Das Fantasmatische brechen
Slavoj Žižeks Lektüren zur Oper und zur Literatur
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Attraktivität, die das Denken und Sprechen Slavoj Žižeks hat, ist sicherlich auch in seiner Beredsamkeit begründet, und darin, dass es ihm gelingt – wie in „The Pervert’s Guide to Cinema“ so wunderbar zu beobachten –, die Produkte der Unterhaltungskultur als seriöse Gegenstände von Erkenntnis zu verwenden. Dass das intellektuelle Fundament seines Denkens bei Jacques Lacan und einer avancierten Form der Psychoanalyse zu suchen ist, kommt hinzu. Gelingt es ihm doch auf diese Weise, den Gegenständen einen Mehrwert zu entlocken, die ihnen in der einfachen Anschauung nicht anzusehen ist. Insofern ist sein Zugriff auch als intellektueller Türöffner zu verstehen, der das eigene Weiterdenken erlaubt. Und was ließe sich über einen Theoretiker heute Besseres sagen, als dass er zum Denken anregt?
Freilich ist Žižeks Denken zugleich ein gehöriges Maß an Unzuverlässigkeit eingeschrieben. Und damit ist nicht seine weniger argumentativ denn voluntative Apologie der Gewalt als systemsprengende Macht gemeint, wie er sie jüngst in einem Beitrag für „Le monde diplomatique“ (Heft 11/2010) formuliert hat. Auch sein Plädoyer für einen neuen Sozialismus, der sich eher freudig als ablehnend zum Stalinismus verhält (so zu lesen in „Auf verlorenem Posten“, 2009), ist eher irritierend, denn als Verweis auf eine grundlegendes Manko in Žižeks Lektüren zu sehen.
Es ist eher sein Plädoyer für die „lacaniasche Paranoia“, die ihn als Theoretiker zu einem zweifelhaften Gewährsmann machen. Es scheint so, als komme es ihm nicht auf Aufklärung, sondern auf die Stiftung eines neuen mythologischen Denkens an, in dem das vorbegriffliche Begehren, sein Ursprung und seine Objekte die eigentlichen bewegenden Faktoren im zivilisierten Denken und Handeln sind. Damit erhält Žižeks theoretischer Ansatz eine anti-gesellschaftliche und letztlich auch anti-zivilisatorische Note, die die Freude an seinen Kapriolen und an seinen hakenschlagenden Argumentationsgängen beträchtlich trübt.
Es scheint so, also ob die Freude an der Erkenntnis dessen, was die Maschine des Unbewussten produzieren mag, mit einem Male umschlägt in die befremdliche Erkenntnis, dass Žižek nicht dabei hilft, aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entkommen, sondern die Verstrickung in Schuld und in das Böse nur noch weiter vorantreibt.
Das kommt auch in seinen literarischen und musikalischen Studien zum Tragen, die er – vielleicht als Seitenwerk zu betrachten – nun vorgelegt hat. „Anmerkungen zu Oper und Literatur“ nennt er sie, und sie sollen das Portfolio der Lacan’schen Motive in Literatur und Musik erweitern, an Stellen und bei Werkkonvoluten, wie sie von Lacan eben nicht berücksichtigt worden sind.
Lacan auch da finden, wo kein Lacan ist? Merkwürdig. Motive aufzufinden, wo Lacan nicht gesucht hat? Das wird ohne weiteres möglich sein, denn auch die ganz Großen der Theorie haben nicht immer die Zeit und die Muße, sich mit allen anderen ganz Großen zu beschäftigen. Nun wird man es also vielleicht bedauern, dass Lacan sich nich mit Kafka beschäftigt hat, aber erzwingen kann man es im Nachhinein auch nicht. Und es sagt auch einfach nur nichts aus, weder über Lacan noch über Kafka.
Dass Stimme und Blick als Lacan’sche Objekte eine primäre Bedeutung im humanen Symbolhaushalt haben, ist schnell akzeptierbar. Gerade weil sie dem Subjekt gegenüber stehen, ist ihre Bedeutsamkeit gegeben. Und ihre Inszenierung folgt dem, wie Žižek in diesem Band immer wieder zu zeigen vermag.
Jedoch bleibt es durchaus offen, ob das Hören von Musik in dem Vermeidungswunsch begründet liegt, der Stimme als Objekt zu begegnen. Vielmehr scheinen doch Stimme und Blick unhintergehbare Instanzen im symbolischen und damit eben auch realen Handeln zu sein. Ohne sie ist ein kulturelles oder gesellschaftliches Handeln nicht denkbar, und ohne sie wäre ein Subjekt nicht vorstellbar.
Damit aber beantwortet sich die Frage fast von selbst, wie die Macht von Stimme und Blick respektive ihre machtkonstituierende Gewalt hintergangen werden kann. Wenn sie untrennbare Teile sozialen und damit symbolischen Handelns sind, dann wird diese Operation selbst ad infinitum unrealistisch, obgleich sie Bedingung für ein einigermaßen egalitäres Handeln ist. Das Brechen des „phantasmatischen Einflusses“ von Stimme und Blick, das Žižek so wichtig ist, ist damit in einen Kreislauf eingebunden, der diese Operation zugleich notwendig wie unmöglich macht. Denn Gesellschaft funktioniert auf Dauer nur als symbolökonomisches Ausgleichssystem, aber es bleibt dennoch notwendig ein Symbolsystem, in dem einzelne Faktoren immer wieder aufs Neue aufgeladen werden.
Das erinnert an die Machtdiskussion, die Michel Foucault in den späten 1970er-Jahren geführt hat, und in der die Idee einer separierten Macht zugunsten eines relationalen Gefüges aufgegeben wurde. In diesem Denksystem hat der fantasmatische Bann, um dessen Brechen es Žižek geht, kaum Raum. Was allerdings nicht gegen seine Bedeutung spricht.
Dilemmatisch wird hingegen die Frage, inwiefern die Macht des Fantasmatischen überhaupt gebrochen werden kann, anders gewendet, inwieweit es nicht notwendiges und strukturierendes Element des sozialen Lebens ist, von den Akteuren her gesehen, die sich mit der Interpretation des eigenen wie des Handelns anderer beschäftigen. Literatur und Musik haben in diesem Kontext exemplarische Bedeutung, als experimentelle Reflexionsebenen, in denen auch eben die Bedeutung des Fantasmas verhandelt werden kann.
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