„Die Vorstellung, dass Bücher brennen, ist großartig.“
Susan Chales de Beaulieus Filmporträt zu Slavoj Zizek
Von Daniel Krause
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSlavoj Zizek ist der Rockstar unter den Intellektuellen unserer Tage. Er bündelt Marxismus, Psychoanalyse und Popkultur in wilden, bonmothaft zugespitzten Gedanken. Weniger hermetisch als Alain Badiou und Giorgio Agamben, funkelnder, emotional involvierter als Richard Rorty und Jürgen Habermas, füllt Zizek die Auditorien der westlichen Welt. Das Zottelige der Erscheinung, verbunden mit nervöser, beinahe spastischer Körpersprache, unprätentiösen Manieren und Wagemut der Provokation prädestinieren Zizek zum Liebling der akademischen Massen. Im Film treten besagte Vorzüge um einiges deutlicher hervor als im schriftlichen Medium, demgemäß ist Susan Chales de Beaulieus Dokumentation: „Alien, Marx & Co“ – wiewohl nicht das erste filmische Zizek-Porträt, mit nur fünfzig Minuten wenig umfassend – ein Glücksfall.
Michel Chions musikalische Beiträge – quecksilbrig, collagenhaft, an Kurt Weill gemahnend – sind nicht eigens für „Alien, Marx & Co“ komponiert worden, doch treffend gewählt. Das filmische Bonusmaterial – zwanzig Interviewschnipsel von bis zu fünf Minuten – tut ein Übriges: Hier tritt uns Slavoj Zizek, wie er leibt und lebt, entgegen, und selbst wer alles Rockstarhafte verabscheut, wird zugestehen, dass dieser Braunbär, schweißnass staccatierend, als berufenster, wirksamster Kritiker unserer westlichen, kapitalistischen Lebenswelt gelten kann – weit kundiger und aufgeklärter als andere Rockstars, sei es der Dalai Lama oder der Papst. Zwar ist Chales de Beaulieus Material nicht taufrisch – die Dreharbeiten fallen ins Jahr 2005 –, doch Zizeks Unken- und Kassandrarufe, die ohne apokalyptisches Brimborium auskommen, vielmehr mit schwärzestem Humor begeistern, scheinen fünf Jahre später, in Zeiten, da manche Selbstverständlichkeiten des realen Kapitalismus fragwürdig werden, umso einsichtsvoller und empirisch plausibler.
Mag Zizeks Duktus sprunghaft sein, Verdichtung und Zuspitzung stehen ihm wie wenigen zu Gebote. Chales de Beaulieu tut gut daran, dem Meister über weite Strecken das Wort zu überlassen. In Untertiteln läuft eine deutsche Übersetzung der größtenteils englischen Einlassungen mit: „Die Achse meiner Arbeit ist das Lesen deutscher Klassiker [Kant, Hegel, Marx, Adorno] im Lichte Lacans.“ Der ‚postmoderne‘ Weltzustand sei durch „permissiven Totalitarismus“ bestimmt, der ‚repressive Toleranz‘ nicht aus-, sondern wesensgemäß einschließt. In diesem Sinne sei „small brother“ Bill Gates fataler selbst als Stalin: Er übe ähnlich viel Macht aus, doch ohne Angriffsflächen zu bieten. Der einzige Imperativ unserer Zeit laute: „Genieße – und lass den Dingen ihren Gang“. Dem schleudert Zizek sein unverdrossenes Credo entgegen: „Ich bin und bleibe Marxist und Revolutionär.“ Auch insistiert er, entgegen dem liberalen Konsensus könne es „guten Terror“ geben, nämlich dann, wenn nur Gewalt eine revolutionäre Idee zu schützen vermöchte: „Robespierre ist guter Terror“. (Der islamistische Terror wohlgemerkt nicht.) Jede Ethik sei im Grunde „terroristisch, weil gewaltsam aufgezwungen“ und „große ethische Taten“ seien stets „schmerzhaft“.
Zwei der wichtigsten Mitstreiter Zizeks kommen ausführlich zu Wort: Jacques Rancière und Alain Badiou, den Zizek dafür bewundert, dass er den „Fetisch Demokratie“ in Frage stellt. Beide, Zizek wie Badiou, verdächtigen die parlamentarische Demokratie der Komplizenschaft mit dem Kapitalismus. Sie schränke den Raum politischer Möglichkeiten ein, verhindere die Bewusstwerdung des Proletariats oder Prekariats, stelle sich wesenhaft affirmativ dar. Vor diesem Hintergrund erhellt beider respektvolle Haltung zu Lenin, dem es nicht allein um das politsch Richtige zu tun gewesen sei, sondern um den richtigen, wirksamen Augenblick revolutionärer Aktion. (Zumal Badiou lässt sich von Lenins bolschewistischer Kaderpartei zu allerlei Betrachtungen über die eigene Rolle als Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit hinreißen, die ihrer wohl verstandenen Interessen längst nicht bewusst sei.)
Kaum überraschend lässt Zizek am Wegrand allerlei genialische Aperçus fallen, zumeist in überaus prägnantem Englisch mit ebenso prägnanter slawischer Färbung. So sei Faschismus durchwegs als Symptom einer gescheiterten Revolution zu analysieren. (Mit Blick auf deutsche Verhältnisse zwischen 1918 und 1933 eine durchaus erhellende Sichtweise.) Mit Kant entwickelt Zizek eine schlagende Definition von „Obskurantismus“ als aufklärerisch diskreditiertem Versuch, Sinn und Wahrheit zusammenzuzwingen. (Der Papst hat konsequenterweise als „Obskurantist“ zu gelten, nicht weniger als die Scharen von New-Age-Adepten.) Zizeks anti-obskurantistische, radikalaufklärerische Haltung gründet demgegenüber auf der Erkenntnis, dass hinter der Maske – gleich welcher –, hinter dem Vorhang nichts sei: Kontingenz allerorten. Es gelte, sich diese Lektion – bei Hegel, Freud und Lacan sei sie zu lernen – zu eigen zu machen. Dies wäre wohlverstandener Materialismus.
Slavoj Zizek möchte Symptom des heutigen Weltzustands sein (durchaus im psychopathologischen Sinne), ein Symptom, in dem sich Dilemmata dieser Gesellschaft artikulieren – und darüber hinaus eine ‚Öffnung‘ möglich wird. Wenn intellektueller und moralischer Nonkonformismus als Indiz für Offenheit anzusehen ist, braucht Zizek um die eigene Strahlkraft nicht bange zu sein.
P.S.: „Die Vorstellung, dass Bücher brennen, ist großartig“, denn Fragmente sind – mit Zizek – offen. So habe sich die Geschichte der Philosophie erst entfalten können: durch Anverwandlung missverstandener vorsokratischer und anderer Fragmente.