Biederer Voyeurismus

Manuele Fior zeichnet Arthur Schnitzlers „Fräulein Else“ als graphic novel

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das erste Bild zeigt einen Tennisball, der mit großen Sprüngen nach rechts aus dem Bild springt, leicht, unbeschwert. Ganz genauso geben sich auch die in hellen, rötlichen Pastelltönen gehaltenen Eingangsszenen in Manuele Fiors graphic novel „Fräulein Else“ nach der 1924 erschienenen, gleichnamigen Erzählung von Arthur Schnitzler. Doch schon beim ersten Zusammentreffen mit Dorsday, mit stechendem Blick in fahlem Schwarzweiß gehalten, verändert sich die Farbgebung des Bandes, die Bilder werden düsterer, die Gesichter geisterhafter und unwirklicher. Elses Bitte um dreißigtausend Gulden für ihren Vater, die Dorsday nur unter der Bedingung erfüllen möchte, sie eine Viertelstunde lang nackt zu sehen, zeichnet Fior stimmig in dunklen, beinahe gespenstischen Tönen, das Gesicht Dorsdays ist eine Fratze, Else sieht leichenblass aus und wirkt wie ein Gespenst.

Mit Stimmungen kann der Autor also zeichnerisch umgehen – und auch eine der schwersten Hürden meistert er zunächst erstaunlich gut: die im Inneren Monolog verfasste Novelle, die Innenwelten von Else, zu visualisieren. Ihre Gedanken blitzen als Erinnerungsbilder auf, die Welt um sie herum wird aus ihren Augen dargestellt. Diese Perspektive verlässt Fior aber in der Folge immer häufiger, so dass er die Bilder das eine oder andere Mal ihrer suggestiven Wirkung beraubt. Das An- und Entkleiden Elses in ihrem Zimmer, die Auswahl des Kleides und die Betrachtung ihres eigenen Körpers wird aus einer voyeuristischen Perspektive gezeigt, die dem ursprünglichen Text überhaupt nicht gerecht wird. Hier schaut man nicht mit Elses Blick, sondern mit dem Blick des Fremden, der die inneren Kämpfe des jungen Mädchens als beinahe unbeteiligter Betrachter sieht. Fiors geschickte Farbdramaturgie des Beginns weicht hier auch einer auf Dauer langweilig wirkenden, diffusen Mischung aus Braun-, Grau- und Schwarztönen. Und auch bei einer der Schlüsselszenen des Buches, der Selbstenthüllung Elses im Musikzimmer, fällt dem Autor nur wenig ein: Elses geplante – und von Schnitzler zumindest angedeutete – Inszenierung als Gustav Klimts „Nuda Veritas“ ist wenig gelungen, beinahe plump steht Fiors Protagonistin Else Schnitzlers „bildschöner“, „blondroter“ Figur mit ihren „schönen Brüsten“ gegenüber. Beinahe unfreiwillig komisch wirkt hier die Darstellung der verzweifelten Versuche Elses, ihre Niederlage abzuwenden. Ihre letzten Minuten auf ihrem Zimmer zerdehnt der Zeichner schließlich in dunkel gehaltenen, nichtssagenden Zeichnungen.

Das Buch hat seine guten Ansätze, Fior lässt sein Können aufblitzen, zu Beginn, im Brief der Mutter an Else und vor allem in den Szenen vor und während des verhängnisvollen zweiten Treffens mit Dorsday, hier hat die graphic novel ihre unbestreitbaren Glanzlichter. Doch so stimmig diese Szenen auch sind, so uninspiriert wirken die entscheidenden Stellen gegen Mitte und Ende der Novelle. Mit ihnen hat sich der Zeichner selbst und vor allem dem Leser keinen Gefallen getan. Denn die immensen Ausdrucksmöglichkeiten und die Tiefe von Schnitzlers Text werden in Fiors Bearbeitung fast gänzlich auf ein bloßes Bebildern der äußeren Handlung reduziert, da helfen auch die gut gezeichneten Passagen zu Beginn nur wenig, der zwiespältige Eindruck bleibt bestehen.

Titelbild

Manuele Fior: Fräulein Else. Nach der Novelle von Arthur Schnitzler. Graphic Nove´l.
avant-verlag, Berlin 2010.
88 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783939080435

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