Die Familie und das Fernsehen

Katharina Borns erster Roman „Schlechte Gesellschaft“ enthält einige witzige Einfälle, ansonsten aber stehen der Autorin ihre übergroßen Ambitionen im Wege

Von Bastian SchlüterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bastian Schlüter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nichts kann Abgründigeres bergen als die Familiengeschichte. Hass und Missgunst, Eifersucht und geheime Verhältnisse, Schicksalsschläge und Katastrophen. Was der Stammbaum bereithält, ist nur ein dürres Gerüst, hinter dessen Verzweigungen sich ganze Romane verstecken können. Auf diese im schreibenden Gewerbe wohlbekannte Tatsache hat sich auch Katharina Born für ihren ersten Roman besonnen. Über gut anderthalb Jahrhunderte verfolgt sie die familiäre Historie ihrer Heldin Judith Gellmann-Vahlen zurück, die die Tochter des berühmten Schriftstellers Peter Vahlen ist – und so ein wichtiges Stück Biografie mit ihrer Autorin teilt. Deren Vater nämlich ist der 1979 allzu jung verstorbene Schriftsteller Nicolas Born.

Auch Judith im Roman hat ihren Vater früh verloren und ist außerdem – ob hier noch Deckung herrscht, sei dahingestellt – mit ihrer Mutter, der „schwierigen Witwe“, nicht ganz einig darüber, was mit dem Nachlass auf dem Dachboden der Dichtervilla geschehen soll. An diesen Nachlass nämlich hat sich gerade ein germanistischer Doktorand herangepirscht. Der beginnt nicht nur eine Affäre mit der Dichtertochter, er entdeckt im staubigen Gebälk auch noch die Fortsetzung zu Vahlens erfolgreichstem Roman „Villa Westerwald“. Die Begehrlichkeiten sind also geweckt – zumal die wiederentdeckten Blätter nicht nur reine Fiktion zu enthalten scheinen, sondern einiges an autobiografischem Sprengstoff. Familiengeschichte eben.

Bei diesem einfallsreich aus der eigenen Lebensgeschichte hergeleiteten Kern der Erzählung hat es die Autorin aber nicht belassen. Wenn schon Familie, dann soll das ganz groß werden, so wird man Borns Vorhaben zusammenfassen können. Daraus sind die schon angeführten 150 Jahre an erzählter Zeit geworden. Und das hat ihrem Roman nicht gut getan.

Während die erste Handlungsebene mit der Schriftstellertochter in der Gegenwart angesiedelt ist, bewegt sich der zweite Strang der Familiengeschichte seit 1865 an diese Gegenwart heran. Außerdem wird auch noch die Geschichte des Vaters erzählt, die in den 1960er-Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt und mit seinem Tod anderthalb Jahrzehnte später endet. Alles viel, sehr viel. Zumal die Autorin den klassischen Fehler überambitionierter Schreibender begeht, ihr sowieso schon personen- und katastrophenreiches Familientableau noch mit allerlei Geschichtsbuchwissen zu überborden. Und diese Materialschlacht findet statt auf knappen 265 Seiten. Kaiserreich und Erster Weltkrieg, schwarze amerikanische Besatzungssoldaten in der deutschen Provinz, die Weimarer Republik und ihr Untergang, die Nazis und die Judenverfolgung, der Geist von 1968 und der Fall der Mauer, dies alles wird einbezogen und angetippt.

Im Unklaren bleibt, was noch schwerer wiegt, welchen kompositorischen Effekt dieser historische Vorbau überhaupt haben soll. Immerhin, so viel bekommt man mit: Es gibt in der langen Familiengeschichte so viele Inzeste, dass am Ende die Schriftstellertochter mit einer missgebildeten Hand dasteht. Schriftstellertochter ohne Hand? Symbolisch! Schreiben wollen und doch nicht können? Autobiografische Nachtigall, man hört dich schon wieder trappsen.

Aber das ist nicht der einzige ironische Reflex auf die Qualität ihres eigenen Schreibens, den Katharina Born in den Text einbaut. Der anhaltende Ruhm des früh verstorbenen Schriftstellervaters im Roman beruht nicht zuletzt darauf, dass seine „Villa Westerwald“ einer hoch erfolgreichen Fernsehserie als Drehbuchvorlage gedient hat. Warum nun nicht, so die mutmaßliche Absicht der Autorin, diese Idee vom Kopf auf die Füße stellen – und einen Roman schreiben, der wirkt, als wäre er die Prosafassung vom Drehbuch einer mittelmäßigen deutschen TV-Produktion? Zugegeben, dieses intermediale Augenzwinkern hat etwas. Aber zuletzt bleibt doch die Frage: Warum soll man einen mittelmäßigen Roman lesen, witzige Idee hin oder her?

Und mittelmäßig ist eigentlich noch untertrieben. Geradezu lehrbuchmäßig ist der Text danebengegangen. Nicht nur ihrer historischen Überfülle will die Autorin an keiner Stelle gerecht werden. Sie springt in kurzen, bisweilen nur seitenlangen Abschnitten zwischen den drei Zeitebenen hin und her, ein wirkliches Erzählen entsteht dabei selten, alles ist Informationsvermittlung, damit die verworrene Familiengeschichte überhaupt halbwegs überschaubar bleibt. Da hilft es auch nichts, noch einmal die intermediale Krücke zu bemühen und das Gebotene als literarischen Abklatsch einer Fernsehästhetik mit schnellen Schnitten und prägnanten Einstellungen zu deuten. Schlecht gemacht bleibt schlecht gemacht.

Das Betrüblichste aber ist Borns heillos uninspirierte Sprache. Nichts Eigenes hat diese Diktion, dafür überflutet sie den Leser ein ums andere Mal mit Phrasen und Klischees. Naturbilder rutschen ins Seichte ab, Figurenzeichnungen bleiben im Eindimensionalen stecken – was allerdings auch eine Folge der Stoffüberfrachtung ist. Gut, so ist das wohl in Drehbüchern von Vorabendserien. Und in der Tat ist der größte Spaß, den man sich bei der Lektüre machen kann, die imaginäre Besetzung der vielen Figuren mit bekannten Fernsehgesichtern: Gaby Dohm als schwierige Schriftstellerwitwe oder doch besser Christiane Hörbiger? Veronica Ferres als Tochter?

Der Clou der Geschichte ist es am Ende, dass die wiedergefundene Fortsetzung der fernsehträchtigen „Villa Westerwald“ bei der biederen Mama des Doktoranden in der Waschküche landet. Was macht die patente deutsche Hausfrau mit ungedruckten Büchern? Sie stopft das begehrte Blätterkonvolut bei sechzig Grad in die Waschmaschine. Nach erzählerischer Motivierung sei bitte nicht gefragt, schließlich muss ein Buch ein Ende haben. Und das heißt hier: Aus Papierbrei bist du gekommen, zu Papierbrei sollst du wieder werden. Eine Handlungsanweisung für den Roman nach der Lektüre? Eine weitere nette Idee? Zum Schutze aller Waschmaschinen sei der Autorin letzteres attestiert.

Titelbild

Katharina Born: Schlechte Gesellschaft. Eine Familiengeschichte.
Carl Hanser Verlag, München 2011.
265 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446236288

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