Eine faszinierende Erzählstimme zieht uns in ihren Bann

Catalin Dorian Florescu überzeugt mit einem fesselnden und facettenreichen Roman aus der Welt der Banater Schwaben

Von Lucia NicolauRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lucia Nicolau

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine feindlich gesonnene Natur, deren Stürme und Fluten scheinbar von Gott und Teufel gelenkt werden, eine allen erdenklichen Widersachern ausgelieferte Ortschaft auf freiem Feld, harte Arbeit, Entbehrungen, Krankheiten, das fortschreitende Alter, das einen zum Gast im eigenen Hause werden lässt, das alles gehört zu dem Leben in Triebswetter, einem Dorf der Banater Schwaben in Rumänien. Unter solchen Bedingungen werden die zwischenmenschlichen Beziehungen von „Liebesdiensten“ geprägt: „Noch nie hatte jemand die Hilfe verweigert, noch nie sich dem widersetzt, was hier das Leben bestimmte: die Verpflichtung zum Liebesdienst. Das war man dem anderen schuldig.“ Es ist das, was das Dorf zusammenhält, was das Überleben der Gemeinschaft und der Individuen sichert.

Es ist zugleich das, was Jakob (mit k) als Neuankömmling in Triebswetter seinen Mitmenschen verweigert. Ihn gehen andere nur dann etwas an, wenn er sich durch sie bereichern kann, wie durch Elsa, die seine Frau wird, weil bisher kein anderer Mann sie gefragt hatte. Aus der Sicht ihres Sohnes, Jacob (mit c), wird eine über mehrere Generationen verfolgte Familiengeschichte dargestellt. Die tatsächlichen geschichtlichen Parallelen dienen nur als opulente Kulisse, denn der Roman ist als Fiktion gedacht.

Wenn Catalin Dorian Florescu Schicksale beschreibt, holt er weit aus und verwebt erzähltechnisch geschickt mehrere zeitlich versetzte Handlungsstränge: der Soldat Caspar um 1635, der von einer Zigeunerin zum Hungern verfluchte Lothringer Frédéric Aubertin um 1769, Niclaus Obertin, seine Tochter Elsa, Jakob und schließlich die Geschichte von deren Sohn Jacob von ungefähr 1920 bis 1950. Die zeitlichen Sprünge verlangen zunächst ein konzentriertes Lesen, bis dann die meisterhaft aufgebaute Spannung eine regelrechte Gier nach Mehr aufkommen lässt. Es ist sicherlich nicht das erste Buch, das harte Lebensbedingungen, Deportation und Enteignung unter dem kommunistischen Regime Rumäniens zur Sprache bringt. Im Unterschied zu, beispielsweise, Herta Müllers „Atemschaukel“ geht es hier um ein breit angelegtes Menschenbild und weniger um Einzelschicksale oder um politische Themen. Tatsächlich wartet Florescu mit Liebe zum Detail auf, mit kraftvollen Bildern, die sich für lange Zeit einbrennen. Geschichte, Menschen und Orte werden so miteinander verwoben, dass ein überaus lebendiges und überzeugendes Panorama entsteht.

An der Seite des von seinem Vater als Schwächling abgestempelten und enterbten Jacob erlebt der Leser die Wirren des Zweiten Weltkriegs in Rumänien, Verrat und Flucht, die nostalgische Rückkehr ins Heimatdorf bis zur erneuten Deportation. In Rückblenden erschließt sich die Geschichte der Besiedlung des Dorfes durch eine Gruppe von Bauern, angeführt durch den Lothringer Aubertin. Der Kampf ums „Ankommen“, um ein Stück Land, das man bebauen und Heimat nennen kann, ist allen Generationen gemein. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, meist Gewalt, Grausamkeit und Verrat, sichern die Männer das Fortbestehen der Familie. Allein Jacob scheint der Härte seiner Zeit nicht gewachsen zu sein. Stattdessen, oder eher, trotz alledem, beschließt er, zu lieben.

Doch was bedeutet Liebe im Sinne Jacobs? Seine zarten Gefühle für die Serben-Katica, die aufwallende Leidenschaft für eine schöne Bauerntochter, das Gefühl, als Ebenbürtiger von der Triebswetterin Johanna akzeptiert zu werden? Wer von Florescus neuestem Buch aufgrund des Titels eine Liebesgeschichte erwartet, wird enttäuscht werden. Caspar beschließt zu desertieren, Frédéric beschließt auszuwandern, Jakob beschließt zu heiraten und Jacob beschließt zu verzeihen, sich nicht zu rächen. Die jeweiligen Beschlüsse, bis die Spirale bei Jacob endet, werden aus Eigennutz gefasst, es geht um Selbstsicherheit und generationenübergreifende Dominanz. Jacob hingegen, vertrieben, enterbt, deportiert, entscheidet sich für den Liebesdienst an seine Mitmenschen. Die Liebe, zu der Jacob trotz allem fähig bleibt, ist eine, die beim Leser Sympathie erweckt, aber manchmal auch Unverständnis hervorruft: Wie kann man den väterlichen Verrat erneut akzeptieren? Sind doch die anderen Gestalten allzu oft von Egoismus und berechnendem Ehrgeiz geprägt, oder besser gesagt, von dem Willen, sich rücksichtslos durchzusetzen. Dass Jacobs „Beschluss“ unmissverständlich als Stärke anzusehen ist, gibt dem Roman eine unerwartete und erfrischende Dimension.

Wenn Florescus 2008 erschienener Roman „Zaira“ eine Familiengeschichte anhand des Schicksals starker Frauengestalten dargestellt hatte, so geht es diesmal um Männer, deren Einfluss für die Entwicklung der Hauptgestalt ausschlaggebend ist: die Vorfahren Caspar und Frédéric, Jakob, der Vater und Niclaus der Großvater, Sarelo, der Zigeunerjunge, Gigi, der Zigeuneranführer mit verlorener Ehre, der Priester Pamfilie, der Bettler Musca/Fliege. Dementsprechend hart und zum Teil sogar brutal sind die Bilder, die Florescu heraufbeschwört und die gerade zu Beginn des Romans auf den Leser einstürmen: Szenen von Krieg, Pest, Mord, Vergewaltigung und rücksichtsloser Gewalt rauben einem zunächst den Atem. Subtiler hingegen geht der Autor bei Generationenkonflikten vor, oder gar feinfühlig, etwa bei der Darstellung der ersten Liebe Jacobs. Weder Gestalten noch Umstände werden beschönigt, Schwächen werden kritisch in den Vordergrund gerückt oder kühl-distanziert umrissen. Die mutige und bildhafte Sprache, derer sich der Autor bedient, überzeugt und verführt.

„Jacob“ lotet auch weitaus größere Tiefen aus, als „Zaira“ (etwas, was Kritikern angenehm auffallen wird). Der neue Roman schafft mit spielerischer Leichtigkeit den Übergang von persönlichen Schicksalen zu historischen Ereignissen und vom lokal Begrenztem zu Europa-Übergreifendem und zurück. Die inzwischen entschwundene Welt der Banater Schwaben ist nur ein Hintergrund für eine Entwicklungsgeschichte, hinter der man den Psychologen Florescu mehr als nur erahnen kann.

Wenn der freie Wille den eigenen Lebensweg nicht ändern kann, wenn man auf Schritt und Tritt daran gehindert wird, im eigenen Leben Fuß zu fassen, wenn die eigene Zukunft unsicher, ja sogar sehr begrenzt erscheint, was bleibt einem dann? Florescu gibt eine Antwort, die die Hauptgestalt sympathisch werden und durchaus als Rollenvorbild erscheinen lässt: Menschlichkeit, die Fähigkeit zu lieben, statt zu hassen oder Rache zu üben.

Titelbild

Catalin Dorian Florescu: Jacob beschließt zu lieben. Roman.
Verlag C.H.Beck, München 2011.
403 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406612671

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