Besser selber lesen

Hubert Spiegel hat Autor/innen versammelt, die ihre Lieblingssätze von Kafka kommentieren

Von Katja SchickelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katja Schickel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die FAZ und Hubert Spiegel hatten eine wirklich hübsche Idee: Mit Kafkas Geburtstag beginnend, luden sie 73 Menschen ein, die alle im Dunstkreis der Zeitung arbeiten oder in ihr veröffentlicht hatten, also Redakteure und AutorInnen, ihren jeweiligen Lieblingssatz zu nennen und zu kommentieren.

Von den 73 Auserkorenen waren immerhin 10 Frauen, eine Quote, die die übliche Dichte derjenigen, die sich professionell mit Kafka beschäftigen, übersteigt. Reiner Stach lieferte auch gleich eine Begründung: Die Zwangsvorstellungen und Kontrollfantasien Franz Kafkas seien lediglich neurotischer Art, und seien ihm verständlich, während Else Lasker-Schüler beispielsweise eindeutig psychotisch sei, damit könne er als Mann eben nichts anfangen (FAZ, 29. Juni 2009).

Das wirklich Schöne an der FAZ-Aktion war, dass man fast jeden Tag bis Anfang Oktober 2008 unter faz.net einen Kafka-Appetithappen, ein sommerliches tapa sozusagen, serviert bekam, zugegebenermaßen von sehr unterschiedlicher Konsistenz und Qualität. Die Redaktion hatte sich darüber hinaus einiges einfallen lassen: Das Kafka-Konterfei jeweils andersfarbig unterlegt, als Bonus-Material weitere Links.

Es gibt mathematische, naturwissenschaftliche Sätze, Erste und Letzte literarische, Brandsätze und jetzt zwischen zwei Deckeln: Kafkas Sätze – und merkwürdigerweise fallen nun vor allem die Mängel auf, die man offenbar der Web-Form wegen übersehen hatte, sogar goutieren konnte: etwa, dass die meisten sich gar nicht mit einem Lieblingssatz zufrieden gaben, sondern einen ganzen Absatz beanspruchten, den sie dann mit weiteren Sätzen aus Kafkas Oeuvre zu untermauern suchten. Da ist offensichtlich sehr viel Eitelkeit im Spiel – man möchte schließlich zeigen, dass man seinen Kafka kennt.

„Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht“ – Ingo Schulze versucht sich daran. Manche Autoren können mit Kafka eigentlich gar nichts anfangen, wie sie mehr oder weniger gewunden zugeben, wollten aber offensichtlich am medialen Ereignis teilhaben. Andere reagieren wie verspätet auftrumpfende Pubertierende gegen schulisch aufgezwungene Lektüren, die ihnen Kafka erstmal so richtig vergällt haben.

Brigitte Kronauer empfiehlt in ihrem Beitrag, irgendeine Seite in Kafkas Werk aufzuschlagen; bei aller Leicht(fert)igkeit bekäme man bei Kafka immer ein besonderes spezifisches Gewicht.

Kafka-Fans werden den schön gestalteten Band haben wollen (mit Illustrationen und einigen Faksimiles der Kafka-Handschriften vom Stroemfeld Verlag) – wer den Autor allerdings erst kennen lernen möchte, wird möglicherweise enttäuscht sein von den manchmal ziemlich anstrengenden Interpretationen. Da eignen sich die Kafka-Biografien von Thomas Anz und Stach vielleicht besser, oder die Franz Kafka-Webseite und natürlich doch: Kafka selber lesen!

(Zum Schluss einer der Lieblingsabsätze der Rezensentin: „Sie spaßen. Aber merken Sie sich, ein Gespenst ist ein Gespenst. – Sehr wahr. Aber wie, wenn man überhaupt nicht an Gespenster glaubt? – Ja, meinen Sie denn, ich glaube an Gespenster? Was hilft mir aber dieser Nichtglauben? – Sehr einfach, Sie müssen eben keine Angst mehr haben, wenn ein Gespenst wirklich zu ihnen kommt. – Ja, aber das ist doch die nebensächliche Angst. Die eigentliche Angst ist die Angst vor der Ursache der Erscheinung. Und diese Angst bleibt. Die habe ich gerade großartig in mir…. – Da Sie aber vor der Erscheinung selbst keine Angst hatten, hätten Sie sie doch ruhig nach ihrer Ursache fragen können! – Sie haben offenbar noch nie mit Gespenstern gesprochen. Aus denen kann man ja niemals eine klare Auskunft bekommen… Diese Gespenster scheinen über ihre Existenz mehr im Zweifel zu sein, als wir….“ (Unglücklichsein, aus: Betrachtung, 1913) )

Titelbild

Hubert Spiegel (Hg.): Kafkas Sätze.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2009.
239 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783100768001

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