Orientierungshilfe

Joachim Bark und Hans-Christoph Graf von Nayhauss stellen eine „deutsche Kulturepoche“ vor

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Aufklärung als historisch, das heißt als Epoche, aufzufassen ist zwar üblich, widerspricht jedoch systematisch ihrem Wesen: Aufklärung fängt zwar irgendwann an (mit dem kritischen Denken nämlich, das für den europäischen Kulturraum mit Sokrates einsetzt), sie hört aber nicht irgendwann auf, etwa nach dem Motto: Genug aufgeklärt! Aufklärung unkritisch darzustellen widerspricht ihr ebenfalls: Kritik ist wesentliches Anliegen der Aufklärung, also auch Kritik der Kritik – Selbstkritik. Diese beiden Probleme ergeben sich immer angesichts einer darstellenden Einführung in die Aufklärung als Kulturepoche. Sie sind auch in dem vorliegenden Band „Aufklärung“ spürbar, der in der Reihe „Profile deutscher Kulturepochen“ bei Kröner erschienen ist. Die Literaturwissenschaftler Joachim Bark und Hans-Christoph Graf von Nayhauss liefern darin zu ihrer Fragestellung – „Was bedeutet Aufklärung für das Denken, für die Kunst, für die Religion, aber auch für die Rechtspraxis und Staatsorganisation?“ – eine solide dreiteilige Antwort mit einer klassischen Einführung, kommentierten Quellentexten und einem hilfreichen Anhang.

Die lehrbuchmäßige Einführung im ersten Teil, die als solche von Schülern und Studenten zur raschen, soliden Orientierung sehr gut genutzt werden kann, enthält alles Wesentliche. Vermissen kann man jedoch in der Tat die Anwendung des entscheidenden Aufklärungskriteriums auf die (historische) Aufklärung und ihre Folgen: die Kritik. Denn als ein Erbe der wirkmächtigen und wichtigen Epoche droht zweifellos eine Überschätzung und Verklärung des Vernunftbegriffs (darauf haben für den deutschen Kulturraum zunächst Max Horkheimer und Theodor W. Adorno aufmerksam gemacht, heute auch Jürgen Habermas). Zugleich ist dieses Erbe oft mit einer Verkürzung der ideengeschichtlichen Tradition verbunden (Vernunft gibt es nicht erst im 18. Jahrhundert) und einer Markierung von Umbrüchen, dort, wo eigentlich Kontinuität herrscht – man denke etwa an den sanften Übergang von der Spät-Scholastik (als Nachklang der Scholastik) zu Humanismus, Rationalismus und Empirismus (als Vorboten der Aufklärung), der oft als schroffe Abkehr fehlgedeutet wird.

Dass „deutsche Kulturepochen“ nicht ganz unabhängig von „europäischen Kulturepochen“ stattfanden und -finden, gilt besonders für die Aufklärung. Die Autoren beschreiben die wichtigen Einflüsse aus dem Ausland, vor allem aus Frankreich und England, auf die deutsche Kultur: In der Philosophie ist es einerseits der Rationalismus René Descartes’, anderseits der Empirismus David Humes, George Berkeleys und John Lockes, die in ihrer Gegensätzlichkeit das Denken der deutschen Aufklärer beeinflusst haben, ehe Immanuel Kant die beiden roten Fäden in seiner Erkenntnistheorie zusammenknüpft. In der Theologie wirkt auf der einen Seite der englische Deismus, auf der anderen Seite der französische Atheismus. Für den preußischen Protestantismus entstanden aus der anfänglichen Dichotomie von „begieriger Kenntnisnahme“ und „erschrockener Abwehr“ drei Antworten: Lutherische Orthodoxie, Pietismus und Neologie. All das wird im ersten Teil kompakt und verständlich dargestellt.

Daran schließen sich im zweiten Teil kommentierte Auszüge aus „Aufklärungsklassikern“ an: Selbstverständlich Kant („Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“), dankenswerter Weise auch Leibniz („Die vernünftigen Grundsätze der Natur und der Gnade“ aus der Monadenlehre). Leider fehlt ein Auszug aus dem Werk seines Epigonen Christian Wolff (Bark und von Nayhauss sprechen von „Schüler“, was zumindest missverständlich ist: Gottfried W. Leibniz und Wolff sind sich persönlich nie begegnet.). Das wäre wichtig gewesen, nicht nur, weil Wolff mit der Systematisierung der disparaten Leibniz-Schriften die ideengeschichtliche Brücke von Leibniz zu Kant baut (darauf weisen die Autoren im ersten Teil hin), sondern weil sich an der dabei zum Tragen kommenden „mathematischen Methode“ ganz gut der rationalistische Optimismus der Früh- und Hochaufklärung veranschaulichen lässt: Der Versuch eines eindeutigen, widerspruchsfreien, objektiv nachzuvollziehenden Gedankengangs in allen Fragen der Philosophie (etwa auch der Ethik), den erst Kant mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“ für gescheitert erklärt, die ja eine Kritik mit den Mitteln der reinen Vernunft, aber auch eine Kritik an der reinen Vernunft ist. Sonst ist das angebotene Quellenprogramm sehr literarisch geprägt: Friedrich Schiller, Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried Herder, Christoph Martin Wieland, selbst Johann Wolfgang von Goethe („Von deutscher Baukunst“) kommen zu Wort. Im Bereich der „Erziehung“ könnte man Johann Daniel Salzmann (den „deutschen Rousseau“) und „Turn-Großvater“ Johann Christoph Friedrich GutsMuths vermissen, auch wenn seine Sportpädagogik eher in die Spätphase der Aufklärung fällt (1793 erschien „Gymnastik für die Jugend“, 1804, im Todesjahr Kants, folgte „Ein Beytrag zur nötigen Verbesserung der körperlichen Erziehung“). Dennoch darf man nicht vergessen: Jede Auswahl an Aufklärungstexten im Umfang von 200 Seiten hätte wohl Lücken. Einen Pluspunkt gibt es für die didaktische Gestaltung: Die einleitenden Kommentare zu den einzelnen Texten sind grau unterlegt und dadurch deutlich von den Quellen zu unterscheiden.

Nützliche Anhänge wie Literaturverzeichnis, Zeittafel und Register helfen bei der Orientierung, wobei das mit der Zeittafel abgedeckte „Kurze Aufklärungsjahrhundert“ von 1716 (Tod Leibnizens) bis 1789 (Antrittsvorlesung Schillers) recht willkürlich bestimmt wird. Es ließen sich auch andere begründete Daten finden, zumal auch einige der Quellentexte später erschienen sind (Schillers „Ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts“ ist von 1795, Kants „Logik“-Vorlesung fand um 1800 statt). Der Jahr-für-Jahr-Durchgang durch das „Jahrhundert der Aufklärung“ ist dafür allerdings sehr ausführlich und detailliert.

Das Fazit fällt geteilt aus. Bark und von Nayhauss’ „Profile deutscher Kulturepochen. Aufklärung“ bieten eine hervorragende Möglichkeit zur raschen Orientierung in Sachen Aufklärung. Wer jedoch mehr erwartet, wie zum Beispiel Aktualisierung oder Kritik, wird enttäuscht sein. Ein nicht ganz unwichtiges Plus: das Buch bringt viele Schlüsseltexte zusammen, die man sich sonst (beispielsweise für ein Referat oder eine Hausarbeit) erst mühsam zusammensuchen müsste. Auch wenn sich immer ein Blick in das Original lohnt – mit Bark und von Nayhauss lässt sich Zeit und Geld sparen. Für Studierende an den Bologna-Unis im deutschen Kulturraum sicherlich nicht die schlechteste Nachricht.

Titelbild

Joachim Bark / Hans-Christoph Graf von Nayhauss: Profile deutscher Kulturepochen. Aufklärung.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2009.
295 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-13: 9783520507013

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