Die Banalität des Bösen

Einige Anmerkungen zu Andre Dubus IIIs Roman „Der Garten der letzten Tage“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Anfang der Lektüre steht der poetische Titel „Der Garten der letzten Tage“. Mag er auch mit der Formulierung der „letzten Tage“ einen versteckten Hinweis auf den partiell tödlichen Ausgang der Geschichte enthalten, wird die Aufmerksamkeit des Lesers doch zuerst auf einen anderen Handlungsstrang gelenkt. Zwar spielt dieser nicht in einem Garten, sondern in einer Striptease-Bar, aber dies macht den Einstieg um einiges interessanter. Die Problematik, mit der der Leser konfrontiert wird, ist allerdings eine weniger spektakuläre. Eine der Stripperinnen, April, eine allein erziehende Mutter mit einer kleinen Tochter, hat keinen Babysitter für den Abend, da ihre Vermieterin Jean, die ansonsten immer auf ihre Tochter Franny aufpasst, kurzfristig ins Krankenhaus eingeliefert wird. Aus dieser Notsituation heraus nimmt April ihre Tochter mit in die Bar, wo sie von einer Kollegin beaufsichtigt wird. Diese vernachlässigt allerdings ihre Aufgabe, das Kind irrt in der Bar herum und wird an der Hintertür des Etablissements von einem Mann mitgenommen – zum Glück nicht in böswilliger Absicht. Trotzdem ist es, nachdem das Verschwinden Frannys bemerkt wird, ein Entführungsfall.

Der zweite Handlungsstrang ist Aprils Antagonist Bassam gewidmet, einem orientierungslosen jungen Mann mit islamistisch-terroristischem Hintergrund, der aufgrund einer traumatischen Erfahrung – dem Tod seines Bruders bei einem Autounfall – bei einer nicht weiter beschriebenen extremistischen Gruppierung „gelandet“ ist. Von dieser mit einem dem Leser unbekannten Auftrag ausgestattet, wartet er auf das Signal zur Ausführung seiner Aufgabe, einem Attentat. Im Vorfeld dieses Attentats reist Bassam zusammen mit seinen Komplizen möglichst unauffällig durch die USA, ganz offensichtlich den Lebensstil der Amerikaner nachahmend, um möglichst unbeobachtet zu bleiben. Im Kontext eben dieses „unauffälligen Verhaltens“ landet Bassam in der Bar, in der Stripperinnen in Minutenabständen an Stangen auf einer Bühne tanzen. Hier berühren sich die beiden Lebenswege von April und Bassam für ein paar Stunden und verknüpfen die Erzählstränge miteinander.

Während sich Franny im Aufenthaltsraum der Bar befindet und anschließend am Hintereingang „entführt“ wird, tanzt ihre Mutter April in der Bar. In einer Lounge muss sie für Bassam tanzen, einen jungen Mann mit arabischem Hintergrund, der mit Geld verschwenderisch um sich wirft. Nach über zwei Stunden hat April mehrere Tausend Dollar verdient, das Verschwinden des Kindes wird bemerkt, Aprils und Bassams Wege trennen sich. Er verlässt nach Kontrollen durch die Polizei – die alle Gäste überprüft – unauffällig den Parkplatz der Bar und kehrt ins Hotel zu seinen Freunden zurück.

Es sind vor allem die genauen Beschreibungen und die treffend charakterisierten Befindlichkeiten der Personen, die Andre Dubus III mit wenigen Worten und in kleinen ausgefeilten Prosabildern skizziert. Etwa wenn er Jean, die sich die Schuld für die Kindesentführung gibt, weil sie krank geworden war, beschreibt: „Er [Harry, ihr Mann] fehlte ihr in erster Linie deshalb, weil er immerzu ihr Wohl im Auge gehabt hatte und sie ihm die praktische Seite des Lebens überlassen konnte: Autowartung und Hausreparaturen, Bankangelegenheiten, Geldanlagen, Versicherungen, all diese fürsorglichen Dinge, die ihr das Gefühl gaben, von festen, großen Kissen umgeben zu sein.“ Aber auch Bassam, den Terroristen und verwirrten Barbesucher, beschreibt er aus seiner persönlichen Befindlichkeit heraus und jagt dem Leser mit dieser nahen Perspektive auf einen Attentäter leichte Schauer über den Rücken: „Er [Schaitan – der Teufel] verführt dich, dieses Leben zu lieben, das sie zu sehr lieben. Mit der Hure April hatte Bassam sich einsam gefühlt, ganz allein, während er mit ihr zusammen war. Dieselbe Einsamkeit, die ihn zu Hause befallen hatte, ehe er zurück zu Allah geleitet wurde. Als wäre er nicht geliebt. Als wäre er nicht behütet. Als würde er nicht nach seinem Tod weiterleben. Wie hatte er dergleichen empfinden können?“ Und gleichzeitig wird die Arroganz und Beschränktheit des Terroristen deutlich und spiegelt sich in den Allmachtsphantasien des Attentäters: „Diese Leute und ihre Anmaßungen. Wie sie niemals den Erhabenen anrufen, wenn sie über die Zukunft sprechen, wie sie einfach glauben, dass sie und kein anderer ihr Schicksal beherrschen.“

Die Entführungsgeschichte nähert sich einer Lösung, die Wege von April und Bassam trennen sich. Das Attentat findet im Hintergrund der Romanhandlung statt. Die letzten Anweisungen, die die Attentäter erhalten haben, verdeutlichen den Ernst der Lage: „Läutere deine Seele von allem Unreinen. Vergiss vollkommen das, was ‚diese Welt‘ oder ‚dieses Leben‘ genannt wird. Die Zeit des Spiels ist vorüber, und die Zeit des Ernstes ist gekommen.“ Der Roman schließt mit dem „sinnlosen“ Attentat vom 11. September 2001, an dem einer der Protagonisten des Romans beteiligt war, mit einem „Sinn gebenden“ Schluss. April hat ihren Job als Stripperin aufgegeben und ist mit ihrer Tochter in das ererbte Haus ihrer Mutter gezogen. Zurück bleibt Jean, Wein trinkend auf ihrer Terrasse, allein in ihrem Garten. Aber sie legt, trotz Trennungsschmerz von Franny und April, trotz Attentat und nationaler Trauer, einen entspannten Gleichmut an den Tag, der die Aufmerksamkeit auf den Augenblick, die Gegenwart richtet: „Sie blickte in ihrem Garten und versuchte, an nichts zu denken. Ihn einfach nur zu sehen. Seine Schönheit, die hier war, solange sie hier war, solange sie dafür sorgte. Eine Eidechse huschte über das Mauerwerk und verschwand zwischen den Farnwedeln. Einer erbebte, war dann wieder reglos. Die Katze starrte bloß hinterher, als wäre sie es satt, Dingen hinterherzujagen. Dann zitterte ein anderer Wedel, und Jeans Katze schoss zwischen die Blätter, und sie konnte sie nicht mehr sehen, hörte sie nur noch, hörte ihre fieberhafte Suche im Garten.“ Ein außergewöhnliches Buch, das mit einem unerwarteten Verlauf eine neue, persönliche und individuelle Perspektive auf das Attentat vom 11. September 2001 wirft.

Titelbild

Andre Dubus III: Der Garten der letzten Tage. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Verlag C.H.Beck, München 2009.
600 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783406590757

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