es sein könnte, / die Götter entschließen sich, die Stadt // in Schutt zu legen, und zwar bald." Im Zwischenmenschlichen, in der - wie auch der Dichter selbst bedauert - flüchtigen Begegnung, gerät Festgefügtes ins Wanken: "Im Schwenk deines Profils bricht die ganze Straße mit ihren Kolonnaden aus dem Lot."
Melancholie auf der einen Seite und auf der anderen Seite das Bewusssein, dass vielleicht auch etwas wird bestehen können, begünstigen einige liedhafte und wiederholungsoffene Gedichte wie 'Das Fahrrad von Blaise Cendrars', dessen binnenzeilige Trennstriche anzeigen, wie Rhythmen schon miteinander in Konflikt geraten. Subjekt und Du sind bald zum Nichtmehr verdonnert: "Dieser Sommer mit seinem himmlischen Glanz / kehrt nie mehr zurück. Amsel, gräserne Queen, / buchstabier mir dein Lied, bevor ich versteinert bin." Du und Ich werden in den Gedichten, solang sie nicht direkt (und in Kursivdruck) einander gegenübergestellt werden, austauschbar, der wahrnehmende Dichter bleibt vielgestaltig, aber allein: "Blicke, die in den meinen / stranden, als hätten wir uns erkannt" ist das lyrische Echo, das der Leser - gleichwohl dankbar für das Gelingen der Zeilen - hört.
Einer der lyrischen Höhepunkte des Bandes ist das abschließende Prosagedicht 'Nachbemerkung', ein gelassenes und sympathisches poetologisches Glanzstück, das die eigenen Meister anspricht (Charles Baudelaire, Rolf Dieter Brinkmann) und sogar eine - ziemlich geniale - Definition der Lyrik wagt: "Übermaß an Beteiligtsein". Der Definition folgt eine hermeneutische Pirouette: "Oft habe ich mich über den Einwand gewundert, meine Gedichte seien ja gar nicht 'zu verstehen'. Sind das Lammragout und der Blauburgunder 'zu verstehen'?" Über diese Parallele läßt sich gleichwohl streiten: Röhnerts Band regt zum Genießen und zum Nachdenken an, aber nicht zuletzt wegen der schon erwähnten dicken Pappdeckel schmeckt er wohl weniger gut als selbst das mieseste (vom Rezensenten selbst zubereitete) Lammragout. Er (Band) ist lesbar, es (Ragout) ist essbar. Geistige und körperliche Nahrung sind nicht dasselbe. Fragt man nach der Natur der Unterschiede, stößt man schnell wieder auf die unabweisbare Sinnsuche des lesenden Menschen, dem gegenüber auch die Gedichte, trotz aller - keineswegs durchgehenden - Schwierigkeiten, offen sind. Nur so können dem Leser Röhnerts Gedichte etwas bedeuten, vor wie nach den Mahlzeiten. Dass sie nie in einer bestimmten Interpretation aufgehen, liegt in der Natur der Sache: Es gibt nie die Interpretation, sondern nur eine Interpretation und dann immer wieder eine neue. Zum Weiterspinnen in dieser Hinsicht, das gibt auch die 'Nachbemerkung' zu, laden die Gedichte ein, und dafür gebührt dem Autor der Dank des weder köchelnden noch schmorenden Rezensenten.
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