Ein politischer Reformer der kleinen Schritte

Wilhelm Bleeks Biografie stellt Friedrich C. Dahlmann als Wegbereiter der ersten kodifizierten politischen Ordnung Deutschlands vor

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Revolutionen seien wie Krankheiten, nicht eine Kraft, sondern ein Leiden. Es war wohl diese Überzeugung, die das Leben des Bonner Politikprofessors Friedrich Christoph Dahlmann am tiefsten geprägt und die er mit den meisten seiner Zeitgenossen geteilt hatte. Doch der aus dem mecklenburgischen Wismar stammende Dahlmann fürchtete nicht allein die Revolution von unten, wie sie sich 1831 in der kurzlebigen Studentenrevolte von Göttingen und auch anderorts anzukündigen schien, sondern ebenso die von der Obrigkeit vollzogene Revolution, den kalten Staatsstreich des neuen hannoverischen Monarchen, den 1837 der einäugige Ernst-August, ein in britischen Diensten ergrauter Kavalleriehaudegen, gegen die von allen Beamten und Staatsdienern beschworene Verfassung des Landes vollzog.

Dahlmanns energischer Protest gegen die Aufhebung jenes grundlegenden Staatsgesetzes, an dessen Zustandekommen er nur fünf Jahre zuvor selbst maßgeblich mitgewirkt hatte, machte bald in ganz Deutschland die Runde und seinen Verfasser berühmt. Für den damaligen Göttinger Professor und seine zufällig anwesenden sechs Mitunterzeichner band eine von allen Bewohnern beschworene Verfassung nicht nur Land und Leute, sondern auch den Monarchen selbst. Sie beschnitt dessen Rolle als absoluter Herrscher und machte ihn – nach englischem Vorbild – zum bloßen obersten Repräsentanten des Staates.

Mit dieser Rolle aber mochte sich Ernst-August trotz seiner britischen Biografie wie viele seiner Standesgenossen nicht abfinden, viel weniger aber verkraftete er den öffentlichen Ruhm der sieben von ihm umgehend entlassenen Professoren. Noch fünf Jahre später, als Dahlmann endlich nach langem und zermürbendem Warten im rheinischen Bonn ein neues und letztes Ordinariat erhalten hatte, befand der dauerhaft desavouierte König gegenüber dem renommierten Naturforscher Alexander von Humboldt im übelsten Casinojargon, man könne Professoren, Tänzerinnen und Huren überall für Geld haben. Auf Dahlmann allerdings traf dieses abfällige Diktum wohl am wenigsten zu. Charakterfestigkeit war das prägende Moment in dessen Leben, so sein wohlwollender Biograf Wilhelm Bleek, der jetzt in Toronto lebende Bochumer Emeritus für Politikwissenschaften. Nur allmählich, wenn überhaupt, wurden Dahlmanns Zeitgenossen mit dessen sperrig und wortkarg wirkender Persönlichkeit warm, und ähnlich ergeht es auch dem Leser seiner Biografie, die in Dahlmanns 150. Todesjahr beim Münchener C. H. BeckVerlag erschienen ist. Ein empathisches Interesse baut sich erst sehr langsam auf, zu bieder und unspektakulär erscheint sein privates Leben und zu antiquiert seine an Aristoteles anknüpfenden Ideen einer guten politischen Ordnung, die er nicht, wie die Vertragstheoretiker der Aufklärung aus einer abstrakten Vereinbarung scheinbar vernunftbegabter Wesen hervorgehen sah, sondern als ein Konvolut historisch gewachsener Rechte und Institutionen.

Nicht der große Wurf, sondern viele kleine Schritte bildeten für Dahlmann den politischen Königsweg, den er nur einmal verließ, als er in seiner Rolle als Abgeordneter der Paulskirche im September 1848 Preußens Waffenstillstand mit den Dänen rigoros ablehnte und in flammender Rede für unvereinbar mit der deutschen Ehre erklärte. Hier trat der Erfinder der griffigen Politparole vom ewig ungeteilten Schleswig-Holstein ein einziges Mal in die radikal-nationalistischen Fußstapfen seines Bonner Kollegen Ernst Moritz Arndt, mit dem ihn nicht nur die gemeinsame norddeutsch-schwedische Herkunft verband, sondern auch eine langjährige Freundschaft. Ob allerdings der daraus resultierende Rücktritt des Reichsministeriums tatsächlich wesentlich zum Scheitern der Nationalversammlung beigetragen habe, wie es Bleek in seiner Biografie vermutet, mag fraglich erscheinen angesichts der übrigen immensen sozialen und diplomatischen Hürden, die auf dem Weg zu einem parlamentarischen Nationalstaat noch zu überwinden waren.

Doch nur vordergründig wirkte das politische Leben Dahlmanns wie ein Scheitern, als er nach der Auflösung des Erfurter Parlaments im April 1850 – sichtlich resigniert – seine Bonner Professorentätigkeit wieder aufnahm. Die von ihm angestrebte kleindeutsche Nationalstaatlichkeit ohne Österreich sowie der gemeinsame Eintritt der beiden geliebten norddeutschen Herzogtümer in das deutsche Vaterland realisierten sich sogar innerhalb von nur sechs Jahren nach seinem Tod im Jahre 1860. Auch die Idee der guten politische Ordnung, die Dahlmann lieber Grundgesetz statt Verfassung genannt hatte, landete nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte, sondern bestimmt bis heute als föderales und historisch gewachsenes System von Machtgleichgewichten die politische Kultur in Deutschland.

Titelbild

Wilhelm Bleek: Friedrich Christoph Dahlmann. Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2010.
472 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783406605864

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