Life must go on

Anna Mitgutsch setzt sich in ihrem Roman „Wenn du wiederkommst“ mit dem Tod auseinander und sucht nach einem Zugang jenseits von kollektiven Bildern

Von Monika StranakovaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Monika Stranakova

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es mag sein, dass der Tod zum Leben gehört, weil es tröstlich klingt. Für die Hinterbliebenen ist es eine hilflose Beschwörungsformel gegen die Trauer. „Sie wissen es nicht besser“, denken sie entschuldigend, „denn ihnen fehlt die Erfahrung“. Wen aber an einem angenehm bedeutungslosen Tag eine Todesnachricht ereilt, der wird sich für den Rest seines Lebens daran erinnern, welcher (banalen) Beschäftigung er gerade nachgegangen ist.

So auch die Ich-Erzählerin im neuen Roman der österreichischen Schriftstellerin Anna Mitgutsch. Nach jahrelangen Ausweichmanövern und „in einem Abschnitt [ihres] Lebens, in dem die Jugend vorbei ist und das Alter noch nicht bedrohlich erscheint“, haben sich die Österreicherin und ihr amerikanischer Exmann doch für ein gemeinsames Leben in Boston entschieden. Drei Tage ist es her und jetzt ist Jerome tot. Wie ist es, denjenigen zu verlieren, mit dem man den Lebensabend verbringen wollte, fragt die Autorin, und entwickelt aus dem anfänglichen Gefühlschaos ihrer Protagonistin die Geschichte einer ungewöhnlichen Liebes- und Lebensbeziehung.

Zwar ohne erotische Spannung, einander aber von Anfang an wie Geschwister vertraut, sind die beiden vor dreißig Jahren eine Ehe mit hohen Ansprüchen eingegangen. „Einander verpflichtet und zugleich frei“ wollten sie sein, mit Maß und Respekt lieben. Dass sie „zu keinem Ehepaar nach dem bürgerlichen Gesetzbuch, zu keinem Liebespaar im Sinn trivialer Mythen“ geworden sind, liegt auf der Hand. Allzu oft hat sie die Sehnsucht nach einem anderen Leben entzweit und voneinander weggetrieben.

Während Frau und Tochter um ein seelisches Gleichgewicht ringen und vom Verstorbenen in Gegenwartsform reden, um ihn auf diese Weise vor dem Tod zu bewahren, verhalten sich seine Familie und Freunde distanziert. Jeromes Witwe sei sie nicht, dies hätte sie sich vor fünfzehn Jahren bei der Scheidung überlegen sollen. Ansonsten solle sie sich nicht allzu sehr in der Trauer einrichten, das Leben müsse weitergehen. Jüdische und amerikanische Lebenseinstellungen prallen hier aufeinander, wenn sie den beiden Trauernden plötzlich alle wie Partygäste vorkommen.

Der selbstgefällige Besitzanspruch, mit dem Jeromes Bekannte zudem über den toten Freund erzählen und letztendlich sich selbst in den Mittelpunkt ihrer Anekdoten stellen, zwingt die Erzählerin zu einer permanenten Auseinandersetzung mit der geliebten Person. Wer war der Tote? Wer war man selbst durch ihn? Mitgutsch beschreibt, formal dem jüdischen Trauerritual folgend, die Entwicklung der Gedanken- und Gefühlswelt ihrer Protagonistin von der Trauerwoche über den Trauermonat bis zum Ende des Trauerjahres. Nicht zuletzt erzählt der Roman auch darüber, wie gemeinsame Erlebnisse, Krisensituationen und Glücksmomente erinnert werden. Zwar halten sich die positiven und negativen Erinnerungen die Waage, doch schnell ist klar, dass das Eigenbild mit dem Fremdbild nie zur Deckung kommen wird. Liegt es wirklich nur daran, dass Jerome ein Schauspieler war, der sich allen anders dargestellt hat? Wohl nicht. Die Diskrepanz zwischen unserer Wahrnehmung und der Wirklichkeit, das Verhältnis zwischen Erinnern und Erfinden sind ein wiederkehrendes Thema der Autorin.

Auch die bemerkenswerte Präzision und Ehrlichkeit, mit der Anna Mitgutsch, Jahrgang 1948, über die komplexen Entscheidungen und Beweggründe des Einzelnen in verzwickten Lebenssituationen schreibt, kennt man aus ihren früheren Romanen. Während es in ihrem Debüt „Die Züchtigung“ (1985) noch um die aussichtslose Position einer jungen Frau in ihrer autoritären und patriarchalen Familie oder in „Ausgrenzung“ (1989) um die Isolation einer Mutter und ihres autistischen Kindes aus der Gemeinschaft ging, steht in den späteren Romanen wie „In fremden Städten“ (1992), „Haus der Kindheit“ (2000) oder „Familienfest“ (2003) das Motiv Fremdheit in seinen unterschiedlichsten Facetten im Mittelpunkt. Mit der Thematisierung der „fremdesten Fremdheit“ unseres Lebens hat sich die Autorin – für sie ungewöhnlich – an ein metaphysisches Thema herangewagt und eines ihrer persönlichsten und eindringlichsten Bücher geschrieben.

Titelbild

Anna Mitgutsch: Wenn du wiederkommst. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2010.
271 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783630873275

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch