Im Angesicht der Geißel Gottes

Silvia Stolzenburg legt mit „Die Launen des Teufels“ den Auftakt ihrer Ulm-Trilogie vor

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Nachfrage nach historischen Romanen ist nach wie vor groß. Die monatlichen Neuerscheinungen sprechen dafür sowie das Interesse an den Romanverfilmungen. Jüngst präsentierte Sat 1 die Umsetzung des Iny Lorenz-Erfolgs „Die Wanderhure“, die mehrteilige Adaption von Ken Folletts „Die Säulen der Erde“ wurden im vergangenen Jahr ebenfalls unter großem Zuschauerinteresse im selben Sender ausgestrahlt.

Bei dieser Vielzahl von Publikationen gibt es in diesem Genre allerdings Qualitätsunterschiede, denn einen guten historischen Roman zeichnet nicht nur schriftstellerisches Können aus. Oft steht eine ausführliche und zeitaufwendige Recherche von Fachliteratur oder Stadtarchiven vor dem eigentlichen Schreibprozess, damit der historische Hintergrund möglichst authentisch und lebendig wirkt. Die historischen Fakten fließen fundiert in die Handlung ein, das Mittelalter oder die jeweilige geschichtliche Epoche wird in allen Facetten wiedergegeben. Doch oftmals vermischen sich die historischen Gesellschaftsnormen mit unseren modernen Vorstellungen und Lebensweisen, so dass das Verhalten der Figuren nicht recht in die beschriebene Zeit passt.

Diese Aspekte treffen auch auf Silvia Stolzenburgs Roman „Die Launen des Teufels“ zu. Der erste Teil ihrer Trilogie führt den Leser nach Ulm. Im Herbst 1349 hat die Pest die Handelsstadt erreicht, viele Bürgerinnen und Bürger fallen ihr zum Opfer. Die junge Anabel, Tochter des Glockengießers Conrad, hilft im Beginenkloster bei der Versorgung der Kranken. Ihren Lohn muss sie ihrem tyrannischen Vater abgeben, der seine Familie und Gesellen grundlos malträtiert. Als der Abt Franziscus ihm anbietet, sich für Conrad im Stadtrat einzusetzen, damit dieser sowohl Ratsmitglied als auch Hauptlieferant für die Glocken des sich noch im Bau befindenden Ulmer Münsters wird, verkauft er ohne Skrupel die Unschuld seiner Tochter an den Kirchenvertreter.

Zur gleichen Zeit lernt Anabel Bertram kennen, den Sohn eines verarmten Steinmetzes. Dieser musste seinen Sohn an Conrad verkaufen, um seine Schulden bezahlen zu können. Anabel und Conrad verlieben sich und wollen aus Ulm fliehen, doch Conrad hat andere Pläne mit seiner Tochter. Durch die Heirat mit einem greisen Kaufmann soll Conrad endlich sein Ziel erreichen: Aldermann seiner Zunft zu werden. Und dafür schreckt er auch vor Mord nicht zurück.

Silvia Stolzenburg zeichnet ein farbenprächtiges Porträt der Stadt Ulm in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Das Stadtbild Ulms, der Alltag und auch das Handwerk des Glockengießers sind mit großer Sorgfalt recherchiert. Die Ausbreitung der Pest sowie die verzweifelten Versuche der Bevölkerung gegen die Krankheit anzukommen sind von Boccaccios „Dekameron“ inspiriert, welches als wichtige Quelle des Florenzer Pestjahrs 1348 gilt.

Die Protagonisten sind durchweg authentisch und lebendig. Conrads Intrigen und Skrupellosigkeit zeigen ihn als boshaften Charakter, der im starken Gegensatz zu seiner herzensguten Tochter Anabel steht. Allerdings gestaltet Stolzenburg das Verhalten ihrer Figuren stellenweise nicht zeitgemäß: Zwischen Anabel und Bertram ist es Liebe auf den ersten Blick. Bereits nach der ersten Begegnung brennen sie vor Verlangen und können den Gedanken nicht ertragen, ohne einander leben zu müssen. Wie ein verliebtes Pärchen heutzutage schlendern sie turtelnd über das Ulmer Schützenfest, vergessen ist aller Standesdünkel und wie wenig schicklich sie sich doch aufführen, zumal ihrer Verbindung von Seiten Anabels Vater, der gleichzeitig Bertrams Vormund ist, nicht zugestimmt wurde. Dass dies für alle Beteiligten nicht ohne Folgen geblieben wäre, vernachlässigt die Autorin. Dem gegenüber lässt Stolzenburg ihre Protagonistin nach der Schändung durch den Abt stets über ihren Wert und was es für Bertram bedeuten würde, eine gefallene Frau zu ehelichen, nachdenken, was dem Leser widersprüchlich erscheint – zumal Anabel Bertram bei nächster Gelegenheit bedenkenlos in ihr Bett lässt, um mit ihm die Wonnen der Liebe zu genießen. Dies wirkt in diesem Kontext so, als ob Anabel sich das Motto „Ist die Unschuld erst ruiniert…“ verinnerlicht habe.

Leider ist dies nicht der einzige Aspekt, den Stolzenburg aus der Sicht einer Frau des 21. Jahrhunderts in ihr Buch einfließen lässt: Als die Gräfin von Württemberg mit schweren Blutungen im Hospital der Beginen erscheint, wird an ihr, der lebenden Gräfin, ein Kaiserschnitt durchgeführt. Der erste erfolgreiche Kaiserschnitt an einer lebenden Frau ist allerdings erst um 1500 überliefert, zuvor wurde dies nur bei Toten praktiziert, um das noch lebende Kind zu retten. Der Kommentar der Begine, dass die Gräfin in zehn Tagen ihre Bettstatt wieder verlassen könne, scheint unter den medizinischen Bedingungen des Mittelalters unglaubwürdig. Dass wenige Seiten später die Gräfin gut drei Wochen nach der Entbindung ihren Geliebten empfängt und dieser ihre „vollkommene Vorderseite“ preist, die doch eigentlich eine Narbe zieren müsste, verstärkt diese Unglaubwürdigkeit, zumal die beiden einen leidenschaftlichen Liebesakt vollziehen.

Ebenso wenig passen die Begriffe Scheidung und Alkoholkonsum sprachlich die beschriebene Zeit. Außerdem ist das bei der Behandlung der Gräfin verwendete Laudanum ebenfalls seiner Zeit voraus, da dieses Medikament auf Paracelsus zurückgeht und erst ab dem 16. Jahrhundert gebräuchlich wird.

Diese Ungereimtheiten stechen leider aus dem sonst ausführlich recherchiert und flüssig geschriebenen Roman hervor. Da es sich bei „Die Launen des Teufels“ jedoch um Stolzenburgs Debüt handelt, wird es nur eine Frage der Routine sein, derartige Fehler zu vermeiden. Denn Stolzenbergs Text überzeugt mit Lebendigkeit und Anschaulichkeit, außerdem erzählt die Autorin atmosphärisch dicht und spannend.

In einem abschließenden Nachwort nennt die Autorin nicht nur ihre Quellen, sondern erläutert auch, welche Änderungen zugunsten des Plots sie vorgenommen hat und geht auf die historischen Fakten zum Thema Pest und der Stadt Ulm ein. Eine Literaturliste listet alle Werke, die Stolzenburg zur Recherche für ihren Roman heranzog.

Der zweite Teil der Trilogie ist bereits vollendet und erscheint voraussichtlich im Herbst 2011 unter dem Titel „Das Erbe der Gräfin“. Mit dem vorliegenden Debüt sind die Erwartungen entsprechend hoch, ob Silvia Stolzenburg sich noch einmal steigern kann. Wir dürfen gespannt sein.

Titelbild

Silvia Stolzenburg: Die Launen des Teufels. Roman.
Bookspot Verlag, München 2010.
466 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783937357416

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