Das Reich der Schatten

Über „Schatten. Ihre Darstellung in der abendländischen Kunst“: Eine Einführung von Ernst H. Gombrich

Von Frauke SchlieckauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frauke Schlieckau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Leonardo da Vincis „Mona Lisa“, Monets „Seerosen“ oder Sandro Botticellis „Geburt der Venus“, das sind Kunstwerke, die vielen von uns ein Begriff sind. Wir meinen sie zu kennen, sooft sind wir ihnen in Magazinen, Katalogen, auf Abbildungen und im TV schon begegnet. Wie aufmerksam aber betrachten wir solche Bilder? Wie eingängig sind die separat dargestellten Elemente in der Gesamtkomposition wirklich?

Eine Frage, deren Antwort sich zum Beispiel anhand eines einzelnen Details überprüfen lässt. Lassen sich in den genannten Darstellungen Schatten finden oder nicht? In den meisten Fällen werden wir wahrscheinlich die Antwort schuldig bleiben, denn der durchschnittliche Museumsbesucher achtet auf viel, aber nicht auf die unauffälligen, oft schmalen dunklen Stellen in den Bildern. Auch in der Kunstgeschichte wurde ihre Darstellung bisher eher stiefmütterlich behandelt. Dabei sind die gemalten Schlagschatten durchaus mehr als nur eine dekorative Spielerei: Denn auch wenn „uns diese vagen Formen nicht unbedingt zu Bewußtsein“ kommen, „steigern sie in uns das Gefühl einer lebendigen Präsenz der Modelle“, die den einzelnen Bildern oftmals erst zu ihrer vollen Darstellungskraft verhilft.

In seinem Buch „Schatten. Ihre Darstellung in der abendländischen Kunst“ versucht Ernst H. Gombrich Abhilfe zu schaffen und beleuchtet die Geschichte und Wirkung eines wichtigen kunsthistorischen Details. 1996 erstmals in Deutsch veröffentlicht, ist Gombrichs Einführung dieses Jahr als hübsches, in rot gebundenes Bändchen acht Jahre nach dem Tod des Autors in der zweiten Auflage im Wagenbach Verlag erhältlich. Wer Sir Ernest Henry Gombrichs „Über die Kunst“ gelesen hat, das wohl bekannteste Standardeinführungswerk der Kunstgeschichte, weiß, was ihn erwartet. Eine klare, verständliche Sprache, ein Blick fürs Detail und präzise Beschreibungen, wie gewohnt locker und inhaltlich versiert, ergänzt durch zahlreiche Abbildungen: „Anhand vieler Beispiele – von der Antike bis zu Henri Cartier-Bresson“ geht Gombrich „dem erstaunlichen Phänomen nach, dass Künstler zwar schon immer mit Licht und Schatten modellierten, ihren Gegenständen aber nur relativ selten gestatteten, einen eigenen Schatten zu werfen. Wer Gombrich auf seinem Weg durch das imaginäre Museum der Schatten folgt, gewinnt nicht nur auf beiläufige Weise einen neuen Blick für die unendliche Vielfalt der Verteilung von Licht und Schatten, sondern erfährt auch wie Künstler damit arbeiten.“

Tatsächlich hat der Kunsthistoriker hier einen sehr speziellen Aspekt aus der abendländischen Kunstgeschichte herausgegriffen, alles in allem aber bleibt Gombrich jedoch leider an der Oberfläche eines eigentlich so interessanten Sujets. Ein wenig schade ist auch, dass sich die Auswahl der von Gombrich gezeigten Beispiele auf Bilder aus dem Bestand der Londoner National Gallery beschränkt. Ein Umstand, der allerdings der Tatsache geschuldet ist, dass die Idee zu diesem Band nur entstand, da die National Gallery, „die seit einigen Jahren einen ihrer kleinen Räume zur Verfügung“ stellt, „um zeitgenössischen Künstlern die Gelegenheit zu bieten, eine Auswahl von Bildern aus ihrem Bestand zu zeigen, die für sie und ihre Kunst von großer Bedeutung sind“, 1996 auch Gombrich einlud diese Möglichkeit zu nutzen, um einen Problemkreis vorzustellen, der ihn beschäftigte. Das Ergebnis war eine Ausstellung zu eben jener in der Kunstgeschichte vernachlässigten Darstellung der Schlagschatten, aus der als Nebenprodukt der hier besprochene Band entstand.

Zwar räumte Gombrich in seiner Einführung selbst ein, dass es sich bei „Schatten. Ihre Darstellung in der abendländischen Kunst“ nur um eine knappe Übersicht zu einem weitläufigen Thema handelt, ein wenig mehr Information wäre trotzdem dankenswert gewesen – schließlich hat die Kunstgeschichte, was die „dunklen Begleiter“ betrifft, noch einiges mehr zu bieten. Auch gegen die Einbindung des Schattens in eine kurze Bildbeschreibung des jeweiligen Gemäldes wäre nichts einzuwenden gewesen. Hingegen positiv hervorzuheben ist der ausführliche Anhang, in dem sich alle besprochenen Gemälde noch einmal als Farbabbildung finden lassen, quasi eine kleine Wiedergutmachung für den allzu spärlichen Fließtext auf mageren 96 Seiten.

Leser können also davon ausgehen, mit einem interessanten Thema vertraut gemacht zu werden, aber dürfen „von dieser Einführung, die vor allem die Selektivität des künstlerischen Auges veranschaulichen soll, keine zusammenhängende Kunstgeschichte erwarten.“ Der Band hat ihren Zweck bereits erreicht, wenn die Leser durch ihn dazu angeregt werden, in den Kunstwerken der Vergangenheit nach Darstellungen von Schatten zu suchen und sich zu vergegenwärtigen, wie selten sie in der Malerei vorkommen. Alles in allem aber gelingt es Gombrich durchaus, den Leser zu eigenen Entdeckungen beim Betrachten von Bildern zu ermutigen.

Titelbild

Ernst H. Gombrich: Schatten. Ihre Darstellung in der abendländischen Kunst.
Übersetzt aus dem Englischen von Robin Cackett.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009.
93 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783803112590

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