Man ist mehr Monster als man weiß
In „Feuer brennt nicht“ zeichnet Ralf Rothmann ein tomografisch genaues Porträt eines spleenigen Schriftstellers
Von Andreas Tiefenbacher
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEinen Schriftsteller als beziehungsfähigen, unkomplizierten Menschen zu sehen, darauf würde man nicht so schnell kommen. Auf „chronischer Träumer“ schon eher, neigt der Schriftsteller doch dazu, die Welt nicht so zu sehen, „wie sie ist, sondern wie sie seinem Empfinden nach sein sollte: Eine frei Existenz voller Anmut und Abenteuer“.
So eine Existenz (fern ab von dort, wo „die enge Geometrie des Voraussichtlichen lauert“) hat auch die Hauptfigur in Ralf Rothmanns neuen Roman „Feuer brennt nicht“ im Visier: der Schriftsteller Wolf. Seit je ist „das Sexuelle“ die Hauptsache in seinem Leben. Und doch mangelt es ihm Frauen gegenüber „an Einfühlsamkeit und Geduld“. „Umwerbung ist seine Sache nicht“, da ist „ihm sein Stolz im Weg“.
Zur Entschuldigung sei vermerkt, dass er es nicht leicht gehabt hat: Als Kind „einer hartherzigen und bis aufs Blut prügelnden Mutter“ ausgesetzt, hat Wolf ab 14 arbeiten gehen müssen, und das „körperlich hart“ und mit dem immer gleichen Tenor: „Wehe, du kommst zu spät. Wehe, du mauerst zu langsam. Wehe, du gehst zu zeitig“.
Daher ist der Traum, Schriftsteller zu werden und mit nichts anderem als „mit poetischer Lizenz zu arbeiten, wann und wo und wie viel man will“, sehr verlockend. Während alle anderen in den Mittagspausen „ihre Bildzeitungen oder Sankt-Pauli-Nachrichten“ lesen, blättert er „in Reclam-Heften“. „In den Augen seiner Lehrherren, Vorarbeiter und Meister“ ist Wolf deswegen „ein Idiot in der Wolke“. Die Literatur allerdings sagt ihm, dass er mit seinen Träumen richtig liegt. Und auch wenn die Realisierung derselben sich anfangs als problematisch erweist, weil „die Membran zwischen Poet und Prolet […] noch zu dünn und zu durchlässig“ ist, so bedeutet Schreiben für ihn dennoch „Glück […], trotz aller Mühe“, die ein Schriftsteller nie los wird, weil er „immer wieder vor dem Nichts“ steht, „dem Neuanfang“. Den „Stolz auf etwas Vollbrachtes“ kennt er deshalb nicht. Auch seine Begeisterung für öffentliche Auftritte hält sich in Grenzen. Und doch ist es ein öffentlicher Auftritt, der sein Leben verändert: Er lernt im Anschluss an eine Lesung in einer „sauerländische(n) Kleinstadt“ die um mehr als zehn Jahre jüngere Alina kennen. Sie ist die „Auszubildende hinter dem Verkaufstisch“ mit seinen Büchern.
Normalerweise nimmt er sich kaum Zeit, „um Freundschaften zu pflegen“, weil er „zu sehr mit sich und seiner Arbeit beschäftigt“ ist. Bei Alina spürt er allerdings eine „stille, fraglos ohne Worte auskommende Übereinstimmung“. Außerdem hat sie „viel Humor“ und den „Körper einer Göttin“. Und beim Sex weint sie „vor Lust und will es heftiger“.
Die Beziehung zwischen ihnen beginnt, auch weil Alina zu diesem Zeitpunkt noch verlobt ist, zögernd. Dafür ist die Konstellation „nahezu klassisch: der Autor und die Buchhändlerin“. Rollenmäßig ist damit alles gesagt. Denn auch wenn sie nicht ausschließlich Wolfs wegen nach Berlin geht, sondern um „Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte“ zu studieren, erkennt Alina spätestens bei der Arbeit an ihrer Dissertation ihre wahre Bestimmung: Dass ihr „dieser ganze wissenschaftliche Scheiß“ im Grunde gar nicht liegt, weil „ihr einziges Talent“ das ist, Wolf „zu lieben“, obwohl der das – ehrlich gesagt – gar nicht wirklich verdient, zumal er mit dieser Liebe fahrlässig umgeht. Denn er will auf seine „Freiräume“ nicht verzichten. So leben Alina und er „Tür an Tür in teilnahmsvoller Distanz. […] Oft sehen sie sich Tage nicht“.
Dass sie nach 17 Jahren dann doch noch zusammenziehen, hat vor allem praktische Gründe: Erstens ist es in dem Kreuzberger Haus, in dem sie „zwei Appartements im selben Stock“ bewohnen, „zum Verrücktwerden“, weil es „aus allen Rohren“ stinkt; und zweitens können „sie sich in Friedrichshagen keine zwei Wohnungen leisten“. Und „über seine Verhältnisse zu leben, ist (Wolf) ein Gräuel“, denn ein Angeber ist er nicht. Er scheint auch nicht sonderlich umgänglich oder gesellig zu sein. Denn er hat „noch nie […] eine Party gegeben“ und beabsichtigt den 50. Geburtstag nicht anders zu „feiern als mit einer Tasse Tee oder einer Currywurst mit Pommes frites“.
Diese Form der Bescheidenheit ehrt ihn, mehr jedenfalls als sein „hypochondrisches Naturell“ und diese Ich-Zentriertheit, die über „Freude an Bewegung und reinem Essen“ zwar seinem Körper gut tut, der mit Ende vierzig „straffer als in der Jugend“ ist, die Beziehung mit Alina allerdings viel weniger mit positiven Impulsen versorgt. Vom Wunsch nach einem gemeinsamen Kind meint er sogar „das Recht zu einem Wutausbruch“ ableiten zu können. Und „über das Heiraten (wird nur) phantasiert“, weil ihm „eine Liebe mit Stempel“ vorkommt wie „ein Gedicht ohne Poesie“.
Auch die Bewertung seiner sexuellen Abenteuer macht ihn nicht zum Sympathieträger: Dass er „gelegentlich in Bordelle geht“ oder nach 15jähriger Abstinenz wieder eine Affäre mit der Psychologieprofessorin Charlotte beginnt, die „kaltherziger Eltern“ und „bösartiger Geschwister“ wegen seit dem 9. Lebensjahr täglich masturbiert und mit dem Zwang lebt, „immer und überall die Beste zu sein“, „bedeutet in seinen Augen nicht wirklich Untreue“. Er sieht darin so etwas wie „Wellness, es dient der Entspannung und kommt der Kraft zugute, mehr nicht“.
Solange Wolf sein Fremdgehen Alina verschweigt, funktioniert „die Ausschließlichkeit“ und „Innigkeit“ ihrer Liebe. Nicht bloß, dass sie „fürsorglich […] alles fernhält von ihm, was seinem Schreiben und der dazugehörigen Muße abträglich wäre“, sie sorgt auch dafür, „dass er stets Mineralwasser, Fruchtsäfte oder frisch gebrühten Tee hat“. Und „abends kocht sie für ihn“.
Ein richtiger Glückspilz ist dieser Mann. „Hat eine wunderbare Frau, eine herrliche Geliebte, er ist gesund und wohlversorgt“, und er fährt mit seiner Arbeit „sogar den einen oder anderen Erfolg“ ein. Und doch „kann er nicht zufrieden sein“.
Eines aber kann er: Sich „einen melancholischen Moment lang“ danach fragen, was er Alina „denn geboten hat in all den Jahren außer seinen Spleens und Neurosen“?
Außer der Wahrheit über seine Affäre letztlich wohl nicht viel. Denn Wolf fährt weiterhin „alle zwei Wochen […] zu Charlotte“, weil er an ihr das ausleben kann, „was er Alina aus Scham oder Zartgefühl nicht zumuten mag“. So legt er sich zum Beispiel „in die leere Wanne und lässt sich von ihr bepissen“.
Von solchen Eskapaden erfährt Alina nichts. Sie kennt bloß die jeweiligen Tage, an denen er Charlotte besucht. „Leicht fällt“ es ihr nicht, das zu akzeptieren. „Ihre plötzliche Schlaflosigkeit, der neue Ernst in ihren Augen, die Spuren von Erbrochenem im Bad sprechen für sich“. Wolf aber ist ein „egoistischer Hund“, der lieber nimmt als gibt. Nur „in schwachen Momenten“ kommt der Verdacht auf, „das Wesentliche im Leben nicht begriffen zu haben“. In jedem Fall begreift er eins: „Man ist mehr Monster, als man weiß“. Wohin das führt, ahnt er schon beim ersten Frühstück in der gemeinsamen Wohnung, wenn er in Alinas „Mampfen mit vollen Backen“ zu erkennen vermeint, „dass alles schief gehen wird mit ihnen“.
Dieses Schiefgehen kennt Wolf auch als Schriftsteller, wo man ständig dem Muss ausgesetzt ist, Sätze zu schreiben, „die man ohne Gähnkrämpfe lesen kann“. Keine Gähnkrämpfe bekommt man auch beim Lesen von „Feuer brennt nicht“ von Ralf Rothmann, das in schonungsloser Ehrlichkeit und unter dem Eindruck, „das ganze Dasein […] sei nichts als ein Blinzeln oder Augenzwinkern auf dem Grund einer allumfassenden Gelassenheit“, das Leben eines Schriftstellers vermisst. Denn der zeitweise in Rückblenden erzählte Roman bedient sich nämlich keines Erzählungsschonganges, sondern führt in atmosphärischer Dichtheit vor, was „frühe Jahre“ so alles an unvollkommener Erinnerung übrig gelassen haben. Und er klärt über „amerikanische Mystik“ genauso auf wie über die „harte körperliche Arbeit“ des Schreibens.
Mit einer bis an die Grenzen der Peinlichkeit reichenden Offenheit veranstaltet Rothmann großes „Erzähltheater“. Er spart darin nicht mit Kritik. Sie aber wird weder ironisch gebrochen noch verklärt, sondern präzise und nüchtern ausformuliert, ob es nun um die Berliner Lebensrealität im ehemaligen Ostteil der Stadt geht, wo „in Geschäften und auf Ämtern […] der Geist des bisherigen Staates […] unausrottbar zu sein“ scheint und auch der Protagonist Wolf in seinem „kleinkarierten Vorort voller Ost-Idioten und Ökomöbel“ gefordert ist, dass er nicht „verkümmert“, ob es den „Lebensstil mancher Wendegewinner“ betrifft oder den Literaturbetrieb, den Rezensenten bevölkern, die „nicht lesen“ können, „was schon daran zu erkennen ist, wie falsch sie oft zitieren“.
Bei so viel zähneknirschend ertragener gesellschaftlicher Wirklichkeit kommt man fast nicht mehr umhin, Ralf Rothmann zu wünschen, dass Alina „ihre sommersprossigen Arme um ihn schlingt“, denn dann „rundet sich die Welt“.
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