Lesen lernen
Mortimer J. Adlers und Charles van Dorens Beantwortung der Frage: „Wie man ein Buch liest“
Von Monika Grosche
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin Buch lesen, das können die meisten von uns spätestens nach der Grundschule. Was soll uns dann ein Ratgeber mit dem Titel „Wie man ein Buch liest“ bringen? Einiges, wenn es nach seinen beiden Autoren geht, denn Lesen ist nach ihrer Ansicht keineswegs so simpel, wie es uns auf den ersten Blick erscheint. Deshalb wenden Sie sich mit ihrem Buch „an Leser und solche, die es werden wollen“.
Und offensichtlich erfüllten sie mit ihrem Ratgeber einen enormen Bedarf: In der englischsprachigen Welt entwickelte sich der Originaltitel „How to read a book“ nach seinem ersten Erscheinen 1940 schnell zu einem Bestseller. Von der New York Times gar als „Schlüsselwerk zur Kultur“ bejubelt, gilt es noch heute als eines der besten Hilfsmittel, die eigene Lesetechnik zu verbessern und so qualitativ mehr aus dem Gelesenen herauszuholen. Denn das Ziel des Dauerbestsellers besteht darin, es dem Leser zu ermöglichen, seine Lektüre zukünftig zielgerichtet und ergebnisorientiert zu gestalten. „Nicht die Menge des Gelesenen ist wichtig, entscheidend ist, die eigene Lektüre effektiv zu gestalten.“
Von großer Bedeutung ist nach Auffassung der Autoren dabei vor allem, aus einem Wust von Fakten die wichtigsten herauszufiltern – und das gilt sicher angesichts der medialen Informationsflut heute noch viel mehr als 1940. Deshalb hat Charles van Doren, der langjährige Co-Autor des 2001 verstorbenen Mortimer J. Adler, das Buch auf den neuesten Stand gebracht. Seit 2007 liegt diese aktualisierte Ausgabe beim Zweitausendeins Verlag auch auf Deutsch vor.
„Gutes Lesen ist eine komplexe Tätigkeit, ebenso wie gutes Schreiben. Es besteht aus zahlreichen unverzichtbaren Einzelschritten. Je mehr ein Leser davon beherrscht, desto besser kann er lesen“, fassen die beiden Autoren die Grundlagen ihrer detaillierten Systematik zusammen, mit deren Hilfe es möglich sein soll, besser und schneller zu verstehen, was man liest.
Zunächst beinhaltet diese, dass man die vorliegende Textsorte bestimmen muss, um dann sowohl das Lesetempo wie auch die Lesetechnik genau auf den Text abzustimmen. Denn ohne den gezielten Einsatz von Lesetechniken, so das Credo von Adler und van Doren, bliebe man insbesondere bei philosophischen oder wissenschaftlichen Texten nur an deren Oberfläche.
Deshalb unterscheiden sie in ihrem Werk vier Lesestufen, die man für alle Arten von Sachbüchern und – mit Einschränkungen – auch bei fiktionaler Literatur beschreiten kann: Bei der ersten Stufe, dem „Elementaren Lesen“, handelt es sich um die Lesefertigkeit, die wir in der Schule erworben haben. Diese beinhaltet in der Regel, dass man ein Buch lesen, über seinen Inhalt nachdenken und mit anderen darüber diskutieren kann. Die nächste Stufe, das „Prüfende Lesen“, geht schon weiter. In etwa könnte man es mit dem „Querlesen“ eines Buches vergleichen: Man verschafft sich über Titel, Inhaltsverzeichnis, Vorwort, Klappentext und Register einen Überblick. Ziel ist es, herauszufinden, was für eine Textsorte vorliegt, wovon der Text handelt, und wie dieser aufgebaut ist. Auf Basis der Antworten zu diesen drei Fragen kann dann der Leser entscheiden, ob es sich für ihn lohnt, das Buch weiterzulesen und dabei zur dritten und wichtigsten Stufe überzugehen, dem „Analytischen Lesen“. Für diese Stufe stellen die beiden Autoren als Handreichung 15 Regeln zur Verfügung, die es ermöglichen, den Inhalt zu verstehen, ihn zu interpretieren und ihn einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Nach Ansicht von Adler und van Doren endet Lesen nämlich nicht damit, ein Buch verstanden zu haben. „Die Arbeit muss durch eine kritische Würdigung, durch eine Beurteilung des Buches zum Abschluss gebracht werden.“
Mit diesem Postulat eröffnet sich aber auch gewissermaßen das Dilemma des Buches: Denn den Autoren geht es darin keineswegs nur um Erleichterungen für den Lesenden, damit er die Fülle an Fakten besser verarbeiten und einordnen kann. Beide verfolgen damit vielmehr auch ein Bildungsideal – ihnen geht es um nichts weniger als die „Tugend der Gelehrsamkeit“.
Dazu dient dann auch das Lesen auf der letzten Stufe, das „Syntopische Lesen“. Dieses ist allerdings nur dann relevant, wenn verschiedene Bücher zu einem bestimmten Thema gelesen und miteinander verglichen werden sollen.
Dabei sind die beiden Autoren recht strenge Richter. Was unseren Geist nicht weiterbringt, kann nach ihrer Ansicht beiseite gelegt werden, und das betrifft nach ihrer Überzeugung durchaus die meisten Bücher, die auf dem Markt sind. „Der gute Leser stellt beim Lesen stets Ansprüche an sich selbst. Das heißt, die Bücher, an denen Sie Ihre Lesefertigkeit üben und steigern wollen, besonders Ihr analytisches Lesen, müssen ebenfalls Anforderungen an Sie stellen, und diese Anforderungen müssen Ihnen zunächst so erscheinen, als seien Sie davon heillos überfordert.“
In diesem Sinne appellieren sie an den Leser, nicht nur gutes Lesen zu praktizieren, sondern ihre Lektüre danach auszuwählen, welche Bücher sie weiterbringen: „Ein Buch, das Sie nur unterhält, ist eine angenehme Ablenkung, wenn Sie einmal nichts zu tun haben. Wir haben nichts dagegen, Bücher zur Unterhaltung zu lesen; aber das hat keine Verbesserung oder Steigerung der Lesefertigkeit zur Folge. Dasselbe gilt für ein Buch, das Sie nur über Fakten informiert, die Ihnen bislang unbekannt waren. Zu neuen Erkenntnissen verhilft es Ihnen nicht. Informatives Lesen fordert unseren Verstand genauso wenig wie Lesen um der Unterhaltung willen. Der Zugewinn ist quantitativ, nicht qualitativ.“
Wie erkennt man aber ein Buch, das es wert ist, gelesen zu werden? Hilfestellung in Sachen hochwertigen Lesestoffs liefern sie dem Ratsuchenden mit ihrer Aufstellung von rund 150 Buchtiteln von Homer über Albert Einstein bis Thomas Mann, die von ihnen zur Lektüre empfohlen werden. Ergänzt wird diese in der deutschsprachigen Ausgabe noch um zwei weitere Listen aus der „Zeit“ mit den jeweils besten hundert Büchern aus Belletristik und Sachbuch.
Aller Strenge und hehren Ansprüchen zum Trotz ist „Wie man ein Buch liest“ aber dennoch nicht nur lesenswert für Menschen, die einem höheren Bildungsideal nachstreben und sich im Sinne allumfassender Gelehrsamkeit fortan nur noch „wertvoller“ Lektüre widmen wollen.
Jeder, der sich mitunter an schwierigen Texten und Themen abarbeitet (sei es im Studium, Beruf oder „nur“ aus Interesse) kann von dem Ratgeber trotz einer gewissen Langatmigkeit und seiner Tendenz zum Dozieren profitieren, denn die empfohlenen Lesetechniken helfen tatsächlich, die eigene Lesekompetenz zu verbessern. – Und die eingesparte Zeit kann man dann ja dem wenig lehrreichen, aber unterhaltsamen neuesten Krimi auf dem Sofa widmen.
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