Pfeifen auf dem ersten Loch

William Gays Debütroman „Ruhe nirgends“ erstmals auf Deutsch

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Erde in Tennessee muss einem Schweizer Käse gleichen – so viele Löcher begegnen einem in den Romanen von William Gay. Schon in „Nächtliche Vorkommnisse“, erst letztes Jahr auf Deutsch erschienen, findet ein soziopathischer Killer in einem symbolträchtigen Abgrund, der „Nadelöhr“ genannt wird, sein verdientes Ende. Einem solchen Höllenschacht begegnet der Leser auch in „Ruhe nirgends“.

Der Anfang des Romans erzählt seine Entstehung: Irgendwann im Jahr 1933 tut sich auf dem Land eines Schwarzbrenners die Erde auf, mit einem „dumpfen Wummern“, als hätte jemand Dynamit gezündet. Es stinkt bedeutungsvoll nach Schwefel. Kurz darauf nimmt ein Fremder den Platz des Schwarzbrenners ein: Dallas Hardin reißt all den Besitz des Mannes an sich, sogar dessen Frau und Tochter. Man könnte meinen, der Leibhaftige persönlich sei aus dem Loch geklettert: Zehn Jahre lang beherrscht Hardin, der Mann mit den „gelben Ziegenaugen“, das Land. Richter und Sheriffs werden geschmiert, Konkurrenten die Häuser abgefackelt. Als ein unerschrockener Nachbar Hardin zur Rede stellt, weil er entdeckt, dass auf seinem Grundstück heimlich Hardins Whisky lagert, wird er von dem Schurken kurzerhand erschossen und – in dem Loch entsorgt.

„Unter dem verschlagenen Grinsen, dem Stoff der Mythen, in den die Jahre ihn gehüllt hatten, lauerte edelsteingleich ein durch und durch böser Kern. In diesen Mythen spielte er die Rolle des Teufels, des Zähne- und Klauenmonsters in der Finsternis der Kindheit. ‚Sei schön brav, sonst gebe ich dich dem alten Hardin‘, drohten Mütter ihren Kindern.“ Man sieht: Bei William Gay wird grundsätzlich dick aufgetragen. Morbide Übertreibungen wie die, dass Hardin angeblich von einer toten Frau noch im Sarg geboren wurde, und exzessive Gewaltszenen sind hier die Regel, nicht ohne Grund bezeichnet sich Stephen King als Fan dieses Autors. „Ruhe nirgends“ ist der dritte Roman, der von Gay auf Deutsch erscheint, und zugleich sein literarisches Debüt: Mit ihm wurde der bis dahin als Schreiner und Maler in den Wäldern von Tennessee lebende Gay 1999 in den Staaten zum neuen Star der Southern Gothic-Literatur. Kein Wunder: Gays kraftvolle Sprache wirkt mit ihren kantigen Sätzen wie mit dem Beil zugerichtet. Seine Bilder wuchern gern zu exzentrischen Vergleichen, etwa wenn es heißt, eine Wirbelsäule sei so krumm, „als hätte Gott der Allmächtige persönlich Metall aufgeheizt, bis man es biegen konnte, und es ganz nach seinem Gutdünken neu geformt“.

Zwischendurch stolpert der Leser über einzelne Fremdworte wie „Gyroskop“ oder „stygische Pforte“, die ihn anstarren wie dunkle Astlöcher. Und natürlich ruft immer irgendwo ein Ziegenmelker. Der Wiedererkennungswert ist bei William Gay hoch: Die Romane des heute 67-jährigen Autors spielen alle zur Mitte des 20. Jahrhunderts im ländlichen Süden der USA. Die Welt, die seine Hillbillys bevölkern, trägt ebenso sehr alttestamentarische wie märchenhafte Züge. Junge Männer müssen in ihr gleichsam ihre Reifeprüfung ablegen, indem sie sich dem Bösen stellen.

In seinem Erstling heißt der Held Nathan Winer – der Sohn des von Hardin ermordeten und ins Loch geworfenen Nachbarn. Winer glaubt anders als seine Mutter fest daran, dass sein Vater die Familie vor zehn Jahren nicht einfach so im Stich gelassen hat. Auf der Suche nach Arbeit landet er eines Tages ausgerechnet bei Hardin, der einen Zimmermann braucht, um sein florierendes Bordell zu erweitern. Beinahe entsteht zwischen dem ehrlichen jungen Mann und dem Mörder seines Vaters so etwas wie ein Vater-Sohn-Verhältnis, besser gesagt, die Travestie eines solchen.

„Das Leben ist hart, Winer“, sagt Hardin. „Und man muss selber hart werden, damit man es meistert. Es ist wie ein Blackjackspiel, bei dem das Leben gibt, und der Geber ist immer im Vorteil. Klar? Du musst dir selbst einen Vorteil verschaffen. Denn wenn du das nicht machst, bei Gott, dann gibt’s immer einen, der dich dein Leben lang anlügt und dir dann einen abgegriffenen Vierteldollar in die Hand drückt und dir sagt, dass du dir was zu Nikolaus kaufen sollst.“

Mit diesen Worten schenkt Hardin in einer dostojewskiwürdigen Szene dem Jungen das Messer seines Vaters. Hardin will es vor Jahren am Wegrand gefunden haben – ein Beweis dafür, dass sich Nathans Vater doch aus dem Staub gemacht hat? Zum Konflikt kommt es, als Nathan sich in Amber Rose verliebt – Hardins „Stieftochter“, deren Jungfräulichkeit Hardin eines Tages an den Meistbietenden versteigern will. Nathan nennt das Mädchen Briar Rose, Dornröschen – das passt, muss er doch wie ein Prinz im Märchen dem dunklen König die schöne Tochter rauben.

Titelbild

William Gay: Ruhe nirgends. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Joachim Körber.
Arche Verlag, Hamburg 2010.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783716026359

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