Wunschvolle Gedanken

Zu der von Walter Fähnders herausgegebenen wundervollen Sammlung von Annemarie Schwarzenbachs Orient-Reportagen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer ist Annemarie Schwarzenbach? Bis vor wenigen Jahren kannte kaum jemand diese Schweizer Autorin. Bestenfalls war bekannt, dass sie zum Umkreis von Erika und Klaus Mann gehörte. Verdienste um die deutsche Literatur hatte sie sich erworben, indem sie eine Weile die Zeitschrift „Die Sammlung“, die der Freund Klaus Mann herausgab, finanzierte. Ein bisschen mehr wurde zwar schon getan. Aber nichts davon brachte Schwarzenbach wirklich aus dem – Verzeihung – regionalen Schweizer Förderungskreis heraus. Die feministische Forschung beschäftigte sich mit anderen Autorinnen und die Germanistik hatte Wichtigeres zu tun.

Hinzu kam wohl auch, dass Schwarzenbach mit ihrem veritablen Drogenproblem, an dem sie 1942 starb, kaum als Vorzeigeautorin herhalten konnte und als Schweizerin geschützt vor den Nachstellungen der Nationalsozialisten war. Nicht bedroht, aber ein Junkie, ein Werk, das sich auf einen größeren Nachlass, zahlreiche verstreute Artikel und Erzählungen und nur wenige äußerst erfolglose Bücher beschränkte – warum sollte man sich mit Annemarie Schwarzenbach beschäftigen?

Bis vor wenigen Jahren ein regelrechter Schwarzenbach-Hype anbrach. Mehrere Biografien sind seitdem zu Schwarzenbach erschienen – mehr als zu Anna Seghers, Annemarie Fleißer, Irmgard Keun, Erika Mann oder Ricarda Huch, um nur einige Autorinnen ihrer Zeit zu nennen. Die Dissertationsmaschine lief zur gleichen Zeit auf Hochtouren. Mit anderen Worten: aus dem hässlichen Entlein entwickelte sich binnen kurzem ein veritabler Literatenschwan.

Nun bedeutet die intensive Auseinandersetzung der Literaturwissenschaft und vor allem der Biografistik nicht notwendig, dass ein Autor auch etwas taugt. Zahlreiche Texte sind deshalb Untersuchungsgegenstand, weil sie konzeptionell, kulturell oder intellektuell aufschlussreich, interessant oder einfach nur notwendig sind. (Die immer wieder gerade Studienanfängern vorgegaukelte notwendige Identifikation mit dem Gegenstand, nicht mit dem Gewerbe, zeugt eben nicht nur von geringer Professionalität, sondern funktioniert oft genug auch nicht.)

Wie aber verhält es sich nun im Falle Schwarzenbachs?

Mit Walter Fähnders hat die Edition Ebersbach einen ausgewiesenen Kenner des Werks Schwarzenbachs gewinnen können, der zudem schon in der Vergangenheit Autoren ausgegraben hat, auf die aufmerksam zu machen sich lohnte. Zu erinnern ist nur an Ruth Landshoff-Yorck, deren Werk zwischen Avantgarde und Kolportage anzusiedeln ist und aus deren Nachlass Fähnders kürzlich wieder einen Text ediert hat (Ruth Landshoff-Yorck: In den Tiefen der Hölle. Aviva, Berlin 2010).

Nun also Annemarie Schwarzenbach. Ihre literarische Karriere begann zu einem relativ ungünstigen Zeitpunkt. Die 1908 in Zürich geborene Schwarzenbach wurde als 25-Jährige von ihrem wichtigsten literarischen und lebensweltlichen Bezugsraum getrennt, Berlin. Die nationalsozialistische Machtübernahme unterbrach die gerade beginnende literarische Karriere und gab ihr eine besondere Wendung, die sich in der vorliegenden Textsammlung zeigt. Schwarzenbach begann mit einer regen Reisetätigkeit, die sie insbesondere in den Orient führte, und sie begann in der Schweizer Presse zu publizieren, die jedoch einigermaßen randständig war. Zahlreiche Reportagen und Erzählungen sind seitdem den Orientreisen gewidmet – Fähnders hatte entsprechend viel Material, aus dem er auswählen konnte und aus dem auszuwählen sich lohnte. Die in diesem Band präsentierten Texte folgen allesamt den Erstdrucken, vor allem in der Schweizer Presse, oder ihrem Orientreisebuch „Winter in Vorderasien“ von 1934. Damit lösen sich Fähnders und der Verlag von der unseligen Neigung moderner Verlage, ältere Texte in angepasster Form ihrem Publikum vorzulegen.

Darüber hinaus hat Fähnders aber einen sehr eigenen, geradezu waghalsigen Versuch unternommen, indem er nämlich die Texte Schwarzenbachs in einer so nie dagewesenen Zusammenstellung präsentiert. Das Risiko solcher Eingriffe besteht schlichtweg darin, dass damit eine Autorin und ein Textkosmos entstehen, den es so nie gegeben hat. Ein Anachronismus, der im günstigen Fall zu etwas führt wie der Idealform dessen, was hätte sein können. Im schlechteren jedoch Texte und Autorin von ihren Ursprüngen löst.

Um damit nicht hinter dem Berg zu halten, wir haben es hier mit dem besseren Fall zu tun. Die Texte zeigen eine Autorin, die sich aus dem Okzident in den Orient rettet, die mit sich selbst ebenso hadert wie sie mit den Erwartungen kämpft, die sie an den Orient hat. Nichts ist so wie erwartet, und alles ist doch irgendwie ähnlich. Ein Areal, das so vielfach beschrieben, eine eigene Vergangenheit und ein fast schon undurchdringbares Bild abgibt, das eine Reisende wie Schwarzenbach nur mit Mühe auflösen kann. Dass, wer in die Fremde geht, dort vor allem sich findet und nichts von dem, was er oder sie erwartet hat, ist eine alte Sentenz, die sich bei Schwarzenbach nur zu gut wieder beweist.

Die Texte leben davon und sie zeigen die Virtuosität einer Autorin, von der man hierzulande lange nichts ahnte. Das Umfeld, Erika und Klaus Mann vor allem, verdrängte sie aus der Wahrnehmung, aber auch ihre relativ marginale Position im literarischen Feld hat verhindert, dass man sie bislang gebührend wahrnahm. Das hat sich nun geändert, und damit es nicht nur beim Schreiben über sie bleibt, ist Fähnders’ Band gerade zur rechten Zeit verfügbar.

Titelbild

Annemarie Schwarzenbach: Orientreisen. Reportagen aus der Fremde.
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Walter Fähnders.
ebersbach & simon, Berlin 2010.
190 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783869150192

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