Primatenschau

Gerben Hellinga lässt einen unsympathischen Helden mit offensichtlichem Testosteronüberschuss auftreten

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 1960er- und 1970er- Jahre waren merkwürdig, und auch nicht immer schön. Zumindest scheint es so, wenn man sich Figuren wie den berühmten – aber nicht minder indiskutablen – Shaft anschaut, der als Kristallisationsfigur schwarzer Emanzipation herhalten sollte, oder auch diesen Sid Stefan, den sich der niederländische Autor Gerben Hellinga ausgedacht und bereits 1966 das Licht der Welt hat erblicken lassen.

Bereits in der Auftaktszene des ersten, auf vier Bände angelegten Zyklus um den Werbetexter Sid Stefan tritt ein Männchen auf, das weder seine Hormone noch seine Selbsteinschätzung wirklich im Griff hat. Es sonnt sich in seiner vorgeblichen Außerordentlichkeit: groß, silberblondes, wild wucherndes Haar, pechschwarze Augen, ein muskulöser, schlanker – und jetzt kommt’s – gestählter Körper, mit dem es die Damenwelt (Mannequins mit Vorliebe) zu beeindrucken weiß. Ein männlicher Primat, offensichtlich.

Allerdings sind solche arroganten und überzeichneten Figuren Ausdruck eines neuen, aus den engen bürgerlichen Konventionen ausbrechenden Hedonismus, der auch seine körperlichen Seiten hat. Dass Männer sich schön und sexuell attraktiv finden, ist immerhin ein Anspruch (von Erfahrung soll man ja nicht sprechen), den sie erst einmal formulieren müssen. Dass sie hart, cool, gewalttätig und ganz großartige Stecher sein können, sei ihnen gegönnt. Das als Überkompensation zu verstehen, ist immerhin eine Möglichkeit, die es einem erlaubt, mit solchen Texten überhaupt etwas anzufangen.Aber die emanzipativen Aspekte dieses Konzeptes entziehen sich jeder Einsicht.

Aber schauen wir uns Hellingas Helden etwas näher an. Denn wir haben es hier nicht mit einem schießwütigen Cop zu tun, sondern mit einem abgehalfterten Werbetexter, der wegen Todschlags gesessen hat (eigentlich unschuldig, er hat nur seine Frau verteidigt, die überfallen wurde, aber geglaubt hat’s ihm keiner). Dafür ging er in den Knast und danach erst einmal ein halbes Jahr nach Schweden in die Wälder zum Holzfällen.

Von dort kehrt er (gestählt, wie gesagt) zurück und erfährt seine Wiedergeburt als Detektiv. Denn auch wenn seine Aussichten, in seinen alten Beruf zurückzukehren, nicht schlecht sind (allerdings, so gut verdient man als Werbetexter auch nicht, aber hier muss ja immer alles cool und großartig sein), wird er von anderen Umständen doch ziemlich abgelenkt. Denn er trifft im Flieger eine alte Flamme – Jeanette – wieder, verabredet sich mit ihr für den nächsten Abend, das Treffen misslingt aber, weil er einen Tag zu früh auftaucht, und am nächsten Morgen ist die Frau tot.

Damit beginnen die Ereignisse, die aus einem Werbetexter mit Faible für Maßanzüge einen Ermittler machen, der einigermaßen erfolgreich in die Abgründe der Amsterdamer Mafia abtaucht. Denn Jeanette arbeitete als Kurierin für einen der Paten; ihr Freund, Pilot einer Airline, ist ihr Partner, beide wurden vom Oberhaupt der lokalen Mafia erpresst.

Das ganze Konstrukt gerät nun mit der Ankunft des neuen Helden ins Wanken. Und Sid Stefan hätte zwar viel Besseres zu tun, aber so sind sie nun einmal, diese Helden, sie mischen sich immer in die Sachen, die sie nichts angehen. Und so rollt Sid Stefan die Amsterdamer Schutzgeldmafia auf, bringt heraus, wer wo wen umgebracht hat und dann auch noch warum. Wird dabei natürlich verfolgt, gefoltert, geschlagen, beschossen und alles, was sonst noch dazu gehört, und verfolgt, schlägt, foltert und schießt, was das Zeug hält.

Er ist offensichtlich einer jener Amateure, die eine ganze Heerschar von Schutzengeln in Atem halten. Neben italienischen und sonstigen Gangstern spielt dann natürlich noch der amerikanische Geheimdienst eine Rolle, denn Hand aufs Herz: Das Ganze ist vor allem eine großartige und groß angelegte Klamotte, Krimischreibers Spielplatz, auf dem er sich ausdenken darf, was immer er will.

Das ist soweit in Ordnung. Aber dass zwischendurch zumindest vorgeblich ernsthaft über eine europaweite Werbekampagne verhandelt wird, die Sid betreuen und, mit der Instantbier in den europäischen Märkten durchgesetzt werden soll, gehört zu den Schnapsideen, auf die Krimiautoren kommen, wenn sie allzu verspielt und unkontrolliert an ihren Texten herumwerkeln.

Und sowieso: Natürlich kommt Hellingas Held am Ende nicht nur ungeschoren davon, sondern geht geradezu strahlend aus dem ganzen Schlamassel hervor. Das Ganze lohnt sich also richtig für ihn.

Titelbild

Gerben Hellinga: Dollars. Sid Stefan in Amsterdam.
Übersetzt von Hanni Ehlers.
Alexander Verlag, Berlin 2010.
265 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783895812187

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