Blick zurück
Hans Werner Richter erinnert sich in „Spuren im Sand“ an eine Kindheit aus der Frühzeit des vergangenen Jahrhunderts
Von H.-Georg Lützenkirchen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHans Werner Richters biografisch inspirierter Roman einer Jugend „Spuren im Sand“ erschien erstmals 1953. Zuvor waren die Romane „Die Geschlagenen“ (1949), eine der ersten kritischen Auseinandersetzungen mit dem Krieg aus Sicht eines Soldaten, und „Sie fielen aus Gottes Hand“ (1951) erschienen. Richter erfüllte in jenen Jahren ein Bedürfnis nach Literatur, die aus der unmittelbaren Erfahrung des Krieges erwachsen war. Ihren Ausdruck fand diese in einem lakonischen Realismus, mit welchem ein gewisser moralischer Impetus einherging. Eben deshalb überzeugte diese Literatur vor allem jene Leser, die in ihr das eigene Erleben während des Krieges thematisiert fanden.
Doch in dem Maße, wie das Erlebte im Verlauf der Wiederaufbaueuphorie der frühen 1950er-Jahre zur Vergangenheit wurde, verlor auch dieser moralisch inspirierte Realismus seine Bedeutung. Von einer erstaunlichen „Verfallstendenz“ dieser Literatur sprach einmal der Kritiker Heinrich Vormweg. Dieser konnte sich Heinrich Böll mit seinem Erzählband „Der Zug war pünktlich“ (1949) als einer der wenigen entziehen.
Richter mochte dies verkraften. Denn er hatte sich mit der „Gruppe 47“ ein ganz eigenes Forum geschaffen, in dem, wenn schon nicht die eigene Literatur, dann aber doch die neue Generation der Literaten bedeutsam zu Worte kam. Mit der wirkungsmächtigen „Gruppe 47“ verband sich fortan in erster Linie Richters Bedeutung für die deutsche Literatur nach 1945. Der Schriftsteller Hans Werner Richter dagegen geriet ins Abseits.
Den Blick auf den 1993 verstorbenen Autor ermöglichte 2004 der Steidl Verlag mit der Wiederauflage des Romans „Spuren im Sand“, der inzwischen auch als Taschenbuch vorliegt. Das Wiederlesen dieses der Mutter gewidmeten Romans einer Jugend ist von einem eigentümlichen Reiz. Das liegt zunächst an der Ferne des Geschehens: „Als ich geboren wurde,“ so der erste Satz des Romans, „machte der Kaiser noch seine Nordlandfahrten, trugen die Männer des Dorfes, in dem ich den ersten Schrei ausstieß, den Es-ist-erreicht-Schnurrbart[…].“ Es ist die Zeit des Stillstands vor dem Ersten Weltkrieg: 1908, das Jahr in dem Richter in einem Dorf auf Usedom (Bansin) geboren wurde. Das monarchistische Milieu, der Untertanengeist mit seinen skurril bis grotesk anmutenden Sonderlichkeiten prägt auch hier an der Ostsee das Alltagsleben. Wer nicht begeistert ist von des Kaiser Herrlichkeit, der hat es zuweilen schwer. Andererseits prägt die Menschen, vor allem die Mutter, auch eine lebensweise Klugheit, die allzu ungestümes Politisieren immer wieder zu relativieren vermag.
Die großen politischen Veränderungen, die der Erste Weltkrieg in Deutschland verursachte, sind in dem Ostseeort nur gedämpft zu spüren. Auf den Strandburgen wehen demonstrativ die schwarz-weiß-roten Flaggen der Kaisertreuen neben den schwarz-rot-goldenen der Republik und zuweilen messen sich Republikanhänger und Monarchisten in kuriosen Sängerwettkämpfen. Sonst geht aber in der neuen Republik das Leben wieder seinen ,gewohnten‘ Gang: Im Sommer kommen die Gäste und der Vater ist wieder Bademeister – jedoch ohne den markanten Bartschmuck.
In dieser Zeit erlebt der etwas unbedarft daherkommende Junge seine Reifezeit. Erste Liebe, Schule, erste berufliche Versuche, die komisch-kläglich scheitern. Richter schildert dies mit beiläufiger Routine. Wenn zuweilen der Eindruck entsteht, er reihe die Erlebnisse seines Jungen schlicht aneinander und bilde bestenfalls ein klischeenahes Vorurteil in historischem Ambiente ab, so mag das eben an seiner unaufgeregten Sprache liegen. Eine gewisse kunstlose Direktheit, ein umstandsloser Realismus scheint dem Text jegliche Widerhaken zu nehmen und erweckt den Eindruck einer trivialen Seichtheit.
Tatsächlich dringt Richter nie tief in die Psychologie seiner Figuren ein. Dennoch vermag eben dieser knappe, mit vielen Dialogen angereicherter Stil immer wieder empfindsam den Wirren und Nöten des Heranwachsenden nachzuspüren. Richters Stil ist souverän und so schützt er seine Figuren schließlich vor einer schablonenhaften Darstellung. Deshalb ist „Spuren im Sand“ am Ende ein gelungener Roman. Seine unprätenziöse Art, seine Solidität schaffen eine ,schöne Erinnerung’.
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