Sonette in fremdem Wort

Ann Cottens „Fremdwörterbuchsonette“ irritieren durch ihr nonchalantes Spiel mit dem Fremdwort

Von Evelyne von BeymeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelyne von Beyme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

 

Mit kubitalen Gedanken, Isanabase als Unsichtbare, Ratio als skeptische Frau auf der Flucht vor dem wiehernden Logos, der Liebe, begehrter Angst und Einhörnern zieht Ann Cotten den Leser in den Bann ihrer unterhaltenden „Fremdwörterbuchsonette“.

Im Buch reveliert sich eine Tendenz zum bauenden Rhythmus, der sich über alexandrinische Versmaße und das Sonett erzeugt. Es äußert sich darin zugleich das Talent der Dichterin zu einer gedanklich und rhythmisch beherrschten Sprechweise, die in ihrer Umsetzung rebellisch-leichtfüßig daherkommt. Die Sonette halten sich nicht immer an die klassischen Formen. So trifft der Rezipient etwa in dem mit „Begriff“ betitelten Gedicht auf ein Doppelsonett, das nicht den konventionellen Sextettordnungen des Petrarca-, Ronsard- oder Shakespeare-Typs folgt, sondern deren Terzette in ihrem Reimschema mal ein spiegelndes (abc / cde), mal ein repetierendes Bild (abc / abc) abgeben. Entsprechend besteht „Begriff“ nicht einfach aus zwei aneinandergereihten Sonetten, die dem gleichen Schema folgen. Das darin enthaltene zweite Sonett beginnt mit dem Sextett und endet mit zwei Quartetten in einem ungewöhnlichen Oktavreim (abba / bcbc). Wie die Sonette weisen auch die alexandrinischen Verse Besonderheiten auf: Nie sind es ‚reine‘ Alexandriner, die Cotten für ihre Gedichte auswählt. Neben Abweichungen zeichnen sie sich vor allem durch eine Pause aus, die formal durch Leerzeichen eine Kluft zwischen den zwei Kola eines Verses schafft und sie so einander gegenüberstellt. In „Er sagt, er finde die Bezeichnung fragwürdig“ führt dies dazu, dass die figürliche Gegenüberstellung vom lyrischen Ich und seinem Gegenüber, das ausschließlich in der Höflichkeitsform ‚Ihr‘ angesprochen wird, grafisch erfassbar wird: “und sehe ihre Schläfe, auf der das Licht sich spielt / beobachte Ihr Atmen, indessen atm ich nicht: / erwart aus Ihren Zügen etwas von Gewicht,–“

Wie weit entfernt von einer Transzendenz die beiden Körper sind, unterstreicht neben der Höflichkeitsform vor allem der visuelle Leerraum, der die Distanz mit Nachdruck betont. Das ‚Du‘ behält das lyrische Ich seinem unausgegorenen Gedicht vor, an das es nach dem unbefriedigenden Liebesakt unablässig denkt.

In „Aporetisch wie nix“ zeichnet sich eine zunehmende Konzentration auf die visuelle Komponente ab. Die Pausen, die den Alexandriner in der Mitte auseinanderreißen, verkörpern gleichzeitig eine Trennlinie zweier Strophen. Über die Verseinheit hinaus geraten so die Kola gleichsam zum Stimulus zweier Strophen, die nebeneinander stehen und die zeitliche Synchronie des Geschehens montagehaft zum Ausdruck bringen: „Steh unter deinem Fenster hier war ich schon einmal / zähle das blaue Flackern ich war mehrmals schon hier / von deinem Fernsehabend. Steh nicht zum ersten Mal / hier unter deinem Fester und zögere und frier.“

Ebenso außergewöhnlich wie der Versbau ist auch das Inhaltsverzeichnis, das auf ein sonderbares Kompositionsprinzip der Analogie verweist: In ihm stehen nicht die Titel selbst vermerkt, sondern thematische Obertitel wie „isanabase“ oder „kubital“, denen jeweils zwei Gedichte zugeordnet sind, ohne dabei dem Prinzip der Chronologie Folge zu leisten.

Sprachlich stechen vor allem die übermäßig stark vertretenen Fremdwörter ins Auge, auf die bereits der Titel rekurriert. Die Fremdwörter bilden in dem Gedichtband die Ansatzpunkte zu einer neuen poetischen Sprech- und Denkweise, für die die moderne Poesie sich aufgrund ihres weniger rationalen Charakters als unzulässig erweist. Darüber hinaus dominieren bei der gebürtigen Amerikanerin die Anglizismen, die sehr stark an die Gedichte der Pop- und Undergroundlyrik der 1960er-Jahre erinnern. Mit diesen gemeinsam hat sie die intertextuellen Bezüge zur Musik, dem Alltag und die Affinität zur Umgangssprache, wobei Cottens Verse zumeist inhaltlich komplexer sind und sich durch die Fremdwörter und das eher stringente Kompositionsprinzip von den Dichtern des New Beat abheben. Stattdessen stützt sie sich auf homophone Wortspiele. Auch rückt das Spiel mit den Zeichen bei Cotten in den Hintergrund. Mit den Gedichten der Slam-Kultur teilen ihre Verse den Hang zum Episch-Narrativen und Humorvollen, die sie jedoch durch den mitunter nachdenklich-kritischen Inhalt sowie durch visuelle Effekte und eine experimentelle Schreibweise hinter sich lässt. Zu verweisen ist hierbei etwa auf das Gedicht „Klangsynthese digital“, das sich wie eine moderne lyrische Inszenierung des Mythos von Narziss und Echo liest und gleichzeitig eine Kritik an dem reproduzierenden Antwort-System elektronischer Mails darstellt.

Intertextuell finden sich in „Fremdwörterbuchsonette“ Bezüge zum amerikanischen Zeichner und Sänger Daniel Johnston in dem „Voice over Daniel Johnston“ betitelten Gedicht, dem Cotten als Motto die Verse „My voice is a little horse / running into the deep woods“ aus dem Song „My Yoke Is Heavy“ als Motto voranstellt. Auch Anspielungen auf Walter Benjamins Schrift „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ fließen in einzelne Sonette mit ein.

Ann Cotten wurde 1982 im amerikanischen Staat Iowa geboren. Sie beendete 2006 ihr Germanistik-Studium und lebt derzeit als freie Schriftstellerin und Übersetzerin in Berlin. Die noch junge Autorin trat zunächst auf Poetry Slams in Erscheinung. Mit „Fremwörterbuchsonette“ legte Cotten 2007 ihren ersten Lyrikband vor. Die Leichtigkeit aber, mit der Cottens „Fremdwörterbuchsonette“ ungeachtet der zahlreichen Fremdwörter und der Orientierung an bauenden Rhythmen daherkommt, trüben zuweilen den Blick für die bis ins Inhaltsverzeichnis nachwirkende, durchdachte Konstruktionsweise. In „Fremdwörterbuchsonette“ begegnet der Leser einem neuen experimentellen Gedichttypus, der seinen Akzent verstärkt auf die Form legt. Gerade deswegen bleibt es zu bedauern, dass den Gedichten kein Nachwort folgt.

Titelbild

Ann Cotten: Fremdwörterbuchsonette. Gedichte.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
80 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-13: 9783518124970

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch