Die Videostunde und die Rituale des Körper-Seins

Über Konstanze Bauchs Studie „Verkörperte Medien. Die soziale Machte televisueller Inszenierungen“

Von Florian ReinacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Florian Reinacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welchen Effekt zeitigt das Fernsehen in der Gemeinschaftsbildung von Kinder und Jugendlichen? Dieser scheinbar banalen Frage versucht Constanze Bausch auf den 247 Seiten ihrer mediensoziologischen Studie nachzuspüren, indem sie entlang ihres Materialkorpuses die Wechselwirkung von Fernsehkonsum und Selbstinszenierung in der Kinder- und Jugendkultur untersucht. Sie stellt dabei vor allem eines fest: Der Einfluss lässt sich nicht, wie in diversen tagespolitischen Debatten häufig affirmiert wird, auf mimetische Aneignung von Stereotypen reduzieren. Es entsteht vielmehr über ein enges Geflecht von Aneignungs- und Distanzierungsbewegungen eine komplexe Verwindung medienritueller Handlungen und körperlich performierter Gesten, die die Wirkmächtigkeit der Bilder immer wieder in Frage stellen. Das Gesehene wird in einen neuen, kreativen und gemeinschaftsstiftenden Prozess überführt, innerhalb dessen sich die Probanden an den Vorgaben des Fernsehens sehr differenziert abarbeiten und eine bestimmte Form sozialer Interaktionspraxis entwickeln.

Im Zentrum der Arbeit steht der Körper, oder genauer gesagt, der Körper als Ort einer Reinszenierung dessen, was man die Wirkmächtigkeit televisueller Bilder nennen könnte. Über die Art und Weise, wie sich Inhalt und Struktur des Fernsehens in der Körperhandlung überschneiden, lassen sich eine Reihe interessanter Fragen entwickeln. Nimmt der televisuelle Medienkonsum Einfluss auf das Sozialverhalten von Kindern und Jugendlichen in der frühen Adoleszensphase? Wenn ja, wie wirkt sich dieser aus und wo liegen mögliche Grenzen dieser Einflussnahme? Wie werden die Bilder sinnstiftend verarbeitet? Und in welchem Verhältnis steht die Trias Bild – Körper – Gemeinschaft?

Zur Aufschlüsselung dieser Fragen bedient sich die Autorin der eigens für die Studie entwickelten qualitativen Methode der Videoinszenierung. Diese wurde von Bausch im Rahmen ihrer Arbeit am Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ an der Freien Universität Berlin entwickelt, in dessen Kontext auch die vorliegende Arbeit gehört: Eine Gruppe von Schulkindern zwischen 10 und 13 Jahren wird nach einer grundlegenden Einweisung in die technischen Aspekte des Videofilmens zum selbständigen Aufzeichnen eigener Ideen ermutigt.

Die Kinder produzieren auf diese Weise in vier Sitzungen zu je drei Stunden „Sendungen“ unterschiedlichster Couleur, die von Talk-Shows über Werbung bis hin zu Krimis das einschlägige Spektrum fernsehorientierter Alltagskultur widerspiegeln. Anhand des so erhobenen Materials lässt sich schließlich die Analyse durchführen. Bausch hebt besonders den provozierenden Charakter dieser Methode hervor, denn, wenn das Fernsehen tatsächlich im kollektiven und individuellen Leben als wirkmächtige Ordnung auftrete, müssten die im wesentlichen unsichtbar wirkenden Mechanismen von Macht eben einer Wiederaneignung anheimfallen, sobald die Probanden selbst ermächtigt werden, diese technisch zu realisieren.

In detaillierter Analyse zeigt die Autorin aus medienethnologischer Sicht schließlich den teilweise überraschend offenen Umgang der Kinder mit den von ihnen reproduzierten Sendeformaten. So versteigt sich eine Gruppe von Mädchen, um eines der zahlreichen Beispiele herauszugreifen, in ihren Darstellungen vor allem auf das Thema weiblicher Schönheit, welches die Analyse auf eine bestimmte Verortung des weiblichen Körpers im Dispositiv der Geschlechterdifferenz zurückführt: „Schönheit“ wird hier vor allem als Notwendigkeit einer entsprechend mediengerechten Körperform, als die Inkarnation einer Hoffnung auf soziale Anerkennung und im Gegenzug als Angst vor Ausgrenzung inszeniert. Frau-Sein bedeutet hier Körper-Sein und Körper-Sein bedeutet vor allem, einen normierten Körper zu haben. Die Mädchen, so scheint es, verfehlen in der Verausgabung an die Unmöglichkeit dieses Sein-Haben-Phantasmas die Möglichkeit von Individualität selbst. Die Analyse der Körperperformanz zeigt jedoch ganz im Gegenteil, dass der „Schönheitsmythos“, den sich die Mädchen mimetisch angeeignet haben, ihnen nicht einfach als eine nachzuahmende Vorlage dient, um diese angestrebte Individualität auf ein vermeintlich ideales Außen zu projizieren. Vielmehr ergibt sich aus der Konfrontation mit der Technik ein subversives Potential, anhand dessen sich in Form eines initiatorischen Rituals, eine Ordnung der Gemeinschaft ausbildet. Zum anderen dient die Vorlage der Abarbeitung an den Strukturen, die sich durch „Übertreibung“, „Überkonturierung“, „Verdichtung“ distanzierend abzeichnet. Diese Inszenierungen von Identität und Alterität führt die Studie unter dem Begriff der „rituellen Medieninszenierung“ zusammen. Davon verspricht sich die Forscherin schließlich die Wiederaufnahme des im Bereich der Ritualforschung verorteten Konsumverhaltens als Reinszenierung einer sozialen Praxis, die sie als ritualisierten Medienkonsums definiert. Diese Reinszenierung als rituelle Medieninszenierung bildet schließlich den roten Faden, anhand dessen Bausch ihr Material auswertet.

Das Fernsehen hat also für Bausch zwar die Funktion, normative Muster zu vermitteln (Es muss dieses im Übrigen tun, da es nicht nur inhaltlich, sondern strukturell seine Spezifik als Massenmedium nur in der Verallgemeinerung einer Norm, also einer abstrakten Ausrichtung auf die Masse hin erfüllen kann), die über die mimetische Wirkmächtigkeit, die individuelle und kollektive Handlungspraxis entscheiden, jedoch, so die These, sind eben jene Inszenierungsprozesse mit denen das Gesehene performativ in ein lesbares Zeichensystem überführt wird, in keinster Weise den medial vorgegebenen Mustern homogen. Dass sich die einzelnen Personen in ihrer Selbstinszenierung vor allem an der Frage der Geschlechteridentität abarbeiten, ist im Hinblick darauf kein Zufall.

Demnach wäre jeder performativen Umrüstung der Selbsinszenierung die Möglichkeit seiner Wiederholbarkeit gegeben. Jede Wiederholung ist aber immer schon anders als das, was sie wiederholt. Ihre Spezifik besteht nämlich gerade in der allen graphematischen Strukturen eigenen Aporie, dass eine ständige Wiederholbarkeit zwar Identität in Form von Konventionen herausbildet, aber gerade weil sich jede Wiederholung dieser Konventionen immer auf den je eigenen Kontext beziehen muss, diese damit vom ursprünglichen Kontext distanziert. Die Bildung einer (Geschlechter)Identität – und damit auch einer Gemeinschaft – wird also gerade durch die Möglichkeit ihrer Wiederholung gespalten. Es ergibt sich folglich ein ständiger Aufschub von Identität und damit die Möglichkeit des Spiels von Performativität, das heißt des unablässigen Inszenierens von Identitäten, ohne dieses Spiel jemals zum Abschluss bringen zu können.

Bauschs Studie ist ohne Frage komplex. Dies hängt zum einen mit der Schwierigkeit ihres Sujets zusammen. Die Gesten und Handlungen vom Bild in Text zu transformieren, fordert einen detaillierten Blick und Ausdauer, sowohl vom Schreibenden wie auch vom Lesenden, der sich retournierend den Text wieder in Bilder rückübersetzen muss. Der Text bekommt seine Komplexität aber auch durch das Jonglieren mit einer Unzahl an fachspezifischen Zitaten, die von einem Leser, der sich nicht nahe an der Materie befindet, zuweilen einiges abverlangt. Dies sollte dem Buch jedoch nicht zum Vorwurf gemacht werden, denn wer sich hier zur Lektüre entschließt, der muss sich zwangsläufig mit der Spezifik soziologischer Forschung auseinandersetzen.

Dass gerade die Jugendkultur sich die identifikatorischen Mechanismen des Bildes zunutze macht, um ihre eigene rituelle Kommunikation sicher zu stellen, lässt die Studie nicht zuletzt für eine Weiterführung anschlussfähig werden, denkt man beispielsweise an die weit verbreitete Praxis der Handy- und Youtube-Videos. Die Studie wird jedoch dort fragwürdig wo sie die Auseinandersetzung mit der Transformation der Bilder umschifft.

Handelt es sich bei den oben beschrieben Szenarien um eine den Medienkonsumenten eigene Fähigkeit, das Gesehene in jedem Fall für die jeweilige Kommunikation zu funktionalisieren (ob bewusst oder unbewusst) und damit einer Form der performativen Täuschung nahe zukommen, wie sie beispielsweise von Judith Butler beschrieben wird. Oder ist es der Abstand zwischen Sender und Empfänger, das Rauschen, wie Kittler sagen würde, welches die Konsumenten auf gespenstische Weise heimsucht und eine absolute Mimesis stört. Bausch scheint eher der ersten Ansicht zu folgen und unterschlägt dabei die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, dass die Identität, die sich die Kinder und Jugendlichen gemeinsam erarbeiten, in gewisser Weise immer von Differenzen zu Anderem bestimmt sind und damit auch zum Medium selbst.

Ihre Beobachterposition, die sie selbst als „medienethnologisch“ bezeichnet, nötigt ihr eine bestimmte Hermeneutik ab, die beim Lesen des Körpers stehen bleibt und die nicht zuletzt an die berühmte „Schreibstunde“ bei Claude Levi-Strauss erinnert. Bausch spricht zwar von der Wirkmächtigkeit der televisuellen Bilder, bleibt aber mit der Analyse ihrer eigens erzeugten Voraussetzungen eher oberflächlich. Ihr Interesse gilt vor allem der Dateninterpretation, obwohl ihre theoretische Situierung hier durchaus zu Spekulationen einladen würde.

Der Studie kommt jedoch – und hier könnte man eine ihrer Stärken sehen – eine implizit politische Wirkung zu. Da sie, wie oben bereits angesprochen, eben empirisch eine immer wieder funktionalisierte Fixierung auf die scheinbar schädliche mimetische Wirkung des Fernsehens widerlegt, oder zumindest deren Affirmation fragwürdig werden lässt. „Verkörperte Medien“ stellt sich auf soziologischen Feld als kenntnisreiche Studie dar, die gerade ins Diskussionsfeld der allseits beschworenen negativen Einflussnahme der Massenmedien auf Jugendliche neue interessante Sichtweisen einführt und gerade jenen Verfechtern einer überkritischen Lesart das produktive, konstruktive und kreative Potenzial medialer Gemeinschaftsstiftung vor Augen führen kann.

Die Arbeit weist jedoch eine wesentlich Krux in Bauschs Verwendung des Gemeinschaftsbegriffs auf. Zum einen übernimmt sie diesen unhinterfragt aus der philosophischen Tradition, ohne seine weitergefasse begriffs- oder ideengeschichtliche Vielfalt auszuloten. Für Bausch bedeutet Gemeinschaft schlicht Gruppe. Dadurch bleibt beispielsweise die grundlegende Frage des Stiftungsaktes, auf dessen empirischen Nachweis die Studie implizit hinarbeitet, unbeantwortet. Zum anderen ordnet die Studie all das, was vage, brüchig und unkontrollierbar ist an der Gemeinschaft, also gerade das, was den Ausdruck in der öffentlichen Debatte immer wieder zum Kampfbegriff bestimmter Interessenverbände werden lässt, ihrer positivistischen Analyse unter. Gemeinschaft spielt, gerade weil sie – wie Bausch ganz richtig erkennt – performativ ins Werk gesetzt wird, mit ihrem eigenen Scheitern und ihrem Entzug vor einer normativen Vereinnahmung. Dadurch dass „Verkörperte Medien“ diesen Umstand, welcher der Gemeinschaft anhaftet, nicht ausreichend beachtet, bleibt die Studie, trotz aller Aktualität in einigen ihrer Antworten unbefriedigend.

Titelbild

Constanze Bausch: Verkörperte Medien. Die soziale Macht televisueller Inszenierungen.
Transcript Verlag, Bielefeld 2006.
248 Seiten, 25,80 EUR.
ISBN-10: 3899425936
ISBN-13: 9783899425932

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch