Die Mühle im Hirn, der sprechende Mantel, die lohnende Lücke

Markus Bundis neuer Erzählband „Sehrgeehrte und andere“ spricht im besten Sinne an

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man hätte das Buch auch „Ein gutes Dutzend“ nennen können, denn so viele Geschichten präsentiert Markus Bundi, und gut sind sie auch, dazu wohlkomponiert. Wo andere in Wundertütenmanier ihr Füllhorn an Gelegenheitsarbeiten ausschütten, da setzt der inzwischen 40 Jahre alte Schweizer seine Erzählungen mit schöner Folgerichtigkeit aneinander, Fuß vor Fuß. Die Dramaturgie muss man nicht wahrnehmen, sie macht sich nicht wichtig. Und doch verstärkt es den Genuss, wenn man den Plan erkennt, der mit der Anrede „Im Vorraum“ beginnt und einem Menschen, der es geschafft hat, „ganz sich selber zu sein“, endet. Die Geschichten sprechen den Leser unabhängig davon an, weil der Autor ihre Sprache so wichtig nimmt wie ihre Orte, die Figuren nicht zu vergessen; die Menschen. Die treffen sich beispielsweise in „Die Lücke“ beim Wirt des „Anker“. Was für welche es sind? „Überlebende, Menschen, also, die trotz aller Verheerungen sich selbst geblieben sind.“ Eine Art modernes Märchen erzählt Bundi, indem er Anleihen bei Traditionen bester amerikanischer Kurzgeschichten macht und doch eine ganz bestimmte eigene Atmosphäre heraufbeschwört, was unangestrengt wirkt. Souverän greifen hier Witz, Melancholie und Fabulierlaune ineinander. Komisch, dazu aber auch etwas böse die Erzählung „Wie es kam, dass ich bin“: eine leichte Weise über das Polieren der Sterne und den Fall ins Menschsein. Und um die Liebe geht es sowieso, ob die Geliebte nun Anna oder Annina heißt, ob es um gefährdete Freunde oder aus dem Beruf gefallene Verwandte geht. Leicht erzählt Bundi davon, dass nicht leicht ist zu leben.

Man könnte dem Leser den Rat aus der Geschichte „Eine Handvoll Schnee“ mit auf den Lektüreweg geben: „Du sollst nicht weitergehen, wenn Du noch nicht angekommen bist.“ Es lohnt sich nämlich, zweimal hinzuschauen, mitzudenken, mitzufühlen, wenn ein Mantel lebendig ist, Verrücktheiten und Wahnideen ins Leben greifen, wenn eine „Tunnelgarage“ vom Autor aus ihrer öde-unheimlichen Hässlichkeit durch Erinnerung und Aufmerksamkeit erlöst wird.

Bundi geht es nicht einfach um Blüten im Alltagsgrau, sondern durchweg um Sprachfragen, die zugleich immer Sinnfragen sind. En passant streut Bundi kurios verwirrende Erkenntnisse über das lange Altern der Schildkröten oder über Leibniz und seine komplexe Mühlen-Hirn-Ideen ein. Das kommt in einer Rede an Neurologen vor, in der nichts weniger als eine Apotheose der Erzählung begegnet: „Sehrgeehrte, wir sind unsere Erzählung.“ Und weiter heißt es: „Indem es uns glückte, Distanz zu uns selbst zu schaffen, denn nichts anderes leistet unsere Vernunftfähigkeit, haben wir überlebt. Wir haben überlebt, weil sich irgendwann die Einsicht durchsetzte, dass wir über ein einzelnes Lebewesen hinaus Erfahrungen zu vermitteln haben. Der Mensch ist vor allem eins, und darin sehe ich den Hauptunterschied zu allen andern Lebewesen auf diesem Planeten. Der Mensch ist ein Vermittler.“ Offenbar eine kleine Hommage an Sebastian Quendel.

Die Freiheit der Form bei Bundi – es gibt auch das Schreiben an einen Freund und eine Flaschenpost an Barack Obama – stört den Gestus des Erzählens nicht und schon gar nicht die Komposition des Bandes, dessen Texte Botschaften sind, die alle von einem Sender stammen. Es ist nicht schwer, mit ihm auf eine Wellenlänge zu kommen, und die klare Sprache erleichtert die Aufnahme selbst komplizierterer Gedanken. Wenn man dann noch weitersucht, wird man auch auf die mitschwingenden Informationen des Trägersignals aufmerksam, die für jeden Leser eine eigene Nachricht übermitteln.

Titelbild

Markus Bundi: Sehrgeehrte und andere. Erzählungen.
Edition Klaus Isele, Eggingen 2009.
120 Seiten, 14,20 EUR.
ISBN-13: 9783861424697

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