Eine Leiche im Landwehrkanal

Die Neuauflage von Klaus Gietingers Analyse des Mordes an Rosa Luxemburg

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits 1992 erschien in der "Internationalen wissenschaftlichen Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" die Analyse Klaus Gietingers, die dann 1993 erstmals in Buchform veröffentlicht wurde. Der Filmemacher, bekannt geworden mit dem Streifen "Daheim sterben die Leut", beschreibt darin zum einen auf Grundlage aller vorliegenden Akten mit größter Akribie die Hintergründe der Ermordung Rosa Luxemburgs. Zum anderen - die dramaturgische Aufbereitung liegt bei einem Filmemacher nahe - bedient er sich unwissenschaftlicher Bezeichnungen wie "kleiner Napoleon" für Waldemar Pabst und "Leichendieb" für Gustav Noske. Auch hebt er kaum hervor, wo er beginnt, das Material zu interpretieren und Schlüsse zu ziehen, die höchst naheliegend, aber nicht bewiesen sind.

Dennoch ist die vorliegende Neuausgabe der Edition Nautilus unentbehrlich für das Verständnis der Umstände, unter denen Rosa Luxemburg starb. Akribisch deckt Gietinger die Seilschaften zwischen Militärminister Gustav Noske, der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD), deren Generalstabsoffizier Waldemar Pabst, Kapitänleutnant Wilhelm Canaris und Horst von Pflugk-Harttung (Anführer eines Stoßtrupps in Berlin) auf.

Der Tathergang 1919 war demnach folgender: Während des Januaraufstands werden Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Wilhelm Pieck von einer fünfköpfigen Bürgerwehr in einer Wohnung in Wilmersdorf festgenommen und ins Hotel Eden gebracht, in dem die GKSD Quartier bezogen hat. Die Bürgerwehr wird für diesen Dienst großzügig belohnt. Das Marine-Eskadron des Kapitänleutnant Pflugk-Harttung wird ins Hotel geholt, er bringt einige Offiziere mit, die später beim "Abtransport" von Liebknecht und Luxemburg dabei sein werden. Ein anderer Offizier, der nicht zu dieser Gruppe gehört und nichts von deren Plänen weiß, befürchtet, Luxemburg und Liebknecht könnten lebend entkommen und beauftragt den Jäger Runge, sich darum zu kümmern. Sowohl Liebknecht als auch Luxemburg versetzt Runge, als sie aus dem Hotel geführt werden, einen heftigen Kolbenschlag. Was anschließend jeweils im Wagen geschah, wird über Jahre und Jahrzehnte die Gerichte beschäftigen. Liebknecht sei auf der Flucht erschossen worden, auf Luxemburg sei ein Schuss aus der umstehenden Menge abgegeben worden, heißt es kurz nach der Tat.

Peinlicherweise wird das eingeleitete Ermittlungsverfahren vom Kriegsgericht der Division selbst durchgeführt. Kriegsgerichtsrat Krautzig bemüht sich überraschenderweise ehrlich um Aufklärung, doch er wird schnell von seinem Kollegen Jorns abgelöst, der als erstes die beiden Hauptverdächtigen, darunter Pflugk-Harttung, freilässt. Es beginnt ein unglaublicher Justizskandal, Verdächtige können fliehen und werden höchst halbherzig gesucht, Zeugen werden nicht vernommen. "Das Tagebuch" und sein Mitherausgeber Josef Bornstein werfen Jorns Vorschubleistung vor, worauf Jorns wegen Beleidigung klagt. Luxemburgs Weggefährte Paul Levi vertritt Bornstein. Gietinger, der die Prozessakten studiert hat, hält fest: "Zweimal passierte dem Staatsanwalt das Missgeschick, dass er den Nebenkläger und Reichsanwalt Jorns mit 'Angeklagter' ansprach." Die Richter urteilen zugunsten Bornsteins, Jorns geht in Revision und die dritte Instanz spricht ihn mit dubiosen Begründungen frei. Obwohl Pabst 1966 seine Einflussnahme auf den Jorns-Prozess zugab, berief sich das Stuttgarter Landgericht noch 1970 auf dieses Urteil.

Beim eigentlichen Mordprozess wird ausgerechnet Wilhelm Canaris zu einem der Richter bestimmt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Leiche Rosa Luxemburgs noch nicht aufgefunden worden, so dass die Todesursache (der Kolbenschlag Runges oder der Schuss, dessen Herkunft angeblich nicht ganz klar ist) nicht definitiv festgestellt werden kann. Es kann also niemand wegen Mordes, sondern höchstens wegen versuchten Todschlags verurteilt werden. Verhängt werden gemäßigte Haftstrafen, der Fliegeroffizier Vogel kann nach kurzer Zeit fliehen und wird kaum ernstlich gesucht. An der Flucht maßgeblich beteiligt ist Canaris, der daraufhin - in Abwesenheit Noskes - durch Veranlassung Philipp Scheidemanns festgesetzt wird, aber wegen angeblich fehlender Beweise drei Tage später wieder freikommt. Auch hier stellte Pabst 1966 klar, dass Canaris den gefälschten Pass für Vogel besorgte und diesen aus dem Gefängnis holte.

Als die Leiche Luxemburgs gefunden wird, lässt Noske sie ins Lager Zossen bringen. Luxemburgs Vertraute Mathilde Jacob erwirkt, dass bei der Obduktion ein Arzt ihres Vertrauens dabei ist, doch kein unabhängiger Arzt bringt den Mut zu der Untersuchung auf. Als Todesursache wird ein Schuss aus unmittelbarer Nähe festgestellt, als Täter kommen nur Vogel und ein zu diesem Zeitpunkt nicht näher bestimmbarer Marineoffizier in Frage. Das Urteil gegen den sicher in den Niederlanden sitzenden Vogel wird von Noske Anfang 1920 bestätigt, wohl um ein erneutes Verhör Vogels zu verhindern. Pabst berichtete 1969, dass ein Prozess nie hatte stattfinden sollen, das zumindest habe Noske versprochen.

1921 gibt es erneute Diskussionen über den bisher nicht identifizierten siebten Mann im Wagen, in dem Rosa Luxemburg abtransportiert wurde. Vieles spricht für Leutnant Souchon als Täter, der bereits in früheren Prozessen als Zeuge ausgesagt hatte. Souchon lebt inzwischen in Finnland und ist dort nicht abkömmlich. Souchon wird auch Jahre später den Mord bestreiten, während Pabst verkündet, Souchon habe den Auftrag erhalten, Luxemburg zu erschießen.

Soweit die Geschichte, wie sie sich in zeitlicher Nähe zum Mord abspielte und wie sie sich in großen Teilen auch aus der bereits 1967 in der edition suhrkamp erschienen Dokumenten-Sammlung "Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht" rekonstruieren lässt. Doch Klaus Gietinger geht weiter und deckt auf Grundlage von Gesprächen mit Zeitzeugen, allen voran Waldemar Pabst selbst, die Verwicklungen des Mordes auf. Pabst, dessen Aussagen in den 1960er-Jahren dann skandalöserweise in einem Prozess gegen den Redakteur Dieter Ertel als unseriös abgetan wurden, während die alten Gerichtsakten als Basis herangezogen wurden, hat sich in dieser Zeit mit den politischen Morden geradezu gebrüstet. Der Redakteur und der zuständige Sender, der SDR, mussten widerrufen, dass Souchon am Mord beteiligt war, obwohl Pabst verkündete, Souchon habe den Mordauftrag erhalten.

Am Ende ist vielleicht auch gar nicht so wichtig, ob Souchon oder ein anderer den tödlichen Schuss abgab, wichtig ist die von Gietinger vorangetriebene Aufklärung der Seilschaften, die für die Vorbereitung, Durchführung und Vertuschung des Mordes verantwortlich waren.

Die vorliegende Ausgabe, die im Gegensatz zur Erstauflage um Porträts der Beteiligten und zahlreiche Abbildungen ergänzt wurde, beinhaltet auch bei den abgedruckten Dokumenten eine interessante Ergänzung: Einen Brief des ehemaligen Marinerichters und Zeitzeugen Otto Kranzbühler. Kranzbühler reagiert in diesem Brief von 1993 auf die erste Veröffentlichung Gietingers zum Luxemburg-Mord. In Zusammenhang mit dem, teilweise berechtigten, Vorwurf, Gietinger lasse zuviel persönliche Meinung einfließen, ziehe nicht restlos beweisbare Schlussfolgerungen, lässt er sich zu einem überraschenden Geständnis hinreißen. Er schreibt, dass Pabst und Noske am Tag vor der Ermordung telefonierten und über eine Genehmigung für die Erschießung Liebknechts und Luxemburgs diskutierten, die der General von Lüttwitz aber nie erteilen würde. Kranzbühler zieht daraus den Schluss, dass Noske nicht an der Ermordung beteiligt war, während Gietinger sich vor allem auf Noskes Worte "dann müsse er [Pabst] selbst verantworten, was zu tun sei" beruft, was Pabst als Freibrief verstehen konnte. Kranzbühlers Versuch, Noske rein zu waschen, beweist damit zumindest, dass Noske von den Mordplänen wusste und sich ihnen nicht entgegenstellte.

Die Intention Kranzbühlers erschließt sich allerdings nicht aus dem Text Gietingers, sondern ausschließlich aus den im Anhang abgedruckten Dokumenten, so dass es unbedingt ratsam ist, beide Teile des vorliegenden Buches aufmerksam zu lesen.


Titelbild

Klaus Gietinger: Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs.
Edition Nautilus, Hamburg 2009.
189 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783894015930

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