Der Mensch als Industriepalast

Uta und Thilo von Debschitz erinnern mit „Fritz Kahn. Man Machine – Maschine Mensch“ an Leben und Werk des deutsch-jüdischen Mediziners und Schriftstellers

Von Behrang SamsamiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Behrang Samsami

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Wer war Fritz Kahn? Wer war dieser Mann, dessen populärwissenschaftliche Bücher in den zwanziger Jahren bejubelt und in den dreißiger Jahren verbrannt wurden? Dessen Plakat ,Der Mensch als Industriepalast‘ dennoch international bekannt ist und bei einer Auktion in New York für 3750 Dollar verkauft wurde? Dessen Bilder im Internet nur als kleine Auswahl, aber mit vielen tausend Einträgen zu finden sind? Und der bis heute Kreative in aller Welt zu zeitgemäßen Interpretationen seiner Arbeit anregt?“ Diese Fragen stellen die beiden Herausgeber der Monografie „Fritz Kahn. Man Machine“, Uta von Debschitz, von Beruf Autorin und Kuratorin mit den Schwerpunkten Kultur und Gesundheit, und ihr Bruder, der Kommunikationsdesigner Thilo von Debschitz, in ihrem Vorwort, um im Folgenden mit dem ersten Buch über den vergessenen deutsch-jüdischen Mediziner und Schriftsteller den „Versuch einer Antwort“, beziehungsweise einen ersten Überblick über das Leben und Werk dieses Mannes zu geben.

Näheres über den Menschen Kahn teilen die beiden Herausgeber in ihrem Porträt „Meister und Manipulierer“ mit: Geboren 1888 in Halle als Sohn eines ebenfalls als Mediziner und Schriftsteller tätigen Gelehrten wird Kahn jüdisch-orthodox erzogen und klassisch-humanistisch ausgebildet. Er folgt den Spuren seines Vaters und studiert in Berlin Mikrobiologie. Im Ersten Weltkrieg wird er eingezogen und ist als Sanitätsarzt tätig. Spezialisiert auf Gynäkologie und Geburtshilfe arbeitet er anschließend als Chirurg in einer Klinik der deutschen Hauptstadt, bis er 1922 dort seine eigene Praxis eröffnen kann. Als überzeugter Zionist fährt er nach Palästina, kauft Grundstücke, unternimmt aber auch geologische Reisen in andere Regionen der Welt wie beispielsweise die Sahara oder zum Polarkreis. Durch den Erfolg seiner schriftstellerischen Arbeit – insbesondere den seines fünfbändigen Werks „Das Leben des Menschen“ (1922-1931) – steht er zunehmend mehr im Fokus der deutschen Öffentlichkeit und verkehrt in großbürgerlichen Kreisen, bis im Januar 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kommen und er, wie viele andere deutsch-jüdische Intellektuelle gezwungen ist, seine erfolgreiche Arbeit abzubrechen und ins Exil zu gehen.

Was indes das Werk dieses viel begabten Mannes, insbesondere seines opus magnum „Das Leben des Menschen“ ausmacht, erfährt der Leser im Abschnitt „Humanist und technischer Aufklärer“, mit dem der sowohl englisch- als auch deutschsprachige Band eröffnet wird. Im Mittelpunkt steht die „Maschine Mensch“, die auf einem der Monografie beigefügten Plakat illustriert wird. Zu ihr heißt es bei Kahn: „In der Tafel ,Der Mensch als Industriepalast‘ ist der Versuch unternommen, die wichtigsten Lebensvorgänge, die nie direkt beobachtet werden können, in Form bekannter technischer Prozesse darzustellen, um so ein Gesamtbild vom Innenleben des menschlichen Leibes vor Augen zu führen.“ Wie sieht dieses nun konkret aus? Anstelle menschlicher Organe sieht man Röhren, Förderbänder, Motoren, Ventilatoren, Rührtrichter, Dampfkessel, Verpackungs- und Zerkleinerungsmaschinen und dazwischen immer wieder kleine Menschen, die nicht nur im Kopf, sondern im gesamten Körper der „Menschmaschine“ an Apparaten und Schalthebeln sitzen und dafür sorgen, dass das Ganze in Gang gehalten wird. Der Mediziner und Philosoph Cornelius Borck schreibt dazu in seinem, dem Vorwort folgenden Essay „Humanist und technischer Aufklärer“: „Kahns Bild treibt auf die Spitze, was im 19. Jahrhundert mit seiner rasanten Technikentwicklung immer wieder bemerkt wurde: dass zwischen den Bau- und Funktionsprinzipien des menschlichen Körpers und technischen Erfindungen erstaunliche Parallelen bestehen.“

Im Folgenden macht Borck auf die Einflüsse anderer Wissenschaftler wie des deutschen Philosophen und Amerika-Abenteurers Ernst Kapp (1808-1896) auf Kahn aufmerksam und erkennt in seinem Werk die Rezeption von Kapps 1877 erstellter Theorie einer „Organprojektion“. Dabei stellt Borck jedoch einen bedeutenden Unterschied zwischen beiden Wissenschaftlern fest: „Kapp erklärt technische Erfindungen anhand einer vorbewussten Vertrautheit mit den Funktionsprinzipien des menschlichen Körpers. Kahn wiederum veranschaulicht, wie sehr die Lebenswissenschaften zur Erklärung von Naturvorgängen auf vertraute Technik angewiesen sind – und sei es nur als Reservoir funktionaler Analogien, die ihrerseits weiterer Erklärung bedürfen.“

Borck macht dann sowohl auf die Stärken wie auch auf die Schwächen von Kahns „Bildprogramm einer technischen Aufklärung“ aufmerksam. An seinen mit zahlreichen Abbildungen versehenen Publikationen, die im Trend der damaligen Zeit gelegen haben, werde deutlich, „wie der moderne Mensch mit der Erfindung technischen Geräts gleichsam zu sich selbst, also zur Einsicht in den eigenen Funktionsaufbau kommen sollte.“ Zugleich stellt der Autor jedoch die Frage, was eine solche Erklärung leisten könne, „die an entscheidender Stelle in die Welt der Automaten wieder winzige Verwaltungsangestellte und Techniker einführen muss, die genau das vollbringen, was eigentlich die Technik erklären sollte?“ Auffällig sei zudem, dass Kahn dieses Maschinenmodell in einer Zeit popularisiert habe, in der bereits heftige Kritik am reduktionistischen Denken in der Medizin geübt wurde.

Tatsächlich denkt man bei der Lektüre von „Fritz Kahn. Man Machine“ sogleich an andere Werke aus der damaligen Zeit – wie an Fritz Langs „Metropolis“ (1926), die die rasante Technisierung und Taylorisierung beziehungsweise die Indienstnahme des Menschen für die Maschine kritisieren. Kahn steht mit seinem „Leben des Menschen“ aber gewissermaßen auf der Gegenseite. Er transportiert zwar, wie auch Borck anmerkt, das „optisch Unbewusste im Maschinendenken der modernen Medizin“. Dennoch versteht er die technischen Innovationen im Gegensatz zu vielen anderen Zeitgenossen sowohl als Hilfsmittel zum besseren Verständnis des Menschen und seiner Umwelt als auch als ein „Werkzeug“, mit dem man das Leben des Menschen in der Moderne leichter und bequemer machen könnte. In dieser Hinsicht kann man unter Umständen folgern, dass Kahn die in seinen Büchern propagierte und illustrierte positive „Technisierung“ und „Mechanisierung“ des Menschen und seiner Umwelt gewissermaßen als eine Bewältigungsstrategie für die Moderne ansieht, die zum Vorteil der gesamten Menschheit gereichen könne.

Die Monografie „Fritz Kahn. Man Machine“ ist in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Neuerscheinung: Sie stellt einen bisher vergessenen, vielfach talentierten und einst gefeierten Mediziner und Schriftsteller vor, dessen turbulentes Leben und schriftstellerisch vielseitiges Werk nunmehr (wieder) zu entdecken sind. Ein Essay, ein Porträt und eine von der Doktorandin Miriam Eilers verfasste Chronologie von Kahns Vita und seiner Veröffentlichungen mit dem Titel „Grenzgänger und Weltenbürger“ werden dabei vom umfangreichsten Kapitel des Buches „Erzähler und Visualisierer“ ergänzt. Darin wird schließlich Kahns Bildwerk in den Mittelpunkt gestellt und in Abschnitten wie „Mensch und Arbeit“ und „Mensch und Wissenschaft“ mit über 250 Abbildungen illustriert.

Titelbild

Uta von Debschitz / Thilo von Debschitz: Fritz Kahn. Man Machine - Maschine Mensch.
Springer Verlag Berlin, Wien 2009.
208 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783211991817

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